Mission in Godthaab

Wie die Herrnhuter nach Grönland kamen
Am Inlandseis im Godthaabsfjord. Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Am Inlandseis im Godthaabsfjord. Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Grönland ist die größte Insel der Welt: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts begann dort die christliche Missionierung der Inuit. Bei einem Besuch in der Hauptstadt Nuuk haben die Journalisten Martin Zähringer und Jane Tversted Spuren des christlichen Einflusses gesucht.

Grönland spielt im nordatlantischen und arktischen Geschichtsgeschehen eine besondere Rolle. Jahrtausendelang war die größte Insel der Welt Heimat der Inuit, die als Jagdnomaden an den Küsten entlangzogen. Im Mittelalter kamen norwegische Siedler in das "grüne Land" und begründeten eine geschlossene christliche Zivilisation. Schließlich nutzten Walfänger und Pelzhändler aus allen Teilen der Welt die Insel als Umschlagplatz. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts begann die christliche Missionierung der Inuit, und wer heute die Landeshauptstadt Nuuk besucht, findet am historischen Koloniehafen die Spuren all dieser Kulturkontakte. Der christlich-koloniale Einfluss ist offensichtlich, doch langsam kehren auch die Zeichen vorchristlicher Traditionen zurück.

Das Verlorene Wiederfinden

Einen markanten Akzent setzt die Bronzestatue des Norwegers Hans Egede. Als einzige historische Vollfigur in ganz Nuuk thront sie über dem Hafen, nach Westen ausgerichtet in Richtung "Hoffnungsinsel". Dort landete Egede 1721 und gründete nur eine Kajakstunde entfernt die Siedlung Godthaab. Hier, an der Mündung eines großen Fjordgebietes, entstand das heutige Nuuk, die Landeshauptstadt Grönlands.

Egedes ursprüngliche Suche galt den Nordsiedlern aus dem Mittelalter, wie der Historiker Thorkild Kjærgaard von Grönlands Universität Ilisimatusarfik betont. Und diese Suche gehört zu einem politischen Projekt: "Man wollte nicht erobern, nicht kolonisieren. Man wollte das Verlorene wiederfinden, das norwegische Mittelalterreich, Norønna." Das Norønna-Projekt wurde zur dänisch-norwegischen Gemeinschaftsaufgabe, bis Hans Egede herausfand, dass die christlichen Nordsiedler längst ausgestorben waren.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

Altstadt am Koloniehafen von Nuuk; rechts im Bild das Nationalmuseum, links das Haus von Hans Egede.

Die Inuit aber waren noch da, denn sie hatten ihre Wirtschaftsweise und Kultur besser der arktischen Umwelt angepasst. Ebenso ihre Glaubensvorstellungen, die stark auf Verhältnisse und Kräfte der Natur bezogen waren. Hans Egede sah einen Aberglauben und begann nun ernsthaft mit dem Missionieren. Für Aqqaluk Lynge, Dichter, Politiker und Inuit-Aktivist, ist das eine Urszene des Kulturkontaktes: "Man führt eine fremde Kultur und eine fremde Religion ein, und danach hängt die Welt einfach nicht mehr zusammen. Unser alter Glaube ging davon aus, dass alles Gute von unten kommt, aus dem Meer. Es gab bei uns keine Mutter Erde, sondern eine Mutter des Meeres, von der alles Gute kam, unsere Nahrung seit Jahrtausenden. Wer in den Himmel kam, der kam in eine kalte Gegend, da wollte man nicht hin."

Ritt auf zwei Pferden

Die Umwertung aller Werte ist ein dramatischer Akt. In Dänemark werden seine Härten verklärt, und man pflegt heute den Mythos einer besonders gut geführten Kolonie. Und der wohlerhaltene Koloniehafen in Nuuk bestätigt diese Geschichtspflege. Im Nationalmuseum am alten Hafen findet man die andere Kultur. Dort erzählt der Eskimologe Bo Albrechtsen von jener neuen Mittelklasse, die im 18. Jahrhundert durch die christliche Schule ging: "Es gibt ja diese Geschichten von den ersten Katecheten der Kirche im 18. Jahrhundert. Das waren Katecheten zur Kirchzeit und Geisterbeschwörer, sobald sie draußen waren. Dieses Doppelspiel, der Ritt auf zwei Pferden, zieht sich durch die ganze Geschichte. Heutzutage hat man eine ganz andere Sicht auf die alte Religion als damals. Aber es ist richtig, man glaubt sehr stark und geht auch viel in die Kirche." Ein Besuch in der Erlöserkirche am Sonntagmorgen lohnt sich, schon wegen des Gesangs. Der Dom ist das religiöse Zentrum Grönlands.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

Erlöserkirche mit Blick auf den Regierungsneubau.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

Bronzestatue des norwegischen Missionars Hans Egede (1686-1758).

Das Nationalmuseum sollte man sich auch nicht entgehen lassen, es liegt nur fünf Minuten entfernt. Die Stammausstellung beginnt mit der Nachbildung eines kolonialen Wohnzimmers mit Harmonium und Christusbild. Es folgen sorgfältig inszenierte Sammlungen zu den verschiedenen Epochen und lokalen Traditionen der Inuitkulturen. Die symbolische Kultur ist in Vitrinen verbannt - Sammlungen beeindruckend gut geschnitzter Tupilaks, magischer Figuren mit manchmal bösen Absichten. Doch das zentrale Element ist die Trommel, das Hauptwerkzeug des Angakoks (grönländisch "Schamane"). Dass die Trommel - sie wurde auch für Dichterwettkämpfe, zur Rechtssprechung und schlicht zur Unterhaltung gebraucht - so verpönt war, sei ein sprachliches Missverständnis. Das meint jedenfalls Bo Albrechtsen. Es habe oft Begriffsverdrehungen gegeben. So wurde aus Tornaarsuq (kanadisch "Schamane") schlicht ein Teufel. Trommeltanz war also Satanszeug, wurde verboten und verschwand in Westgrönland vollständig.

Die Trommel kehrt zurück

Heutzutage beherrschen nur noch wenige Menschen die Kunst, mit der Trommel traditionelle oder moderne Gesänge vorzutragen. Aber die Trommel kehrt zurück. Im Oktober 2012 trat der Musiker und Trommeltänzer Leif Immanuelsen sogar bei einem Pfarrkonvent im westgrönländischen Sisimiut auf. Wie Grönlands älteste Zeitung Atuaglagdliutit schreibt, hat das Wellen geschlagen: "Manche empfanden es als eine schöne und berührende Handlung, die das Christentum mit der ursprünglichen Inuitkultur vereint. Andere betrachteten es als eine blasphemische Handlung, die unter keinen Umständen etwas in einer Kirche verloren hat."

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
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"Der Herr der Kraft". Skulptur vor dem Landesparlament Inatsisartut.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
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Ein geschnitzter Tupilak, eine magische Figur mit manchmal bösen Absichten.

Heute versuchen Mitarbeiter des Nationalmuseums, Trommeltanz und -gesang auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO zu bekommen. Bo Albrechtsen erklärt zur Trommel: "Man hat sie ja schon in Alaska. Man geleitet den Sarg nicht mit Orgelmusik, sondern mit Trommelrythmen auf den letzten Weg. Die Trommel ist der Rhythmus des Herzens, und mir erscheint es ganz natürlich, dass die Trommel Zugang in die heutige Kirche erhält."

Glaube aus dem Meer

Der alte Glaube kommt aus dem Meer. In Sichtweite des Museums steht ein Granitdenkmal neueren Datums, das wirklich wie aus dem Wasser aufgetaucht erscheint. Von den Fluten umspült, ragt es genau in die Blickachse von Hans Egede. Es ist eine komplexe Figurengruppe, bestehend aus einer nackten Frau, umgeben von Robben, Eisbär, Walross, Lachs und einem kräftigen jungen Mann.

Die Kulturwissenschaftlerin Rosannguaq Rossen erklärt zu dieser Plastik: "Das ist Sedna, in der Inuit-Kosmologie die Mutter des Meeres. Der junge Mann ist ein Angakok, der grönländische Schamane. Wenn es den Inuit schlecht geht, muss er zum Grund des Ozeans reisen, um Sedna die Jagdtiere wieder aus den Haaren zu kämmen. Sedna hält sie dort zurück, wenn die Menschen unachtsam mit der Natur umgehen." Ökosünder der alten Zeit also, die ihr Umweltproblem dem Angakok übertrugen. Das gute Verhältnis zur Natur war eine Frage des Rituals und somit der Kultur. Leider haben die Missionare die Zusammenhänge nicht auf diese Weise verstanden und alles aus Gründen des Glaubens verboten.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

Das Missionsgebäude der Herrnhuter beherbergt jetzt den Ombudsmann.

Über Sedna hinweg blickt Hans Egede in Richtung Kangeq, einen heute stillgelegten Ort, an dem im 19. Jahrhundert der berühmte Zeichner und Literat Aron von Kangeq lebte. Auch Aron ist ein Zeuge des schwierigen Zusammenstoßes der Kulturen. Er war Fischer und Jäger wie alle damals. Aber er lernte auch zu Schreiben und notierte die mündlichen Überlieferungen seiner Zeit. Aron gehörte zur Herrnhuter Brüdergemeine, und von dieser kam der große ästhetische Impuls in die Mission. Die deutschen Missionare waren 1732 nach Godthaab gekommen, um - laut Absprache zwischen Nikolaus Graf Zinzendorf und dem dänischen König Christian VI. - der Egede-Mission beizustehen. Aber einmal vor Ort, wollten die selbstbewussten Brüder sich nicht mehr unterordnen. Bald betrieben sie in Neu-Herrnhut ihre eigene Mission und lagen fortan mit Egede im Streit. Sie hatten trotzdem Erfolg, tauften viele Grönländer und errichteten 1747 ein von holländischen Herrnhutern gestiftetes Missionsgebäude, das größte Haus in ganz Grönland.

Ein Loch für den Engel

Thorkild Kjærgaard hat mit seiner Frau Kathrine ein Buch über dieses Haus und die Herrnhuter verfasst. Er erklärt ihren Erfolg unter anderem mit der Schönheit ihrer Anlagen. Ebenso mit dem Sinn der Herrnhuter fürs Theatralische. So gab es einen spektakulären Verkündigungsengel, der zum vollen Klang des Blasorchesters aus einer Öffnung in der Decke herunterschwebte. Die Bedeutung der Herrnhuter Musiktradition für die grönländische Musikkultur ist anerkannt. Aqqaluk Lynge sagt sogar: "Wenn wir die Herrnhuter nicht gehabt hätten, wäre die Musik heute tot. Als die Norweger mit Hans Egede ihre Mission begannen, verboten sie ja den Trommeltanz. Deshalb haben die Westgrönländer ihre Gesänge vergessen, die leben nur noch in Ostgrönland und im Norden bei Thule." Und deshalb erklingen in den Kirchen Grönlands heute deutsche Kirchenlieder in grönländischer Sprache.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

Robbenskulptur im Zentrum von Nuuk.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

168 Jahre blieben die Herrnhuter in Grönland, wo sie an mehreren Orten Missionen gründeten. Erfolgreich auch, weil ihre Missionare im Gegensatz zu den dänischen meist ihr ganzes Leben hier verbrachten. Inzwischen sind sie Teil einer "unerzählten Geschichte", wie Thorkild Kjærgaard sagt. Im modernisierten Missionsgebäude der Herrnhuter residiert der Ombudsmann, seine juristische Fachbibliothek steht im ehemaligen Kirchraum, und absolut nichts erinnert an die Herrnhuter. Im öffentlich zugänglichen Plenarsaal des grönländischen Parlaments Inatsisartut dagegen hängt ein Ölgemälde mit der historischen Abschiedsszene. Als die Herrnhuter im Jahr 1900 Grönland verließen, war es ein Abschied mit Tränen. Aber wie die Kolonialzeit überhaupt, ist auch diese Geschichte nicht ganz auserzählt. Noch im 20. Jahrhundert haben die Herrnhuter den grönländischen Pfarrer und Reformer Niels Lynge in Rage gebracht.

Beten und Arbeiten

Ein paar Gehminuten vom Koloniehafen entfernt ist sein Haus zu besichtigen, das hübsche Museum eines pietistischen Haushaltes. Im Eingangsbereich liest der Besucher folgenden Bericht seines Sohnes, des bekannten Malers Hans Lynge: "Die Bewohner des verarmten Ortes waren - wie es überall bei den Gemeinden der Herrnhuter der Fall war, sehr vernachlässigt, ihrem Gott oder ihrem Schicksal überlassen. Sie waren sehr abergläubisch und furchtsam, sahen aber zu meinem Vater auf wie zu einem höheren Wesen, wiederum ein Zug bei den Herrnhutern, deren Missionare sie zu Ehrfurcht und blindem Gehorsam ihnen gegenüber erzogen hatten." Hans Lynge sagte, aus ebendieser Erfahrung stamme das Lebensmotto seines Vaters: "Beten und Arbeiten!". Letzteres sei etwas gewesen, was man den Grönländern nur schwer beibringen konnte, denn sie seien durch den Herrnhuter Glauben von einer grenzenlosen Verachtung für diese Welt geprägt gewesen. Doch das ist einseitig. Der Herrnhuter Forscher und Missionar Samuel Kleinschmidt legte 1847 die erste grönländische Grammatik vor, und im Missionsgebäude stand eine der ersten Vierfarb-Druckpressen der Welt. Damit wurden Zeitungen und Bücher gedruckt, die nicht von Weltverachtung sprechen.

Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer
Foto: Jane Tversted/Martin Zähringer

Dorf bei Nuuk.

Text und Fotos: Jane Tversted / Martin Zähringer

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