Ein Führungsproblem

Macht und Hochmut sind Geschwister
Foto: privat
Aha, Leader, sinniere ich, während ich an einem gesponserten Softdrink nippe, klingt jedenfalls besser als auf Deutsch. Und während ich so sinniere, sehe ich unvermittelt jemanden vor mir...

Davos, Schweiz, Ende Januar: Das Weltwirtschaftsforum (WEF) tagt. Im Dorf wimmelt es von Pelzmänteln und Bodyguards. Scheibengetönte Luxuskarossen schieben sich dicht an dicht durch die Straßen. Aber die Teilnehmer kommen nicht nur aus der Wirtschaftselite. Längst ist "Davos" zum globalen Society-Stelldichein geworden. Auch Staatspräsidenten und Nobelpreisträger, Mega-Mäzene und Mediengurus sind willkommen. Wer was ist oder sein will ("globally", versteht sich), sollte schon hier sein, wenn das WEF ruft. Schließlich geht es um nichts weniger als darum, die Welt zu verbessern (Motto: "Committed to improving the state of the world").

Ich schlendere an besagten Pelzmänteln und Bodyguards vorbei zum Kongresszentrum, ins momentane Epizentrum der "Leaders of Society". Wer keiner ist, kommt da nicht rein, "Leader" ist das Zauberwort, Chef-Sein essentiell. Hier oben treffen sich alle, die auch sonst im Leben oben sind, keine Spur von "lonely at the top".

Aha, Leader, sinniere ich, während ich an einem gesponserten Softdrink nippe, klingt jedenfalls besser als auf Deutsch ... Und während ich so sinniere, sehe ich unvermittelt jemanden vor mir, Mittvierziger, schlicht gekleidet, anders als die andern. Ein Mönch? Ich denke noch, den kenne ich, da hat er schon zu sprechen begonnen, grußlos, nur diesen einen Satz: "Wer keine Zeit hat zum Beten, hat ein Führungsproblem." Wir schauen einander an, einige Augenblicke lang, dann lächelt er und geht weiter. Komische Begegnung, denke ich, trinke aus und gehe auch. Freilich, den Mönchssatz werde ich nicht mehr los. Er hat sich in mir eingenistet und meldet sich bei passender und unpassender Gelegenheit bis heute - mit Vorliebe dann, wenn ich keine Zeit habe. Wer keine Zeit hat zum Beten, hat ein Führungsproblem. Warum denn? Ich bin kein Mönch, mich müssen Sie nicht fragen.

Aber nach drei Tagen unter all den Leadern beschleicht mich eine Ahnung davon, was er gemeint haben könnte, der Mönch. Vielleicht ging es ihm um jenes alte, ja veraltete Wort: Demut. Das Bewusstsein, dass nur Gott allmächtig ist. Demut ist eine Gebetserfahrung. Wir erkennen im Gespräch mit dem Allmächtigen die eigenen Grenzen. Wer nicht betet, dem fehlt diese Erfahrung. Ohne Gebet keine Demut, vermutlich. Stattdessen gewinnt das Trugbild der eigenen Allmacht Raum: "Global Leader", Weltführer, der Mann fürs Ganze, für alle, für alles. Ein Trugbild ist das, ein gefährliches dazu, denn es bedient das formidabelste aller Laster: die Hybris. Macht und Hochmut sind Geschwister. Ich will die Hybris niemandem unterstellen. Aber darben muss sie vermutlich nicht im Milieu der globalen Führungselite. Hochmut ist gewaltsam und zwingend, Demut aber ist behutsam und motivierend. Nur ein demütiger Mensch erreicht die Seele der Menschen. Denk daran, Leader.

War es das, was der Mönch meinte? Ich kann ihn nicht mehr fragen. Machttrunkene wollten schon immer hoch hinaus. Turmhoch, zum Beispiel. Wie hoch liegt ... Davos?

Gottfried Locher

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