Malen, um zu erzählen

Ein Besuch im Atelier des jungen Künstlers Marc Siebenhüner
Marc Siebenhüner, Glaube, Liebe, Hoffnung, 2011. Foto: Marc Siebenhüner
Marc Siebenhüner, Glaube, Liebe, Hoffnung, 2011. Foto: Marc Siebenhüner
Sein Mentor ermutigte Marc Siebenhüner, nach seinem Theologiestudium Freie Kunst zu studieren. Mittlerweile ist der 23-Jährige im Meisterschüler-Studium der Universität der Künste Berlin (UDK). Schon jetzt zeigt sein Schaffen eine beeindruckende Bandbreite - gleichgültig, ob er mit Acryl malt oder Tusche wählt. Natascha Gillenberg hat den jungen Theologen in seinem Atelier besucht.

Der Ton, der einen zuerst und mit Wucht beim Eintreten ins Atelier trifft: dunkel schattiertes, massives Schwarz. Das ist der Hintergrund, der allen Bildern gemein ist: Eine abgrundtiefe Nichtfarbe, die bedrohlich in den Bann zieht und einen düsteren Raum öffnet, aus dem die darin befindlichen Figuren in ihrer leuchtenden Farbigkeit umso stärker hervortreten.

An einem dieser Gemälde arbeitet der junge Künstler derzeit. Das Bild zeigt einen arrogant wirkenden Burschen; er steht, gekleidet in ein Sakko von fast schmerzhaftem Gelb, auf einer Art Bühne, das Haupt hochmütig erhoben. Schräg unter ihm harrt ein Metzger in befleckter Schürze aus, die Schultern gebeugt, die Hände in Fesseln gelegt, die Füße in einer Schüssel voll roten Blutes. An den Rand gedrängt, scheint der Mann fast hinterrücks aus dem Bild zu fallen. Ein weiteres Gesicht taucht aus der Schwärze auf, der Körper fehlt noch ? Marc Siebenhüner ahnt bisher nur, wie viele Personen im Laufe der Arbeit noch vor ihm erscheinen werden.

Postkarten mit verschiedenen Motiven hängen um das noch unfertige Gemälde herum, dazu ein Zettelchen mit dem Titel des Schopenhauer-Werks: "Die Welt als Wille und Vorstellung". Inspiration für ein Motiv, von dem noch unklar ist, wofür es am Ende wirklich stehen wird. Wenn Siebenhüner an die Leinwand tritt - oder genauer an das "Aludibond", Aluminiumverbundplatten, auf die er seine Acrylfarben aufträgt, kennt er die Geschichte noch nicht, die sein Kunstwerk am Ende erzählen wird. Er lässt sich von seinen Figuren, den Farben, dem entstehenden Raum und seinen Bezügen leiten. Es ist, als ob die Szenerien ein Eigenleben entwickelten, dem er beim Malen folgt und in das er sich hineinziehen lässt.

Vor der Fensterbank sind kleine Tuschezeichnungen ausgelegt: Miniaturstudien menschlicher Figuren, die er in Vorarbeiten collagenartig zusammensetzt. So bestimmt er das Format des Bildes; sie bilden den Ausgangspunkt für die Komposition, bei der durchaus auch Winkelmesser zum Zuge kommen. Denn die Linien sind wichtig, die Blickachsen, die Verbindung zwischen den Figuren durch ihre Gesten, aber auch die Unterbrechung, die Leerstellen. Seine Gemälde sind Beziehungsgeflechte der Figuren untereinander, aber auch zum Betrachter. Er soll sich ansprechen lassen, sich vielleicht gar als Teil der Szenerie begreifen.

Marc Siebenhüner ist erst 23 Jahre alt. Und doch spürt man in seinen Kunstwerken eine ungewöhnliche Sicherheit, aber auch Entdeckerfreude bei der Verwendung unterschiedlichster Stile und Techniken. Schon jetzt zeigt sein Schaffen eine beeindruckende Bandbreite - gleichgültig ob er mit Acryl malt oder Tusche wählt, ob er Holzschnitte oder Radierungen anfertigt.

Gerade hat er sein Lehramtsstudium für evangelische Theologie an der Humboldt-Universität und für Bildende Kunst an der renommierten Universität der Künste Berlin (UDK) beendet. Nun hofft er auf einen Referendariatsplatz an einer Schule in Brandenburg. Das Arbeiten mit Schülern macht ihm große Freude; das zeigt ihm unter anderem seine ehrenamtliche Tätigkeit in einer Kunstwerkstatt. Daneben ist er weiterhin an der UdK eingeschrieben. Sein Lehrer und Mentor Professor Burkhard Held ermutigte ihn, zusätzlich zum Lehramt Freie Kunst zu studieren. Mittlerweile ist Marc Siebenhüner im Meisterschüler-Studium.

Foto: Marc Siebenhüner
Foto: Marc Siebenhüner

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich in vielen seiner Werke biblische Motive finden. Das liegt nicht nur an seinem Theologiestudium. Siebenhüners künstlerischer Werdegang ist auch ohne das Bauernkriegspanorama im thüringischen Bad Frankenhausen nicht zu denken.

In Bad Frankenhausen ist Marc Siebenhüner geboren, im Jahr des Mauerfalls. Als Vierzehnjähriger besucht er einen Malkurs, der im Panoramamuseum stattfindet. Er lernt, mit Ölfarben umzugehen, Schichtmalen, wie man Farben ansetzt. Er darf sogar die alten Farben des Künstlers Werner Tübke verwenden.

Das Bauernkriegspanorama - eigentlich klassenkämpferisch mit "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" betitelt - zieht ihn bis heute in seinen Bann. Spuren davon sind in seinen Kunstwerken zu erkennen. Manche von ihnen weisen eine ähnlich apokalyptische Stimmung auf; auch sie setzen sich - wenn auch weniger monumental - aus mittelalterlich anmutenden, rätselhaften Szenerien zusammen, die vom Betrachter entziffert werden müssen.

Für Marc Siebenhüner steckt das Panoramagemälde voller Theologie, sagt er. Was er darin entdeckt, ist Freiheit - die, die sich der Künstler genommen hat, und die, von der es in kleinen, subversiven Bildern erzählt. Unter anderem mit kleinen Narren, die sich wie bei Tübke nun auch als Motiv in Siebenhüners Bildern finden: Bei ihm sind sie hoch aufgeschossen mit bunten Federn im Haar, einer Narrenkappe, einer Häuptlingskrone? "Der Narr ist der einzige, der die Wahrheit sagen kann", so Siebenhüner.

Auf seinem Gemälde "Narrenschiff" tummeln sie sich gleich zu Hunderten und tanzen um ein goldenes Kalb. Der Papst als Kapitän sitzt abgehoben von der tobenden Menge und scheint den Felsen nicht zu sehen, auf den sein Schiff taumelnd zusteuert, gehalten nur von Energiebündeln sehr zerbrechlicher Engel. Nimmt er so die Kirche wahr? Siebenhüner schüttelt den Kopf. Er hat kein einheitliches Bild von der Kirche, schon gar kein Urteil. Aber er möchte mit seinen Kunstwerken Fragen stellen.

Das Gemälde "Communio Sanctorum": auch das ein Bild von Kirche. Bei Siebenhüner stellt die Gemeinschaft der Heiligen eine Versammlung höchst unterschiedlicher Figuren dar: die eine selbstbewusst, die nächste fragend, der Dritte sich sehnend, sich aufgebend, in Verzückung. Sie alle stehen für sich, drücken jeweils etwas ganz Eigenes aus - und sind doch durch Gesten, Blicke und ihre Kleidung miteinander verbunden.

Solche Motive, musste er feststellen, lösen an der UDK immer wieder Befremden aus - und Spott: "Der Kirchenmaler" wird er von manchen genannt. Religiöse Themen sind an der Kunsthochschule offensichtlich nicht üblich.

Umgekehrt stellt er fest: In der Kirche, vor allem der protestantischen, beschäftige man sich zu wenig mit bildender Kunst. Und wenn sie Platz bekomme, dann in abstrakten Werken: solchen, denen man sich meditativ nähern könne, in die man sich versenken wolle, in die man etwas hineinlese. Siebenhüner aber ist die figürliche Kunst wichtig: "Ich male, um zu erzählen." Der Betrachter muss sich auf die Geschichte seines Bildes einlassen.

Er entdeckt, Stück für Stück, die Künstler Mitteldeutschlands, seiner Heimat: Cranach zählt er dazu und Dürer, natürlich später die Leipziger Schule. Für seine künstlerische Entwicklung gewinnen Rembrandt und Caravaggio an Bedeutung, als zeitgenössische Maler inspirieren ihn vor allem Jonas Burgert und Neo Rauch. Deren Farbigkeit hat es ihm vor allem angetan. Wer genau hinschaut, kann Verweise auf sie alle in seinen Kunstwerken finden.

Zunehmend geht es ihm um das gesellschaftliche Zusammenleben, um Ethik und Moral, um Macht und Kommunikation. Dass aber auch diese für ihn eng mit Religion verknüpft sind, zeigt sich in Werken wie "Den Stillen", einer expliziten Aufnahme traditioneller Motive des Letzten Abendmahls. Doch hier wird keine neue Gemeinschaft gestiftet. Stattdessen sind den Figuren die Münder verbunden. Auch sonst zeigen sie sich unfähig zur Aufnahme von Beziehungen. Das Bild gehört zur aktuellsten Serie mit dem Titel "Regelwerk": Nach welchen Regeln formiert sich Gesellschaft?

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Auch die ganz neuen Werke sind davon beeinflusst, beispielsweise "Landgericht". Das Gemälde zeigt einen Richter mit Hut an einem schmalen Tisch - ein Zitat übrigens des französischen Karikaturisten Honoré Daumier ("Drei Richter in einer Sitzung"). Über seinem Kopf baumeln Schriftrollen an langen Schnüren, ein Bürger verbeugt sich vor ihm. Das Motiv hat er noch einmal abgewandelt in "Und Unwissenheit im Talar": Hier hat der Richter die Augen verbunden und betastet blind einen Teller. Den Künstler treibt es um, dass in seinen Augen Bürgern der Zugang zur Rechtsprechung, zu Entscheidungen der Obrigkeit fehlt, und was die Obrigkeit eigentlich macht, in deren Händen alles liegt.

Schon seinen Zyklus "Totentanz - Wege ins Jenseits" von 2012 will er nicht mehr als rein religiös verstanden wissen. Die Tafeln, die Siebenhüner eigens für die Wiesenkapelle des Klosters Speinshart gestaltet hat, zeigen Tugendallegorien. Auch hier dominiert der dunkle Ton, die Figuren erscheinen fragil, vergehen in der Dunkelheit in ihrem Kampf um Existenz und Bestehen. Die Tugenden, wie Siebenhüner sie darstellt, bieten kaum Schonung - sie bedürfen selbst des Schutzes. Dynamische, wirbelnde Bilder, die sich furchteinflößend, aber zugleich auch kämpferisch und wie eine Aufforderung lesen lassen. Welche Hoffnung bleibt?

Die Werke aus dem "Totentanz" sind in enger Verbindung zum fragmentarisch erhaltenen Fresko der Kapelle und im direkten Bezug zur Architektur entstanden. Normalerweise ist es Marc Siebenhüner nicht wichtig, was mit seinen Kunstwerken geschieht, da für ihn allein der Prozess des Malens entscheidend ist - in diesem Fall war es ihm von Bedeutung, dass der gesamte Zyklus in der Kapelle verbleibt.

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Natascha Gillenberg

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Natascha Gillenberg

Natascha Gillenberg ist Theologin und Journalistin. Sie ist Alumna und Vorstand des Freundes- und Förderkreises der EJS.


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