Lieber erst im Paradies genießen

Der Wein wird in vielen Religionen eher skeptisch beurteilt
Die Göttin darf trinken: Indische Miniatur, 17. Jahrhundert. Foto: akg-images
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Die Göttin darf trinken: Indische Miniatur, 17. Jahrhundert. Foto: akg-images
Wein und Religion sind in Christentum und Judentum eng miteinander verbunden. Aber wie sieht es in den anderen Religionen aus? In der Regel wird dort vor dem Wein gewarnt, weiß Martin Sachse-Weinert, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der fränkischen Gesellschaft für Geschichte des Weins.

Wer sich vornimmt, die Rolle des Weins und den Umgang damit in unterschiedlichen Religionen zu vergleichen, steht vor dem Problem, dass sich nur wenige relevante Vergleichsaspekte finden lassen. Denn der Gebrauch von Wein in kultischen Handlungen sowie seine Erwähnung in Texten hängt vor allem davon ab, in welchem Maße überhaupt Wein in dem entsprechenden Verbreitungsgebiet der Religion verwurzelt ist. Das heißt konkret: Wurde beispielsweise in Ostasien zur Zeit der buddhistischen Religionsstiftung wenig Wein angebaut, so finden sich auch kaum Belege für seine Relevanz in religiöser Hinsicht. In buddhistischen und hinduistischen Zitaten fehlt zudem häufig eine entsprechende Benennung, es finden sich stattdessen generalisierende Angaben wie "Alkohol" oder "Branntwein". Diesem Text soll aber unser traditionelles Verständnis von "Wein" zugrunde liegen, also der vergorene Saft aus Trauben.

Wein, Religion und Blasphemie

Das Thema ist aktuell und sorgte im vergangenen Jahr sogar für juristische Auseinandersetzungen im Rahmen des Prozesses gegen den türkischen Starpianisten Fazil Say. Dieser hatte im April 2012 über Twitter einen Satz publiziert, der dem mittelalterlichen persischen Dichter Khayya¯m (1048-1131) zugeschrieben wird: "Du [Mohammed] behauptest, durch die Bäche [des Paradieses] wird Wein fließen - ist das Paradies etwa eine Schänke?" Der bekennende Atheist wurde deshalb am 15. April diesen Jahres wegen Blasphemie zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Auch die Situation in Venezuela gibt Anlass zur Sorge: Ende Mai wurde bekannt, dass der so genannte vino ecclesia, der Wein für die Heilige Kommunion, aufgrund wirtschaftlicher Restriktionen zur Neige geht. Die Bischofskonferenz des Landes suchte deshalb umgehend nach Lösungen: "If it is impossible to obtain wine for Mass certified by other bishops' conferences, the purest and most natural wine possible should be used instead." Beide Sachverhalte dokumentieren eindrücklich die Interdependenz zwischen Wein und Religion auch in heutiger Zeit.

Wie bedeutend der Wein in der biblischen Tradition ist, zeigt schon ein Blick in das Buch der Bücher. Darin finden sich insgesamt 173 Belegstellen, davon 134 Zitate im Alten Testament, 21 Erwähnungen in den Apokryphen und achtzehn Nennungen im Neuen Testament. "Wein" steht damit jedenfalls an 298. Stelle der häufigsten Wörter im Alten Testament. Damit übertrifft es andere bedeutsame Wörter wie "Licht" und "Kraft" zahlenmäßig bei Weitem, ja sogar einen so zentralen Begriff wie "Gerechtigkeit".

Der erste Winzer

Relativ einfach festzustellen ist, dass die erste Erwähnung des Rebensaftes im Buch Genesis erfolgt: "Noah wurde der erste Ackerbauer und pflanzte einen Weinberg." Damit ist Noah zugleich der weltweit erste Winzer, da er unmittelbar nach der Sintflut Reben anpflanzte. Das dokumentiert die Bedeutung von Wein in der jüdischen Tradition beispielhaft, mag aber auch ganz praktische Gründe haben: Weinreben brachten schon nach drei Jahren Erträge, während sich hingegen etwa der Olivenanbau erst nach sieben Jahren rechnete.

Der Prophet Jesaja liegt mit immerhin vierzehn Erwähnungen rein zahlenmäßig an der Spitze. Insgesamt finden sich sowohl Warnungen (Prophet Hosea: "Wein und Most rauben den Verstand.") als auch positive Empfehlungen bei einem - in der damaligen Zeit und Region verbreiteten - regelmäßigen, aber mäßigen Genuss: Wein sei gut und erfreue das Herz.

Die ersten Hinweise auf Wein im Talmud findet man im 6. Kapitel des Mischnah Berachot, wo der Rebensaft gleich mehrfach erwähnt wird, beispielsweise in Vers 5: "Hat man über den Wein vor der Mahlzeit den Segen gesprochen, so befreit man dadurch den Wein nach der Mahlzeit." Überhaupt sind (Wein-)Trauben von existenzieller Bedeutung in Bezug auf die Differenzierung zwischen Gut und Böse: Im babylonischen Talmud findet sich der Hinweis, die Vertreibung aus dem Paradies sei nicht auf den Verzehr eines Apfels, sondern auf den Genuss von Trauben zurückzuführen.

Trinkgelage und fehlerhafte Gebete

Für die heutige Zeit gibt die "Kaschruth" (jüdische Speisegesetze) genaue Vorschriften. Dem Juden ist sein Genuss nur erlaubt, wenn der Wein "koscher" hergestellt wurde. Dafür ist wichtig: Vom Setzen der Pflanzen im Weinberg bis zur Abfüllung des Weins in die Flaschen sind bei allen Arbeitsschritten genaue Vorschriften zu beachten. So darf im Weinberg frühestens im vierten Jahr nach der Pflanzung geerntet werden, keinerlei Enzyme und Bakterien dürfen zugesetzt werden und am ganzen Vorgang nur Männer beteiligt sein, die "den Schabbat halten". Ein Rabbi überwacht dies und gibt zum Schluss seinen Segen. Keinesfalls sollte der Wein von einem "Nichtjuden" berührt werden, doch lässt der Talmud Ausnahmen zu: Wird der Rebensaft gekocht, dann darf dieser Wein (hebräisch: "jajin mevuschal") auch mit "Nichtjuden" in Berührung gekommen sein. Wird er dagegen nicht erhitzt, so ist er ein "stam jenam". Dieser ist dann "allenfalls für geschäftliche Gründe, nicht aber für das Vergnügen" geeignet.

Insgesamt strenger wird im Islam zumindest der irdische Genuss des Weins beurteilt. In einem frühen Text benennt der Koran zwar auch die "Weinstöcke" als Schöpfung Gottes: "Er ist es, der aus den Wolken Wasser hernieder kommen lässt [...] Damit lässt er das Getreide wachsen und die Ölbäume, Dattelpalmen und Weinstöcke." Den Gläubigen werden im Paradies nicht nur Früchte und Fleisch versprochen, sondern auch "Ströme von Wasser, Milch, Wein und Honig". Koranerläuterungen heben allerdings hervor, dass der Wein des Paradieses nicht trunken mache. Später verurteilt der Koran ein Übermaß an dem berauschenden Getränk, bedingt wohl dadurch, dass die Prophetengefährten Trinkgelage abgehalten hatten und ihnen anschließend Fehler im rituellen Gebet unterlaufen waren.

Als Gewährsmann für die Darstellung von Wein in der islamischen Belletristik mag uns der persische Autor Hafes gelten, der um 1320 geboren wurde. Von ihm kennen wir viele Gedichte, die den Weingenuss thematisieren: "Gestern zechend, traumverloren, / hörte ich es pochen leis: / Klopfend an der Schenke Toren / standen - Engel still im Kreis. / Unsers Vaters Adam Asche / taten sie in den Pokal, / Ihr vermählend aus der Flasche / den Weines Purpurstrahl. / Huldvoll bot der gotterkor'nen / lichten Welten sel'ge Schar / Mir, dem nieder'n Staubgebornen, / den gefüllten Becher dar."

Im Tantra gestattet

Von besonderem Interesse ist nicht nur die freudvolle Erkenntnis, dass Engel Wein ausschenken. Interessant ist in Bezug auf die Engel oder "huris" auch die neuere Forschung. Demnach wurden bei der Übertragung des Korans aus dem Arabischen diverse Begriffe falsch gedeutet: Nicht "Jungfrauen" warten demnach im Paradies auf uns, sondern "weiße, kristallklare Trauben". Jeder einzelne mag für sich entscheiden, welche Aussicht für ihn erfreulicher ist ...

Welche Rolle spielt der Wein in den fernöstlichen Regionen? Eine der fundierenden Schriften des Hinduismus ist der Rigveda, der etwa in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends vor Christus entstand. Der erste Liederkreis enthält zwei Hinweise auf den Branntwein, allerdings immer nur als Vergleichsmaßstab, zum Beispiel "munter machend wie der berauschende Branntwein". An einer einzigen Stelle im siebten Liederkreis wird die Gefährlichkeit des Branntweins explizit hervorgehoben, wenn es heißt: "Nicht ist die Verfehlung eigener Wille, o Varuna; es ist der Branntwein, der Zorn, der Würfel und Unverstand."

Den Wein in seiner gekelterten Form finden wir in einem Kanon der hinduistischen Literatur. Hier heißt es zwar, dass Brahma und Krishna den Wein aufgrund seiner nachteiligen Effekte verdammt hätten. Allerdings gibt es Elemente der esoterischen Tantra-Tradition, die den Weingenuss gestatten. Dabei ist auch eine leichte Form der Berauschtheit erlaubt, da diese den Gläubigen näher zu Gott bringt - ebenso wie der Gebrauch von "Bhang" (Cannabis).

Kein Rausch für den, der wachsam sein will

Für den Buddhismus sei beispielhaft auf das Hauptregelwerk der buddhistischen Mönche verwiesen. Hier existiert ein Kodex, der dem der zehn Gebote vergleichbar ist. Er verbietet das Töten, die Unkeuschheit und das Trinken von Bier oder Wein und anderen alkoholischen Getränken, die eine Grundlage für Rausch und Unachtsamkeit seien.

Der Arzt Paul Dahlke (1865-1928), einer der Wegbereiter des Buddhismus in Deutschland, schrieb in seinem Standardwerk "Buddhismus als Religion und Moral" über das Christentum: "Die Gleichgültigkeit gegenüber dieser Frage [= Wein] ist bei einer Religion, die sich selber frühzeitig als Weltreligion begriff, kaum zu verstehen. Es ist einer der Punkte, an denen man zu fühlen meint, wie jung Jesus war, als er starb, und wie eng sein Bildungsgang war." Mit Blick auf Jesus fährt Dahlke überheblich fort: "Mit dreißig Jahren kann man die Dinge und ihre gedanklichen wie sozialen Folgen nicht so durchdacht haben wie etwa mit fünfzig oder sechzig Jahren." Danach geht Dahlke auf den Weingenuss im Buddhismus selbst ein: "Im Buddhismus verbietet sich der Genuss geistiger Getränke von selber. Denn ein Mensch, der all und jedes, was er erreicht, durch stets wache Achtsamkeit, durch nie ermüdende Nachdenklichkeit erreichen muss, der darf naturgemäß keine berauschenden Getränke trinken."

Auch christliche Heilige gründen ihre Bekanntheit manchmal auf Wein. So wurde der Legende nach der Heilige Theonest, der um 420 Bischof von Mainz war, aufgrund seines Glaubens gefoltert und im Anschluss in einem Kufen mit gärenden Trauben im Rhein ausgesetzt. Theonest gelobte, an der Stelle, wo sein Kufen angeschwemmt werde, Wein anzubauen gemäß dem Buch der Könige: Denn dort werde man sicher wohnen, ein "jeglicher unter seinem Weinstock". Und da der Kufen auf Lateinisch "Cuba" heißt, entwickelte sich daraus der heutige Ortsname "Kaub".

Schutzpatron der Winzer

Auch die Gründung Sankt Goars geht auf einen Heiligen zurück. Dieser kam um 570 aus Frankreich an den Rhein und brachte angeblich ein Fass mit, das niemals leer wurde (ausgeschenkt wurde allerdings nur an diejenigen, die sich zuvor hatten taufen lassen).

Der Heilige Urban verdankt seinen Titel als Schutzpatron der Winzer wohl seinem - historisch nicht belegbaren - Dekret, für das Abendmahl dürfe nur ein garantiert reiner Wein aus silbernen Kelchen getrunken werden. Allerdings wird er, bekannt als Papst Urban I., hier mit Urban von Langres verwechselt, der sich vor seinen Verfolgern erfolgreich hinter einem Weinstock verbarg.

Schließlich ist der Apostel Johannes zu nennen. Er bekehrte der Legende nach einen Heiden, indem er einen Giftbecher lehrte wie einen Schoppen Wein - ohne Schaden zu nehmen. So ist denn auch der Johannisberg im Rheingau eine der besten Weinlagen der Gegend. Heinrich Heine merkt dazu an: "Mon Dieu, wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, dass ich Berge versetzen könnte: Der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe." Eine Tradition allerdings im Zusammenhang mit Johanniswein verbot die katholische Kirche im Lauf der Zeit: Es war nämlich üblich, dass in den Weindörfern das Trauergefolge mit dem Sarg vor jedem Hause hielt, um einen Becher zu leeren - mit entsprechenden Folgen bei der Ankunft am Friedhof.

Aufklärung scheint abschließend vonnöten im Hinblick auf den Spruch "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang", der nicht Martin Luther zu zu schreiben ist. Das Zitat wurde erst 1775 im "Wandsbecker Boten" von Matthias Claudius veröffentlicht und darf mithin als eines der berühmtesten apokryphen Luther-Zitate gelten.

Literatur

Otto Böcher: Wein und Religion. Laudatio im Rahmen des Urbanstags 1989, hrsg. vom Museum für Weinkultur Deidesheim e. V. in der Reihe: Schriften zur Weinkultur Nr. 3. Deidesheim. 48 Seiten, Euro 5,-.

Stefan Rhein: Martin Luther und der Wein. "Der Wein ist gesegnet". In: Schriften zur Weingeschichte Nr. 175 (2012), hrsg. von der Gesellschaft zur Geschichte des Weines e. V., Wiesbaden 2012. 44 Seiten, Euro 5,-.

Martin Sachse-Weinert: In vino varietas - Wein in der Literatur. BoD, Norderstedt 2010, 312 Seiten, Euro 19,90.

Wolfgang Slapansky: Das Wunder Wein. Kult - Fest - Ritual. Residenz, St. Pölten 2009. 92 Seiten, Euro 17, 90.

Wolfgang Zwickel: Wein und Bibel. In: Kulturgut Rebe und Wein, hrsg. von Helmut König und Heinz Decker. Springer, Heidelberg 2012, 295 Seiten, Euro 24,99.

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Martin Sachse-Weinert

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