Wolf im Schafspelz

Oboe, Klavier und Nazi-Terror
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Diese CD ist ein bemerkenswertes Unterfangen. Sie versammelt lauter Stücke, die zwischen 1935 und 1941 entstanden sind - für eine Gattung obendrein, die alles andere als alltäglich ist, dem Duo aus Oboe und Klavier.

Die Frau hat es sich in Erwartung einer ausgiebigen Fußmassage auf dem Sofa bequem gemacht. "Können wir eine andere Musik hören?", erkundigt sie sich. "Findest Du nicht, dass Hindemith als Massage-Musik taugt?", will der Mann wissen. Die Frau denkt einen Moment lang nach: "Ich bin nicht mal sicher, ob Hindemith als Musik taugt." Diese Frage soll und muss hier nicht erörtert werden. Doch der Dialog demonstriert aufs Neue, wie sehr Musik von den Umständen abhängt, die sie begleiten. Schon deshalb ist diese CD ein bemerkenswertes Unterfangen. Sie versammelt lauter Stücke, die zwischen 1935 und 1941 entstanden sind - für eine Gattung obendrein, die alles andere als alltäglich ist, dem Duo aus Oboe (gespielt von Birgit Schmieder) und Klavier (Akiko Yamashita). Nun ist die Versuchung groß, in den Werken nach Spiegelungen des eskalierenden Nazi-Terrors zu lauschen. Zumal ein Blick in die Biographie der Komponisten dieses Suchen bestätigt: Paul Hindemith ging ins amerikanische Exil, auch Benjamin Britten emigrierte für drei Jahre in die usa. Der griechische Schönberg-Schüler Nikos Skalkottas konnte zwar aus Deutschland nach Griechenland zurückkehren, wurde dort aber von den deutschen Besatzern verdächtigt, ein Widerstandskämpfer zu sein und schwer misshandelt. Kurz nach dem Kriegsende starb er. Der jüdische Komponist Pavel Haas wurde in Auschwitz ermordet. Doch die Musik lässt sich nicht allein auf dieser Ebene hören und verstehen. Skalkottas' "Concertino for Solo Oboe and Piano Accompaniment" etwa beginnt zwar mit sperrigen, verstörenden Klängen, klingt aber in einem optimistischen Dur aus. Haas' "Suite for Oboe and Piano" ist von einer Traurigkeit durchdrungen, als hätte er eine Vorahnung seines Abtransports nach Theresienstadt zwei Jahre später gehabt - und mündet doch in eine beinahe sonnige Atmosphäre. Brittens "Two Insect Pieces" ist eine fröhliche, lebensnahe Naturstudie. Und bei Hindemith finden sich in der 1941 komponierten Sonate für Englischhorn und Piano Motive, die den Krieg nicht einmal in der Ferne ahnen lassen. Und doch lässt er sich nicht verdrängen. Er offenbart sich in oft langen Passagen der Melancholie, die fast alle Stücke durchsetzen. Eine friedliche Stimmung gaukelt bisweilen auf der Oberfläche - trauen mag man ihr nicht. Und für diese Wirkung ist die Oboe das perfekte Instrument. Birgit Schmieder spielt sie wie ein Wolf im Schafspelz, mit einem genauen Gespür für die Schwere unter der Leichtigkeit, für die Angst in der Hoffnung. Akiko Yamashita am Klavier ist viel mehr als eine Begleiterin, gerade in Brittens titelgebenden "Zeit-Variationen" gibt sie Richtung und Weg vor. Die Frau hat natürlich Recht. Das ist keine Begleitmusik für entspannte Momente. Sollte es bestimmt auch nie sein.

Temporal Variations. Music for Oboe and Piano between 1935 and 1941. Audite/Deutschlandradio Kultur 92.539.

Ralf Neite

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