Flucht aus der heiligen Stadt

In Mali bleibt den Menschen allein die Hoffnung auf Hilfe von außen
Foto: Jens Grossmann
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Im westafrikanischen Mali spitzt sich derzeit ein Konflikt von internationaler Dimension zu. Al Qaida-nahe Salafisten haben zwei Drittel des Landes zum Gottesstaat erklärt. Mehr als 170.000 Menschen sind schon jetzt auf der Flucht - in einem Land, in dem langsam die Nahrungsmittel knapp werden, wie Gunnar Rechenburg und Jens Grossmann bei einem Besuch feststellten.

Die Sidi-Yahiya-Moschee im Zentrum von Timbuktu ist ein Heiligtum. Über vierhundert Jahre alt, verehrt, geschützt durch die UNESCO und eine Sage, die ebenso alt ist wie die Moschee selbst. In dieser Sage heißt es: Wenn die Tür des Gotteshauses geöffnet wird, ist das das Ende der Welt.

"Für uns ist es das Ende der Welt", sagt Mirjam Dikko. Sie stammt aus Timbuktu, ihr Haus steht nicht weit entfernt von der Sidi Yahiya. Wenn Mirjam Dikko die Bilder im Fernsehen sieht, wie Menschen mit Spitzhacken alles niederreißen, was Timbuktu zur heiligen Stadt in der Wüste gemacht hat, wird sie immer leiser. Sie sitzt in Diéma im Schatten eines Hauses, das ihrem Cousin gehört, weit mehr als tausend Kilometer von Timbuktu entfernt, im äußersten Westen Malis.

Flüchtling im eigenen Land

Seit Anfang Juni ist sie dort. Ein Flüchtling im eigenen Land. "Wir hatten Glück", sagt sie. Mit dem Bus sind sie und ihre vier Kinder geflohen. Plätze in den öffentlichen Verkehrsmitteln waren rar und dementsprechend teuer. "Es war unglaublich chaotisch in der Stadt. Es gab kaum noch was zu Essen und zu Trinken und überall waren Leute mit Waffen."

Foto: Jens Grossmann
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Der Bus hat sie in vier Tagen von Timbuktu nach Ségou gebracht. Eine beschwerliche Tour durch die Ausläufer der Sahara. Von Ségou sind sie dann auf der Hauptstraße an einem Tag bis nach Bamako gekommen. Dort hat sie sich bei entfernten Verwandten Geld geliehen, um nach Diéma zu kommen. Ihr Mann ist noch immer in Timbuktu. "Er wollte unser Haus nicht alleine zurücklassen." Jeden Tag telefoniert sie mit ihm. Die Lage in der heiligen Stadt wird nicht besser.

Rückkehr der Tuareg

Die Situation in Mali ist verworren. Es gibt drei Konfliktparteien: die Tuareg, die Armee und radikal-islamische Gruppierungen. Seit Jahrzehnten schon kämpfen die Tuareg für einen eigenen Staat im Norden Malis, bislang sind alle Aufstände gescheitert. Nach dem Tod des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011 wurden die Karten in Nordafrika neu gemischt. Tausende Tuareg, die bislang in Gaddafis Armee gekämpft haben, sind schwerbewaffnet in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Auch nach Mali. Keine drei Monate später haben sie erneut einen Aufstand begonnen.

Die Armee war nicht in der Lage die Situation im Norden unter Kontrolle zu bringen, die Schuld an der Misere gab sie der Regierung in Bamako. Am 22. März hat dann eine Gruppe junger Offiziere die Macht ergriffen und den Präsidenten aus dem Amt gejagt. Die Begründung: Die Staatsführung habe nicht entschieden genug auf die Krise im Land reagiert.

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Das Chaos in Bamako hat vor allem einen Gewinner: die Sahara-Al-Qaida-Gruppe Anzardine, ein internationales Bündnis radikaler Islamisten aus Pakistan, Afghanistan, Kenia, Nigeria, Saudi Arabien und Algerien. Zunächst haben sie Seite an Seite mit den Tuareg gekämpft. Als diese dann den Tuareg-Staat ausriefen, begannen die Islamisten ihre eigene Agenda durchzusetzen. Und die heißt schlicht und ergreifend "Scharia". Sie haben die islamische Rechtsprechung zunächst in Timbuktu, Gao und Kidal, den drei wichtigsten eroberten Städten, eingeführt. Der Rest von Mali soll irgendwann folgen.

Schüsse und Peitschenhiebe

Zeitgleich dazu hat das Anzardine-Bündnis angefangen, die Kampfgenossen der Nationalen Befreiungsbewegung (MNLA) zu vertreiben. Das Sagen hat heute Anzardine und damit al-Qaida. "Für mich als Frau war es sehr schwer, überhaupt noch auf die Straße zu gehen", sagt Miriam Dikko. Außerdem sei immer wieder in der Stadt geschossen worden, sie hätten gehört, dass Menschen öffentlich ausgepeitscht und Frauen vergewaltigt worden seien. Mit eigenen Augen habe sie das nicht gesehen, aber Nachbarn hätten es ihr erzählt. Für sie, vor allem aber auch für die Kinder, sei die Lage sehr beängstigend gewesen.

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Die Vereinten Nationen wollen die Zerstörung des unesco-Weltkulturerbes als Kriegsverbrechen bewerten. In den Ohren der Bevölkerung in Timbuktu muss das zynisch klingen. Vergewaltigung, massenhafter Diebstahl, Zerstörung von Krankenhäusern, öffentliche Auspeitschungen scheinen in der restlichen Welt weniger wichtig als die touristischen Sehenswürdigkeiten.

Rohstoffe und Rückzugsraum

Viel dramatischer als Zerstörungen der Moscheen und Gräber in Timbuktu ist das, was dahinter steckt. Warum wollen sich Anzardine im Norden Malis mit aller Gewalt festsetzen? Mit der Eroberung des Nordens haben sich die salafistischen Gruppen einen Korridor von Ost- bis nach Westafrika geschaffen.

Von dort aus können sie nicht nur Handels- und Schmuggelwege quer durch die Sahara überwachen und kontrollieren, sie haben sich so auch die Orte gesichert, in denen in den vergangenen Jahren Rohstoffe, insbesondere Öl und Uran, gefunden wurden. Vor allem aber haben die Islamisten in der Wüste zwischen dem algerischen Hoggar-Gebirge und Timbuktu einen großen Rückzugsraum. Die Lage erinnert immer stärker an die jüngere Geschichte Afghanistans. Die Angelegenheit ist schon längst kein rein malisches Problem mehr.

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Und das ist nicht alles: Zu den politischen Krisen in Bamako und im Norden Malis kommen wieder Nahrungsmittelengpässe, vor allem im Westen des Landes. Dort hat es im vergangenen Jahr kaum geregnet. Die Folge: Ein Totalausfall der Ernte. Aufgrund der schwierigen politischen Lage sind die meisten ausländischen Hilfsorganisationen außer Landes. Eine der wenigen, die nach wie vor im Einsatz ist, ist die Deutsche Welthungerhilfe. Seit 42 Jahren betreibt sie mit lokalen Partnern Entwicklungshilfe. In diesem Jahr muss allerdings wieder Nothilfe geleistet werden. Fünfzigtausend Tonnen Lebensmittel fehlen, und wenn es Nahrung gibt, dann ist sie für die meisten Menschen unerschwinglich.

Nahrungsmittelpreise verdoppelt

"Die Preise für Nahrungsmittel haben sich mehr als verdoppelt. Zudem sind viele Arbeitsplätze weggefallen - vor allem in Kleinbetrieben und Hotels. Die Leute haben somit deutlich weniger Geld und müssen jeden Tag darum kämpfen, dass sie ihr Essen auf den Tisch bekommen", sagt Willi Kohlmus, Landeskoordinator der Welthungerhilfe in Mali. Die Welthungerhilfe verteilt seit April im Westen des Landes Lebensmittel. "Das wird wohl noch bis zum Dezember so weitergehen", sagt Kohlmus. Er selbst hat während des Putsches und in den Tagen danach in Mali ausgeharrt. Er betont: "Politisch ist es eine Katastrophe, was hier passiert. Die Leute haben Angst vor dem, was kommt, weil sie sehen, dass eventuell sogar ein bewaffneter Konflikt ansteht."

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Dann nämlich, wenn die Armee in den Norden einmarschiert. Der Großteil der Bevölkerung würde einen Militärschlag unterstützen. Immer häufiger finden in Bamakos Innenstadt Demonstrationen statt, die ein hartes Durchgreifen des Militärs fordern. Genauso wissen aber auch die meisten, dass die Armee allein kaum in der Lage sein dürfte, die gut ausgerüsteten und trainierten Islamisten zu vertreiben. Was den Maliern bleibt, ist allein die Hoffnung auf Hilfe von außen: militärische und humanitäre.

Timbuktu wird jedoch, so sagen die Einheimischen, nie mehr das sein, was es einmal war. Mirjam Dikko will dennoch zurückkehren. "Sobald es irgendwie möglich ist." Wann das sein wird, bestimmen längst andere.

Text: Gunnar Rechenburg / Fotos: Jens Grossmann

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