Eine Art große Schweiz

Gegen das "Megalopolisch-Unsympathische der EU"
Foto: privat
Das Volk soll bei entscheidenden Fragen möglichst wenig mitzureden haben, es soll nur brav dem zustimmen dürfen, was ihm als alleinseligmachende Wahrheit vorgesetzt wird.

Der CSU-Politiker Peter Gauweiler galt einst als schwarzer Knecht Ruprecht, als Franz Josef Straußens Adept, als einer, der nicht nur physisch, sondern auch geistig Loden trägt. Ob das ihm je Gerechtigkeit hat widerfahren lassen? Seit vielen Jahren erweist er sich jedenfalls als ein unabhängiger Geist. Heißt: Er tut oder sagt nicht bedingungslos, was seine Partei, die öffentliche Medienmeinung oder der unterschwellige Mainstream von ihm erwartet. Zu seinen Meinungen scheint er vielmehr tatsächlich dadurch zu gelangen, dass er sich seines eigenen Verstandes bedient. Seit er als Kläger in Sachen Euro auftritt, hat er zudem den Respekt all jener gewonnen, die es deprimiert, dass in Sachen Rettungsschirm keine wirkliche parlamentarische Opposition existiert, ebenso wie zu der von den Grünen, der SPD und Teilen der CDU angepeilten Vergesellschaftung europäischer Schulden zum Nachteil deutscher Normalverdiener, Rentner und Sparer.

Kürzlich veröffentlichte Peter Gauweiler einen klugen und elegant geschriebenen Essay zur Europadebatte (faz vom 2.8.). Darin spielt er aus ostentativ bayerischer Perspektive mit einer historischen Parallele zu all den behaupteten Europa-Zwangsläufigkeiten, nämlich der Reichsbegeisterung nach 1871: Wer sich damals für zukunftsorientiert und fortschrittlich hielt, war natürlich für Bismarck und (über Bismarcks Ambitionen hinaus) für Deutschlands Weltgeltung - nationale Großmannssucht als Rauschmittel. Dem verfielen weniger Konservative (weder in Bayern noch in Preußen) als Nationale und Nationalisten aller Couleur bis hin zu Liberalen vom Kaliber eines Friedrich Naumann. Wilhelm II.' Forderung nach einem Platz an der Sonne war das, was man heute konsensfähig nennt. Das mündete in den Ersten Weltkrieg, ein gutes Ende war das nicht.

Gewiss, historische Vergleiche hinken. Immerhin sind sie erkenntnisträchtiger als blickdichte Gegenwarts-Scheuklappen. Heute erträumen sich europäische Zentralisten Europa (auch) als globale Macht neben den USA, China und vielleicht noch Russland. Dass ein europäischer Zentralismus als Verrat an allen europäischen Tugenden und allem, was an Europa liebenswert ist, empfunden werden kann, ist ihnen unverständlich. Sorge bereitet ihnen eher, dass sich jener Zentralismus mit demokratischen Mitteln kaum durchsetzen ließe. Sie möchten die Risiken, die der Volkswillen bietet, minimieren. Dazu gibt es längst heimliche oder auch werbewirksam verpackte Bemühungen der Funktionsträger und öffentlichen Plädoyers von Intellektuellen, die allesamt darauf hinauslaufen, die demokratischen Spielregeln zu ändern: Das Volk soll bei entscheidenden Fragen möglichst wenig mitzureden haben, es soll nur brav dem zustimmen dürfen, was ihm als alleinseligmachende Wahrheit vorgesetzt wird.

Die "Enteignung des demokratischen Souveräns wird und muss in der europäischen Öffentlichkeit das zentrale Thema der bevorstehenden Debatte um die Zukunft der Brüsseler Institutionen sein", so Gauweiler. Nicht die zentralistische Großmacht solle Gegenstand einer Europavision sein, sondern eher eine Art große Schweiz. Damit verschwände "das Megalopolisch-Unsympathische der Europäischen Union", wieder einstellen aber würde sich der "unbedingte Respekt vor dem Volkswillen" und ebenso die "Balance von globaler Einbindung und örtlicher Autarkie", meint Peter Gauweiler. Dem lässt sich zustimmen.

Helmut Kremers

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