Personen entdecken

... und Beziehungen entwickeln
Bild
In diesem Band werden zentrale Themen zur evangelischen Profilbildung behandelt, überwiegend in sachkundiger und informativer Weise, wobei die Vielstimmigkeit des Diskurses deutlich abgebildet wird. Dennoch sind auch überraschende Leerstellen zu beklagen.

Herausgeberin und Herausgeber wollen mit ihrem Buch "die theoretische Selbstreflexion und Profilbildung der evangelischen Schulen voranbringen, indem Fragestellungen, die die Profilbildung direkt und indirekt beeinflussen, fokussiert aufgenommen und jeweils aus zwei Perspektiven bearbeitet werden". Der Buchumfang macht es unmöglich, alle Beiträge zu würdigen. Es wird daher das Augenmerk darauf gerichtet, was die Autoren für besonders wichtig hinsichtlich des evangelischen Profils erachten.

Den Anfang machen Beiträge zu Grundlegungsfragen einer evangelischen Bildungs- und Schultheorie: Da geht es um das Bildungsdenken Luthers, das protestantische Bildungsverständnis der Klassiker Luther, Melanchthon, Comenius, Schleiermacher, um die evangelische Rezeption reformpädagogischer Traditionen bei der Neugründung evangelischer Schulen. Auch die Aktualisierungen dieser Themen in zwei Veröffentlichungen der EKD, der Denkschrift "Maße des Menschlichen" (2003) und der Handreichung "Schulen in evangelischer Trägerschaft" (2008) werden bedacht. Ein Beitrag geht auf den Begriff der Identität ein, der sich als ein wichtiges Kriterium für die Sichtung von Bildungskonzeptionen, Schulorganisation, Lehrerprofessionalität und Unterrichtsvollzügen erweist.

"Die Personen entdecken - Die Beziehungen gestalten" - diese bedenkenswerte Formel findet sich im Beitrag "Protestantische Schulkulturen", als Vorschlag zu einem Bildungsleitsatz, der bei der inhaltlichen Füllung des Begriffes der protestantischen Schulkultur als Leuchtfeuer dienen kann. Damit wird die Persönlichkeitsentwicklung in das Zentrum der Überlegungen um ein evangelisches Profil gerückt. Hier besteht innerhalb der so genannten Propriumsdebatte offenbar ein breiter Konsens: Das Thema wird von einer Reihe von Autoren und Autorinnen unter den Begriffen Personalität, Menschenbild, Gottebenbildlichkeit aufgegriffen.

Die Fragen des Schulalltags, der Religion im Unterricht und der Religion im Schulleben werden in weiteren Beiträgen behandelt. Einige Stichworte bezeichnen die Weite des hier beackerten Feldes: Schulgemeinde, Ästhetik, Spiritualität, Architektur und Zeitrhythmen. Aber natürlich hat Schule ihr Zentrum im Unterricht, weshalb auch konkret auf den Religionsunterricht und das Profil der anderen Fächer eingegangen wird.

Die Frage nach der Religion im Schulleben und der Präsenz des Christlichen außerhalb des Religionsunterrichts umfasst die Andachts- und Gottesdienstkultur sowie den weiteren schulischen Festkalender ebenso wie rituelle Formen des achtsamen und respektvollen Umgangs miteinander.

Ein wichtiger Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung ist das diakonische Lernen im spezifisch evangelischen Verständnis, das sich deutlich abhebt von dem "Compassion-Ansatz", der im katholischen Raum stärker beachtet wird und eher als eine Erziehung zu mitleidmotivierter Hilfsbereitschaft zu beschreiben ist.

Die beiden letzten Beiträge des Bandes analysieren mithilfe empirischer Untersuchungen, wie sich Anspruch und Wirklichkeit einer protestantischen Schulkultur zueinander verhalten.

In diesem Band werden zentrale Themen zur evangelischen Profilbildung behandelt, überwiegend in sachkundiger und informativer Weise, wobei die Vielstimmigkeit des Diskurses deutlich abgebildet wird. Dennoch sind auch überraschende Leerstellen zu beklagen: Warum werden weder die Lehrkräfte noch die Schülerinnen und Schüler oder gar deren Eltern als eigenständige Themen berücksichtigt? Dass Schülern und Lehrkräften eine Schlüsselfunktion für die Schule zukommt, liegt auf der Hand. Aber auch den Eltern wird in den Programmen evangelischer Schulen oft ein beachtlicher Stellenwert zugeschrieben - und bei den Neugründungen evangelischer Schulen seit den Neunzigerjahren waren es fast ausschließlich die Eltern, die aktiv geworden waren. Vergeblich sucht man auch nach einer Bearbeitung des Themas Integration/Inklusion.

Die Herausgeberin und der Herausgeber haben für diese Veröffentlichung 29 sachkundige Mitarbeitende gewinnen können und alles in allem ein Werk vorgelegt, in dem man nachschlagen und nachlesen kann, was gegenwärtig hinsichtlich der Profilbildung evangelischer Schulen auf der Tagesordnung steht, also ein Standardwerk.

Martina Kumlehn/ Thomas Klie (Hg.): Protestantische Schulkulturen. Profilbildung an evangelischen Schulen. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2011, 441 Seiten, Euro 34,90.

mehr zum Thema "Bildung"

Gottfried Adam

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"