Akt der Ermutigung

Die Diversität zu einer Kraft des Friedens machen
Der Friedens-Nobelpreis 2012 würdigt ein neues Paradigma des Friedens, das sich auf dem Hintergrund der leidvollen Geschichte des modernen Europas herausgebildet hat.

Die Nachricht kam unerwartet: Die Europäische Union als Empfänger des Friedens-Nobelpreises. Doch nur wenige reagierten so abweisend wie der tschechische Staatspräsident Václav Klaus. Er hielt die Nachricht für einen "Scherz". Man muss offenbar in weiteren historischen Zusammenhängen denken, wenn man den guten Sinn dieser Auszeichnung nachvollziehen will. Dann zeigt sich zum einen ein guter Sinn darin, Frieden schaffende Institutionen auszuzeichnen und nicht nur Personen. Und es zeigt sich zugleich, dass eine solche Auszeichnung zur Überheblichkeit keinerlei Anlass bietet.

Der Friedens-Nobelpreis 2012 würdigt ein neues Paradigma des Friedens, das sich auf dem Hintergrund der leidvollen Geschichte des modernen Europas herausgebildet hat. Versöhnung über Gräben bildete dafür den entscheidenden Impuls. Wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde in den Dienst der Kriegsverhütung gestellt.

Das war die Idee, die 1951 zur "Hohen Behörde für Kohle und Stahl" führte, der ersten Etappe des europäischen Einigungsprozesses. Denn aus dieser "Montanunion" entwickelte sich, was über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bis zur Europäischen Union führte. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte mehr bewirken als nur wirtschaftliche Prosperität; sie stand im Dienst des Friedens.

Geist der Bergpredigt

Das Friedensparadigma, das sich auf diesem Wege herausbildete, ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es mit Verschiedenheit auf neue Weise umgeht. Die europäische Pluralität erwies sich über Jahrhunderte vor allem als konfliktfördernd. Erst die konfessionellen und dann die nationalen Gegensätze führten zu zahlreichen Kriegen. Dieser Grundzug der europäischen Entwicklung zeigte seine Tragik insbesondere in zwei dreißigjährigen Kriegsperioden, einer im Zeitalter der Konfessionskriege von 1618 bis 1648, einer weiteren im Zeitalter der Weltkriege von 1914 bis 1945.

Erst nach 1945 setzte sich die Überzeugung durch, dass die europäische Pluralität nicht länger zum Antagonismus führen darf. Die wichtigste Einsicht der Nachkriegsepoche bestand darin, dass diese Pluralität auf dem Weg von Versöhnung und Kooperation eine friedensfähige Gestalt annehmen kann.

Aus der Perspektive des christlichen Glaubens ist die Feststellung nicht übertrieben, dass etwas vom Geist der Bergpredigt in diesem Neuansatz europäischer Politik zur Geltung gekommen ist. Dass dieses Modell inzwischen auch den Osten und den Westen Europas miteinander verbindet, bietet bis zum heutigen Tag Anlass zu dankbarem Staunen.

Dieses politische Friedensmodell, das biblischem Geist eine weltliche Gestalt gibt, wurde durch die überraschende Nachricht ins Licht gerückt, dass der Europäischen Union der Friedens-Nobelpreis zuerkannt wurde. Sicher liegt in dieser unerwarteten Auszeichnung auch ein Akt der Ermutigung in schwieriger Zeit. Aber vor allem drückt sich darin die Dankbarkeit dafür aus, dass zwischen den europäischen Völkern in all ihrer Unterschiedlichkeit Frieden herrscht - worin zugleich ein großes Versprechen für die Zukunft zu sehen ist. Denn Diversität aus einer Quelle des Konflikts zu einer Kraft des Friedens zu machen, ist eine Schlüsselaufgabe des 21. Jahrhunderts, weit über Europa hinaus.

Wolfgang Huber

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