Zukunft als radikal Neues

Theologie und Kirche müssen sich stärker mit der Apokalyptik auseinandersetzen
Repliken eines Mayakodexes sind Teil der Dresdner Ausstellung „Weltuntergang 2012?“ Foto: dpa/Matthias Hiekel
Repliken eines Mayakodexes sind Teil der Dresdner Ausstellung „Weltuntergang 2012?“ Foto: dpa/Matthias Hiekel
Theologie und Kirche müssen mit der Einsicht Ernst machen, dass die Menschheit keine Überlebensgarantie hat, meint der Systematiker Ulrich H. J. Körtner, der an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien lehrt. Und er skizziert eine "gegenwartstaugliche Theologie der Zukunft".

Wieder einmal naht angeblich das Ende der Welt. Doch anders als im Jahr 2000 folgt es dieses Mal nicht dem christlichen Kalender, sondern dem der alten Mayas. Und der endet am 21. Dezember 2012. Auf die Katastrophe eingestimmt hat uns schon vor drei Jahren der Regisseur Roland Emmerich mit dem Film "2012". Seine Handlung ist einigermaßen vorhersehbar und dennoch in mehrfacher Hinsicht interessant.

Einerseits liefert der Streifen Indizien dafür, wie sehr eine nachchristliche Spiritualität und Weltsicht auf dem Vormarsch ist. Während 1983 die Welt im Katastrophenfilm "The Day after" im Inferno eines Atomkriegs unterging und sich die Überlebenden unter Leitung eines christlichen Geistlichen zum Gebet versammelten, taucht in "2012" als christliche Symbolfigur nur ganz am Rande der Papst auf. Wie andere Prominente flüchtet er auf eines der großen Rettungsschiffe, ohne noch eine religiöse Botschaft zu verkündigen. Dafür spielt ein tibetischer Mönch eine wichtige Nebenrolle.

Emmerichs Untergangsmythos speist sich aus der Kombination einer außerchristlichen Kultur mit biblischen und christlich-apokalyptischen Motiven. Im Grunde erzählt der Film Sintflutgeschichte: Am Himalaya werden gigantische Archen gebaut, die Raumschiffen gleichen. Der interreligiöse Mix zeigt also, dass die biblische Tradition durchaus weiter fortwirkt. Die neue Maya-Apokalyptik ist im Grunde ein westliches, vom Christentum beeinflusstes Produkt.

Auch die vielzitierte Weissagung der Hopi-Indianer, "erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann", ist in Wahrheit nicht indianisch, sondern wurde 1962 von zwei US-Geographen in Umlauf gebracht. Und ein moderner Mythos ist auch die in der Umweltbewegung verbreitete Rede des Häuptlings Seattle, über die in Kirchen gern gepredigt wird.

Kehrseite der Utopie

In den vergangenen Jahrzehnten haben apokalyptische Ängste und Phantasien immer wieder die westlichen Gesellschaften geplagt, auch im Film und in der Literatur. Die atomare Hochrüstung und die fortschreitende Zerstörung der Umwelt beschworen kollektive Visionen des möglichen Untergangs herauf. Und zu realen Zukunftsängsten kommt das Unterhaltungsbedürfnis, das die Filmbranche bedient.

Apokalyptik ist die Kehrseite der Utopie. Von Beginn an ist der Fortschrittsoptimismus der Moderne von einer Unterströmung apokalyptischen Denkens begleitet worden. Dies beschränkt sich nicht auf Sekten, die immer schon intensive Endzeiterwartungen gehegt und gepflegt haben. Apokalyptische Ängste und die Schrecken, auf die sie reagieren, "begleiten die Geburt der modernen Welt", wie der französische Historiker Jean Delumeau schreibt.

Zwar schienen mit dem Ende des Ost-West-Konflikts der Geist der Utopie und ihr Gegengeist, die Apokalyptik, zu erlöschen. Schließlich war laut Francis Fukuyama im Sinne Hegels das Ende der Geschichte eingetreten, wenngleich auf eine unapokalyptische Weise.

Inzwischen hat Fukuyama seine These freilich revidiert. Aber was folgt daraus? Heißt es, dass Menschheit und Kosmos eine unendliche Geschichte vor sich haben? 1979 veröffentlichte Michael Ende seinen Roman "Die unendliche Geschichte", mittlerweile ein Klassiker der deutschen Kinderbuchliteratur. Aber kann es eine Geschichte ohne Ende überhaupt geben? Setzt eine erzählbare Geschichte nicht immer schon voraus, dass man ihr Ende kennt? Nebenbei bemerkt hatte Michael Ende zeitweilig erhebliche Mühen, seinen Roman abzuschließen, weil ihm zunächst kein überzeugendes Ende einfiel. Vor diesem Problem steht nicht nur jeder Geschichtenerzähler und Romancier, sondern auch die wissenschaftliche Geschichtsschreibung.

Die Entdeckung der Zukunft

Wenn man aber eigentlich schon das Ende der Geschichte kennen muss, bevor man sie erzählen kann, ist dann die Vergangenheit nicht der Gegenstand jeglicher Geschichtsschreibung? Beginnt dann nicht jede Historiographie wie jede Erzählung mit den einleitenden Worten: "Es war einmal ..."?

Zur Geschichte der modernen Geschichtstheorie gehört freilich auch die Entdeckung der Zukunft als gemeinsamen gesellschaftlichen Erwartungszeitraum. Nicht nur die Geschichtswissenschaft, sondern auch die Theologie fragt nach dem Unabgegoltenen der Vergangenheit. Die eigene Gegenwart kann nicht länger als das Ende der Geschichte gesehen werden, auf das die Vergangenheit hinausläuft. Vielmehr hat die Gegenwart eine eigene Zukunft, die sich mit unseren Erwartungen nicht decken muss. Folglich kann es auch keine abschließenden Urteile über die Vergangenheit geben.

So wichtig die Kategorie der Zukunft für unser Verständnis von Geschichte und Gegenwart ist, so nachdrücklich muss doch auch die Frage gestellt werden: Welche Rolle spielt der Gedanke des Endes und die Kategorie der Endlichkeit für unser Verständnis von Zukunft? Ist diese prinzipiell als unendliche zu denken, oder ist sie endlich wie wir selbst? Es stellt sich mit anderen Worten die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Zeit.

Die heute gängige physikalische Kosmologie nimmt an, dass der Kosmos und damit die Zeit einen Anfang hatten, der sogenannte Urknall oder Big Bang. Muss aber, was einen Anfang hat, notwendigerweise auch ein Ende haben? Und wäre dann Unendlichkeit mit Ewigkeit gleichzusetzen? Oder unterscheiden sich beide Begriffe voneinander? Solche Fragen führen uns in den Bereich der Theologie. Und tatsächlich lässt sich beobachten, dass auch eine vermeintlich rein profane Geschichtsschreibung nicht ohne gewisse Hintergrundannahmen auskommt, metaphysische oder gar theologische, wobei es sich nicht unbedingt um christliche Theologie handeln muss.

Hoffnung und Angst zugleich

In den Sechzigerjahren entdeckte die evangelische Theologie wieder die Zukunft. Jürgen Moltmanns "Theologie der Hoffnung", aber auch die Werke Wolfhart Pannenbergs und Gerhard Sauters loteten unterschiedliche Möglichkeiten einer Theologie der Zukunft aus. Und dabei spielte die Auseinandersetzung mit der biblischen Apokalyptik eine tragende Rolle. Besonders Pannenberg machte geltend, dass erst die jüdische Apokalyptik, die nach Ernst Käsemann Mutter aller christlicher Theologie ist, die Vorstellung einer Universalgeschichte entwickelt hat. Moltmann versuchte freilich zu unterscheiden zwischen einer aus seiner Sicht pessimistischen Apokalyptik, die er ablehnte, und einem Messianismus, in dessen Tradition er seine neue politische Theologie stellte. Doch diese Unterscheidung geht so einfach nicht auf. Auch bedarf es neben einer Theologie der Hoffnung recht verstanden einer Theologie der Angst, genauer gesagt einer Theologie des Mutes zum fraglichen Sein.

Es wäre aber zu einfach, wollte man der Utopie die Hoffnung und der Apokalyptik das Gefühl der Angst zuordnen. Apokalyptik als eine Form der Gegenutopie thematisiert vielmehr Hoffnung und Angst zugleich. Untergangsvisionen bilden nur den dunklen Hintergrund für die apokalyptischen Hoffnungsbilder von einer neuen Welt. Interessanterweise speist sich auch die religiöse Vorstellungswelt islamistischer Gewalttäter in hohem Maße aus einem apokalyptischen Weltbild.

Flutkatastrophen und Klimawandel halten die ökologische Frage im öffentlichen Bewusstsein wach. Und gleichzeitig ist der nach 1989 verloren geglaubte Geist der Utopie in Gestalt einer neuen Technikgläubigkeit zurückgekehrt. Auch der biomedizinische und gentechnologische Fortschritt löst sowohl Hoffnungen als auch kollektive Befürchtungen aus.

Neben traditionellen Formen von Apokalyptik, wie sie uns in Endzeitsekten begegnen, gibt es heute freilich eine säkulare - gewissermaßen halbierte - Apokalyptik. Sie sieht das Ende nahen, kennt aber keine Hoffnung auf Erlösung mehr. Anders als die ältere religiöse Apokalyptik kann die säkulare unserer Tage zwischen Ende und Heil, zwischen Endlichkeit und Vollendung keinen Zusammenhang mehr erkennen.

Lust am Untergang

Angesichts periodisch aufbrechender Endzeitängste sollten sich Theologie und Kirchen sowohl mit modernen Spielarten von Apokalyptik auseinandersetzen als auch mit dem eigenen apokalyptischen Erbe. Schließlich hat Jesus den Anbruch der kommenden Gottesherrschaft und das Ende der bestehenden Welt verkündigt. Und mit seinen Worten beten die Christen im Vaterunser bis heute: "Dein Reich komme."

Das griechische Wort apokalypsis bedeutet Offenbarung oder Enthüllung. Apokalyptik enthüllt die Katastrophalität der Wirklichkeit, aber auch die Katastrophalität der Erlösung, für die das Kreuz Christi steht. Apokalyptik ist Enthüllung der Wirklichkeit im Untergang. Ihre Ambivalenz besteht in ihren (Selbst-) Bestrafungs- und Rachephantasien, die in eine Lust am Untergang umschlagen können, die dem Evangelium widerspricht.

Die Haltung des christlichen Glaubens zur Welt ist dialektisch. Einerseits heißt es bei Paulus, die Gestalt dieser Welt werde vergehen. Andererseits ist im Johannesevangelium zu lesen, dass Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er zu ihrer Errettung seinen eigenen Sohn gesandt hat. Das Kreuz ist gleichermaßen Ausdruck des göttlichen Gerichtes wie der göttlichen Liebe zu seiner Schöpfung. Christlicher Glaube ist Weltbejahung, die durch Weltverneinung hindurchgeht.

Keine Garantie

Was aber bedeutet die christliche Botschaft im Zeichen der heutigen globalen Gefahren für Mensch und Natur? Theologie muss mit der Einsicht Ernst machen, dass die Menschheit keine Überlebensgarantie hat. Auch der christliche Glaube hat eine solche nicht zu bieten, und er lässt sich nicht auf den ethischen Appell zur Bewahrung der Schöpfung reduzieren.

Christlicher Glaube ist nicht gleichbedeutend mit der Hoffnung auf den Fortbestand der Welt. Aber er ist auch etwas anderes als die apokalyptische Hoffnung auf eine andere Welt jenseits der möglichen Katastrophe. Vielmehr bejaht der Glaube die Welt angesichts ihrer real möglichen Vernichtung.

Was heute weitgehend fehlt, ist ein theologisch gehaltvoller Begriff der Zukunft. Zwar reden die Kirchen im Zusammenhang mit demographischem Wandel und laufenden Reformprozessen ständig von Zukunft, aber sie tun das meist sehr untheologisch.

Auch wenn der Fortschrittsoptimismus der Sechzigerjahre der Vergangenheit angehört, wir brauchen eine gegenwartstaugliche Theologie der Zukunft. Während der Prediger Salomo behauptet, es gebe nichts Neues unter der Sonne, spricht der erhöhte Christus in der Johannesoffenbarung: "Siehe, ich mache alles neu." Und um dieses radikal Neue geht es, wenn in der Jesustradition von der Zukunft die Rede ist. Mit dem Wort "Zukunft" übersetzt Luther das lateinische adventus. Das aber ist die Übersetzung des griechischen parousia. Mit ihm wird im Neuen Testament das endzeitliche Kommen Gottes zum Gericht und die erhoffte Wiederkunft Christi bezeichnet.

Zu-Kunft statt Futur

Wie das Wort Parusie hatte auch das deutsche Wort Zukunft bis ins 18. Jahrhundert hinein eine eschatologische Bedeutung. Das lateinische Wort futurum meint demgegenüber die Fortsetzung der Gegenwart und des Bestehenden. Zu-Kunft bedeutet, dass Gott auf die Welt zukommt. Und nach dem Neuen Testament ist er in der Person Jesu von Nazareth in die Welt gekommen, um sie von Grund auf zu erneuern. Der Gott der Bibel ist also, anders als der Philosoph Ernst Bloch meinte, kein Gott mit futurum, sondern mit adventus als Seinsbeschaffenheit.

Eine Theologie der Zukunft ist nicht durch den futurischen Zusammenbruch der Welt gegründet, sondern durch den adventlichen Einbruch Gottes in diese Welt. Er spielt Mensch und Welt neue Möglichkeiten zu. So entsteht aus der absoluten Zukunft Gottes eine, wenn auch endliche Zukunft im Sinne eines futurum, das der Mensch gestalten kann und soll. Der adventus Gottes ermöglicht die Erfahrung einer neuen Zukunft inmitten aller Zukunftslosigkeit.

Er schafft damit Raum für Hoffnung. Diese und der Mut lassen sich deshalb nicht gegeneinander ausspielen. Doch besteht zwischen beiden ein Gefälle. Aus dem Mut erwächst die Möglichkeit neuer Hoffnung inmitten aller Hoffnungslosigkeit - nicht aber umgekehrt. Allerdings hat sich der Glaube zu bewähren im Protest und praktischen Einsatz gegen alles Katastrophische, das die Welt apokalyptisch werden lässt. Aber er richtet seine Hoffnung auf Gott als den Herrn der Geschichte. Er produziert nicht, sondern proklamiert einen Sinn des Lebens und der Welt, der einzig von Gott kommt und selbst angesichts der möglichen Selbstzerstörung der Menschheit Bestand hat.

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Ulrich H. J. Körtner

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