Im Nebel

Über die Nachkriegskinder
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Das Buch liefert nicht nur eine Typologie der Soldatenväter in der Nachkriegszeit. Ihre Kinder kommen zu Wort und beschreiben, wie diese Prägungen sie noch immer belasten.

"Nebel" ist ein Begriff, der in diesem Buch sehr häufig auftaucht. Immer dann, wenn es darum geht, herauszufinden, was in den Kriegsjahren genau passiert ist. Die Betonung liegt dabei auf "genau". Denn hier geht es nicht um exakte Daten und Statistiken, nicht um eine akademische, sondern um eine emotionale Aufarbeitung. "Und wo sollte diese beginnen, wenn nicht in der eigenen Familie?", fragt die Journalistin Sabine Bode, die das Themenfeld bereits seit Jahren beackert.

2004 erschien ihr Buch "Die vergessene Generation", in dem sie mit vielen Fallbeispielen die im Zweiten Weltkrieg Geborenen zu Wort kommen lässt und auf ihre Traumata, Verwundungen und Prägungen hinweist. Zwei Jahre später folgte ein Buch über die Kinder dieser Kriegskinder, "Kriegsenkel", die in den Sechziger- und Siebzigerjahren Geborenen, die noch immer das verstörende Kraftfeld des Krieges spüren. Mit ihrem dritten Generationenbuch "Nachkriegskinder" hat Bode nun die Lücke zwischen den ersten beiden geschlossen - und sich gleichzeitig an ihre eigene Generation der in den Fünziger- und Sechzigerjahren Geborenen herangewagt.

Diese hat ja viel versucht, den Nebel zu lichten. Vor allem durch die bohrenden und oftmals anklagenden Fragen der 68er an ihre Eltern, die den Krieg als Erwachsene erlebt hatten, die Väter in der Regel als Soldaten. Was haben sie gewusst? Was haben sie getan? Hat mein Vater Menschen getötet? War er ein Nazi? Ein Mörder?

An diesen Punkten, das wird an den vielen Fallbeispielen klar, die Sabine Bode erzählt, herrschte in den deutschen Nachkriegsfamilien Schweigen. Das spürten die Nachkriegskinder ebenso, wie sie die gestörte Gefühlswelt ihrer oft traumatisierten Eltern wahrnahmen. Das Buch liefert so etwas wie eine Typologie der Soldatenväter in der Nachkriegszeit: Der Kettenraucher, der zu cholerischen Anfällen neigte und Vorbild für das HB-Männchen war; der emotional Überforderte, der vor dem Familienleben floh; der autoritäre Vater, der die schwarze Pädagogik, unter der er selber noch litt, an seine Kinder weitergab. Ihre Kinder kommen zu Wort und beschreiben, wie diese Prägungen sie noch in der zweiten Hälfte ihres Lebens belasten. Insofern folgt das Buch dem Konzept der beiden Vorgängerbücher. Doch was nach Meinung einiger Kritiker zumindest in den "Kriegskindern" zu viel Gewicht bekam, nämlich die eigene Analyse und Interpretation des Materials durch die Autorin, ist hier zu wenig zu finden.

Mechanismen der Schuld

Für die Analyse sucht sich Bode zwei Experten, die Interviews mit Ihnen sind wohl die spannendsten Stellen des Buches. Der Historiker Sönke Neitzel berichtet über die abgehörten und protokollierten Gespräche deutscher Soldaten in der Gefangenschaft, die sich untereinander ihre Erlebnisse erzählten und eben noch nicht in das große Schweigen verfallen waren. Und der Psychotherapeut Jürgen Müller-Hagen beschreibt eindrücklich die Mechanismen, über die Schuld von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dieses kollektive schlechte Gewissen, so Bode in ihrem dann endlich doch analysierenden Resümee, habe dazu geführt, dass der Nebel so undurchdringlich war. Denn wenn auch nicht alle Täter gewesen seien, hätten sie doch vom Mord an den Juden profitiert, und sei es nur, weil plötzlich Stellen frei wurden, die neu zu besetzen waren oder weil es so billige und gute Möbel aus "nichtarischem Besitz" zu kaufen gab. Dabei gehe es nicht um konkrete Schuld, sondern um "Sünde", ein "altmodischer Begriff", wie Bode meint.

Diese Sünde nicht abstrakt, sondern bei den eigenen Eltern und Großeltern zu erkennen oder gar zu bekennen, ist wohl nötig, um den Nebel zu vertreiben - damit nicht auch noch ein Buch über die Urenkel der Kriegsgeneration geschrieben werden muss.

Sabine Bode: Nachkriegskinder - Die 1950er Jahrgänge und ihre Soldatenväter. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011, 302 Seiten, Euro 19,95.

Stephan Kosch

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