Ran ans Tafelsilber

Mehrere Finanzprobleme bedrohen die Existenz des Weltkirchenrates
April 2011: ÖRK-Generalsekretär Olav Tveit (links) mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider. Foto: Peter Williams
April 2011: ÖRK-Generalsekretär Olav Tveit (links) mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider. Foto: Peter Williams
Der Weltkirchenrat (ÖRK), der Zusammenschluß von 349 Kirchen, befindet sich in der schwersten Krise seit seiner Gründung im Jahr 1948. Die Hintergründe schildert Barbara Schneider, Redakteurin des epd in Frankfurt am Main.

Das Wort "Finanzkrise" ist für den Weltkirchenrat kein Fremdwort. Schon seit Jahren wird der Bund von 349 papstunabhängigen Kirchen, immer wieder von Finanznöten gebeutelt. In der Vergangenheit verging kaum ein Jahr, in dem nicht mit einer Schreckensmeldung aus der Genfer ÖRK-Zentrale zu rechnen war: Mal ging es um die miserable Zahlungsmoral mancher Mitgliedskirchen, mal um Stellenstreichungen aufgrund sinkender Einnahmen. Und dann war da noch die Krise der Jahre 1994 und 1995, als die Dachorganisation protestantischer, orthodoxer und altkatholischer Kirchen durch Devisengeschäfte große Summen verloren hatte. Mehr als die Krisen in den Jahren zuvor, stellt die derzeitige Situation für den im Jahr 1948 in Amsterdam gegründeten Kirchenbund eine existenzielle Bedrohung dar.

Bereits im November vergangenen Jahres hatte sich der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, vor der EKD-Synode in Magdeburg besorgt über die strukturellen Probleme des Weltkirchenrates geäußert. Dabei wählte er deutliche Worte: Der ÖRK stecke in einer "existenziellen Finanzkrise", sagte Schneider in seinem Ratsbericht. Der Bischof der kurhessischen Landeskirche, Martin Hein, der dem Zentralausschuss des ÖRK angehört, warnte in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), der Weltkirchenrat gerate angesichts stetiger Kürzungen in die Gefahr, nicht mehr seine Arbeit tun zu können. Und ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit, ein Pfarrer der lutherischen Kirche Norwegens, warb Ende vergangenen Jahres in einem Brief an die Mitglieder des Zentralausschusses um Verständnis für bevorstehende Veränderungen.

Hohe Wechselkursverluste

Was war geschehen? In jüngster Zeit hatte der Weltkirchenrat hohe Wechselkursverluste erlitten. Grund hierfür ist die Schuldenkrise in Europa, die den Schweizer Franken, die Leitwährung des Weltkirchenrates, in die Höhe getrieben hat. Allein von 2009 auf 2010 hatte der ÖRK durch den Umtausch von Dollar, Euro oder Kronen in die Schweizer Währung rund 1,3 Millionen Franken verloren. Grund des Problems: Der Weltkirchenrat hat seinen Sitz in der Schweiz, in Genf, erhält aber den Großteil seiner Einnahmen aus dem Ausland. Vor allem die Mitgliedskirchen aus Deutschland, den USA und Skandinavien sind die großen Geber.

Die Verluste durch den starken Schweizer Franken sind freilich nur eine Seite der Medaille. Sie wären wohl zu verkraften, gäbe es da nicht ein weitaus größeres Problem. So könnte der Pensionsfonds den Weltkirchenrat in ernste Bedrängnis bringen, wenn nicht schnell und umsichtig gehandelt wird. Bereits wenige Wochen vor Weihnachten hatte Generalsekretär Tveit eingeräumt: "Der Pensionsfonds befindet sich in einer sehr schwierigen Lage." Schon im Jahr 2008 fehlten ihm 18 Millionen Franken. Inzwischen ist die Deckungslücke - trotz zahlreicher Bemühungen, dem entgegenzuwirken - auf rund 26 Millionen angewachsen. Der Deckungsgrad liegt nur noch bei rund 70 Prozent.

Die Pensionskasse, die Schweizer Recht untersteht und juristisch vom Weltkirchenrat unabhängig ist, war eigens für die Angestellten des ÖRK aufgelegt worden. Und sie funktionierte, solange der Weltkirchenrat viele zahlende Angestellte hatte und die Kasse zugleich kaum Renten auszahlen musste. Doch mittlerweile hat sich die Situation umgekehrt: Mehr Menschen erhalten Geld aus dem Fonds, als sie einzahlen. Wie die Neue Züricher Zeitung berichtete, bestehen inzwischen 70 Prozent der Verpflichtungen der Kasse gegenüber pensionierten Mitarbeitern.

In diese Schieflage geriet der Fonds, der eine Mischform aus Kapitaldeckung und Umlageverfahren hat, vor allem durch den kontinuierlichen Personalabbau seit den Neunzigerjahren. Von einst 350 Mitarbeitern arbeiten heute nur noch 135 in der Zentrale des Weltkirchenrates an der Genfer Route de Ferney. Ende Januar schloss die dortige Bibliothek und fusionierte mit der des 15 Kilometer entfernten Ökumenischen Instituts in Bossey. Von ursprünglich drei Bibliotheksmitarbeitern wird nur einer übrigbleiben.

Verluste an der Börse

Im Vergleich zu anderen Pensionskassen der Schweiz ist der Fonds des Weltkirchenrates relativ klein. Wie bei anderen Pensionsfonds wurde das Geld des Fonds an der Börse angelegt. Zwar versichert ÖRK-Generalsekretär Tveit, das Risiko der Geldanlagen halte sich im Rahmen und unterscheide sich nicht groß von anderen Pensionskassen. Zugleich wurde dem Fonds jedoch seine Größe zum Verhängnis: "Jeder Verlust an der Börse hat schwere Folgen für den Fonds, da er aufgrund seiner geringen Größe die Verluste schwer ausgleichen kann", erläutert Pfarrer Tveit. Was ehemals ein stabiles Einkommen für den Fonds an der Börse war, ist nun zum Minusgeschäft geworden.

Man kann dem Weltkirchenrat jedoch keine Untätigkeit vorwerfen: In den zurückliegenden Jahren unternahm er verschiedene Anstrengungen, das Loch in der Kasse zu stopfen. So strich man vor vier Jahren die Förderung für Frührentner und erhöhte die Beiträge für Beschäftigte und Arbeitgeber. Allerdings waren schon damals die Erwartungen äußerst gering: Trotz der ergriffenen Maßnahmen sei es wenig wahrscheinlich, dass die Pensionskasse innerhalb der nächsten sieben Jahre ihr finanzielles Gleichgewicht zurückgewinnen könne, hieß es im Lagebericht 2008. Auch die Beitragserhöhung um einen Prozentpunkt im Jahr 2010 blieb angesichts der sich verschärfenden Situation ein Tropfen auf dem heißen Stein.

"Die Pensionskasse kann aus Eigenmitteln nicht mehr ins Gleichgewicht gebracht werden", fürchtet Bischof Hein. In Genf wird daher mit Hochdruck an einer Lösung des Problems gearbeitet. Denn, so betont Generalsekretär Tveit: Sollte die Krise des Pensionsfonds nicht gelöst werden können, käme es zu einer "institutionellen Krise des gesamten Weltkirchenrates".

Grundstücke versilbern

Um die Pensionskasse vor dem Zusammenbruch zu retten, verhandelt der ÖRK derzeit um den Anschluss an eine größere, mitgliederstärkere Pensionskasse der Schweiz, die die Risiken besser abfedern kann. Hierzu muss freilich erst einmal das bestehende Defizit ausgeglichen und die Deckungslücke geschlossen werden. Rund 30 Millionen Franken muss der Weltkirchenrat hierfür aufbringen.

Angesichts der Krise besinnt man sich daher auf die Immobilien und Grundstückswerte, die dem ÖRK gehören. Rund 35.000 Quadratmeter Grund, auf denen auch das Ökumenische Zentrum steht, besitzt der Weltkirchenrat in Genf, in bester Lage und unmittelbarer Nähe zu anderen internationalen Organisationen.

Derzeit arbeite der Weltkirchenrat mit einem Projektentwickler und Banken zusammen, betont Pfarrer Tveit: "Ziel soll sein, den Vermögenswert zu maximieren und zugleich das nötige Geld aufzubringen, um die Pensionskasse in eine größere Kasse zu überführen." Und Bischof Hein stellt fest: "Die einzige Chance ist es, das Grundstück zu versilbern."

Einnahmen rückläufig

Sollte dies gelingen, wäre der Weltkirchenrat die Sorgen um seinen Pensionsfonds los und hätte zudem längerfristig eine Einnahmequelle erschlossen. Gleichwohl ist es derzeit für ein generelles Aufatmen noch zu früh. Denn auch die Zahlungsmoral der Mitgliedskirchen kann sich in Zukunft zu einem größeren Problem auswachsen. Nach wie vor sind die Einnahmen bei den Mitgliedsbeiträgen rückläufig. "Die Überweisung der Mitgliedsbeiträge vieler Mitgliedskirchen lässt zu wünschen übrig", klagt Hein. Allein von 2009 auf 2010 sanken die Beitragszahlungen von etwa 5,6 Millionen Franken auf 5,1 Millionen. Ja, nur 230 der 249 Mitgliedskirchen entrichteten überhaupt einen Beitrag. Der Grund: Trotz eines Beitragsschüssels bestimmen die Kirchen letztlich selbst, was und wie viel sie zahlen. Viele arme Mitgliedskirchen können nichts oder nur wenig zahlen.

Aber darüber hinaus gibt es auch reichere Kirchen, die ihrer Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen. Besonders die Summen, die die große russisch-orthodoxe Kirche überweist, stoßen innerhalb der Mitgliedskirchen immer wieder auf Kritik. Im Jahr 2010 floss aus Moskau ein Mitgliedsbeitrag von lediglich 10.000 Schweizer Franken nach Genf. Zum Vergleich: Die evangelisch-methodistische Kirche Nigerias überwies knapp 7000. Der Mitgliedsbeitrag der lutherischen Kirche Schwedens lag bei rund 590.000 Franken.

Um zukunftsfähig zu sein und zu bleiben bleibt dem Weltkirchenrat wohl nur eines: Bald eine neue und zielgerichtete Diskussion über die Mitgliedsbeiträge zu führen.

Barbara Schneider

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