Manieriert

Über Joseph, Marias Mann
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Wer Patrick Roths Bücher mit Stoffen aus dem Neuen Testament kennt, wird deren suggestiven Sound in dem neuen Roman über Joseph, den "Nährvater Jesu", sofort wiedererkennen. Es ist die unverwechselbare Mischung von stark rhythmisierter, teilweise pathetischer Sprache, gelegentlichem Anflug von Kitsch und der Neigung, konkrete Ereignisse schicksalhaft zu überhöhen.

Nicht genug zu bewundern ist bei diesem bislang umfangreichsten Prosatext Roths die Geschlossenheit der Handlung; kein Detail geht verloren, auch Einzelheiten werden wieder aufgenommen und erhalten rückschauend Bedeutung.

Erzählt wird die Lebensgeschichte Josephs, über den die Evangelien nur wenig mitteilen. In Patrick Roths Version geht der Ehe mit Maria eine erste Ehe voraus. Bei einem Sturm kommt der Sohn dieser Ehe als Säugling auf dem See Gennesaret ums Leben. Joseph gibt sich die Schuld daran. Josephs Frau verwindet den Verlust nicht und stirbt dem Kind, das Jesus hieß, hinterher. Erst danach trifft Joseph Maria und nimmt deren Kind Jesus auf göttliches Geheiß als eigenes an.

Als Jesus zwölf Jahre alt ist, der denkwürdige Aufenthalt im Tempel hinter ihm liegt, verlangt Gott von Joseph, wie seinerzeit von Abraham, ihm den Sohn zu opfern. Joseph, der bis zuletzt hofft, es bleibe wie bei Abraham bei einer Probe seines Glaubens, tötet den Sohn in letzter Minute nicht. Er täuscht seinen eigenen Tod vor und bleibt von da an der Familie verborgen. Über die folgenden 16 Jahre wird kaum etwas berichtet. Schließlich landet er bei einer Räuberbande und findet als alternder, angeblich stummer und blinder Mann Arbeit beim Bau des Felsengrabes für Joseph von Arimatäa. Das Buch endet mit der Vision Josephs, dass sich aus diesem Grab eine unüberschaubare Hochzeits- oder Abendmahlstafel erstreckt, an der von Adam an alle Vorfahren Jesu bis hin zu Maria sitzen.

Den allzu vielen Träumen und Visionen Josephs kommt große Bedeutung zu. Damit soll die Handlung nicht nur zeitliche, bis ins Mythische reichende Tiefe bekommen, sondern damit wird auch Verbindung zu "Joseph dem Träumer" aus dem Alten Testament hergestellt. Wie Josephs Leben überhaupt zahlreiche Bezüge in die Vergangenheit und in die neutestamentliche Zukunft aufweist. So vergleicht sich Joseph beispielsweise mit Esau, dem der versprochene Segen geraubt wurde. Und wie Jesus liegt auch er drei Tage im Grab und hebt danach aus eigener Kraft die Steinplatte, mit der das Grab verschlossen war. Jesus hatte in die Grabplatte, hinter der er den toten Vater vermutete (oder auch nicht, weil er als Gottessohn allwissend war), die Worte eingehauen: "Nach Drei Tagen Lebe". Ähnlich wie Jesus näht Joseph einem Verletzten das abgehauene Ohr wieder an. Und dass Gefährten nicht wachen und beten können, sondern wiederholt einschlafen, geschieht mehrere Male.

Patrick Roth entwirft wieder große, farbige Bilder. Mit Hilfe der Psychoanalyse Jungscher Prägung deutet Roth Bilder und Träume als Ausdruck individueller Schicksale. Und der kunstvoll, bis auf wenige Ausnahmen spannend erzählte Lebensweg Josephs schlägt immer wieder den Bogen vom Irdischen zum Transzendenten. Ein Meisterwerk ist "Das Buch Joseph" trotz aller Hochachtung vor der Energie, der Kompositions- und Erfindungskraft seines Autors nicht. Dafür wirkt es zu bemüht und streckenweise zu manieriert.

Patrick Roth: Sunrise. Das Buch Joseph. Wallstein Verlag, Göttingen 2012, 509 Seiten, Euro 24,95.

Jürgen Israel

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