Sok teti gom

Im westfälischen Kloster Brenkhausen haben Kopten einen Treffpunkt für Christen aller Konfessionen geschaffen
Die Kraft für die vielen Pflichten, so sagt Bischof Anba Damian, zieht er aus dem Zwiegespräch mit Gott. Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Die Kraft für die vielen Pflichten, so sagt Bischof Anba Damian, zieht er aus dem Zwiegespräch mit Gott. Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Am östlichsten Rand Nordrhein-Westfalens, in einem Vorort von Höxter, haben die koptischen Christen in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Von Brenkhausen aus betreuen sie Mitchristen in ganz Deutschland und laden sie zur Teilhabe am geistlichen Leben ein, wie die Journalisten Annemarie Heibrock und Gerd-Matthias Hoeffchen bei einem Besuch feststellten.

Die Melodie bleibt. Der Gesang der Gläubigen. Ihre Litanei, die mal auf- und dann wieder abschwillt. Leise, lauter und wieder leise werdend. Dabei immer wieder diese Worte, die noch am Abend im Ohr sind, wenn man längst wieder zuhause ist: "Sok teti gom"- "Sok teti gom".

Die Klänge - sie atmen den Geist einer anderen Zeit, den Geist einer anderen Welt. Eine Ahnung, ein Bauchgefühl. Die Erklärung dafür liefert Bischof Anba Damian später. Die Melodie stammt tatsächlich aus alter, sehr alter Zeit: aus der Zeit der Pharaonen. Von Generation zu Generation sei sie mündlich überliefert worden - durch Menschen, die "mit dem Herzen sehen".

Lieder der Könige

Darauf, dass seine Glaubensbrüder und -schwestern damit wohl über das älteste Liedgut verfügen, das Christen aufzubieten haben, scheint der sonst eher bescheidene Generalbischof der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland direkt ein wenig stolz zu sein. Im alten Ägypten, so erzählt Damian, hätten die Menschen diese Melodien gesungen, wenn ein neuer Pharao auf den Thron gehoben wurde. Es waren "Lieder der Könige". Später sang man sie zum Lobe Christi.

"Kopten": Die Bezeichnung leitet sich ab von dem altgriechischen Wort für "Ägypter". Kopten - das sind die Ägypter, die sich seit dem ersten Jahrhundert nach der Zeitenwende zum Christentum bekannten und in ihrer liturgischen Sprache und in ihren geistlichen Melodien bis heute ein Stück altägyptischer Kultur bewahrt haben - neben und trotz der arabisch-muslimischen Mehrheitskultur am Nil.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Bei Höxter, in der malerischen Landschaft des Weserberglandes, haben die in Deutschland lebenden Kopten eine neue geistliche Heimat gefunden.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Es gibt noch viel zu tun im Kloster Brenkhausen, zum Beispiel die Renovierung der Mönchszellen.

"Sok teti gom": "Dein ist die Kraft und die Herrlichkeit". Der Gesang gehört zur Liturgie der Karwoche, der wichtigsten und heiligsten Zeit im Jahreskreis der koptischen Christen.

In aller Welt, überall dort, wo Kopten leben, wird diese Liturgie gesungen. Man muss nicht zum Nil reisen, um sie zu erleben. Ein Ausflug ins Weserbergland tut's auch. Am östlichsten Rand Nordrhein-Westfalens, in einem Vorort von Höxter, haben Anba Damian, drei koptische Mönchspriester und acht Diakone (eine Art geistliches Hilfspersonal), von denen einige ihre Familien mitgebracht haben, zumindest vorübergehend eine neue Heimat gefunden. Von Brenkhausen aus betreuen sie koptische Mitchristen in ganz Deutschland, laden sie ein zur Teilhabe am geistlichen Leben, unterstützen sie, wenn sie Probleme haben mit ihrem Leben in der Fremde.

Offene Türen

Brenkhausen - ein 1400-Seelen-Nest, sechzig Kilometer von der nächsten Autobahn entfernt. Wer hierher kommt, der hat sich nicht verirrt. Er kommt gezielt. Und das sind nicht nur koptische Christen. Immer wieder machen sich auch katholische oder evangelische Gemeindegruppen aus der näheren und weiteren Umgebung auf den Weg, um in der westfälischen Heimat ein Stück orientalischer Frömmigkeit zu erleben. Auch für sie stehen die Türen in Brenkhausen stets offen. Bischof Anba Damian freut sich über jeden Gast. Sein mildes Lächeln, seine weiche Stimme, seine einladend geöffneten Arme - sie lassen schnell die anfängliche Scheu vergessen, die der lange Bart und das bischöfliche Gewand manchen, an eine bürgerliche Geistlichkeit gewöhnten, deutschen Besucherinnen und Besuchern auf den ersten Blick einflößen.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Eine orthodoxe Kirche mit ihrer ganz speziellen Bildsprache: der Christusträger.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Bilder sind für Bischof Anba Damian "Bildungsmittel" des Glaubens.

Die Kleidung und der Bart. Der 1955 in Kairo als Refaat Fahmi geborene Anba Damian musste sich selbst erst daran gewöhnen, musste lernen, ruhig zu bleiben, wenn deutsche Jugendliche sich darüber lustig machten. Schließlich gab es bei ihm auch ein Leben vor dem Bischofsamt. Nach dem Medizinstudium in Ägypten war er etliche Jahre als Arzt in Deutschland tätig. Für die Familie hatte er den bürgerlichen Beruf ergriffen, obwohl sein Herz schon lange für den Dienst in und an seiner Kirche schlug. 1991 dann, als seine Schwestern verheiratet waren, fühlte er sich frei, ein geistliches Amt zu übernehmen. 1992 empfing er in Ägypten die Mönchs-, 1993 die Priesterweihe.

Damians Kind

Heute hat er keine Probleme mehr, wenn junge Leute über sein Erscheinungsbild lachen. Seine Einstellung dazu: "Ich darf Zeugnis ablegen, auch wenn es manchmal schwer ist." Schwer war es in der Tat manchmal. Am Anfang auch in Brenkhausen. Die Bevölkerung reagierte zunächst reserviert auf die fremden Menschen, die das heruntergekommene ehemalige Zisterzienserinnen- und spätere Benediktinerinnenkloster 1993 für eine symbolische D-Mark vom Land Nordrhein-Westfalen gekauft hatten. Zum Glück ist das nicht so geblieben. Im Lauf der Zeit sei das Vertrauen immer mehr gewachsen, sagt Damian. Auch wenn sie anders aussehen als die Brenkhauser Ureinwohner, störe sich heute keiner mehr an den neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vom Nil.

Dass das so ist, daran hat er selbst vermutlich den höchsten Anteil. Kloster Brenkhausen - das ist Damians Projekt, Damians Werk, Damians Kind. Aus dem alten Gemäuer macht er zusammen mit seinen Mitbrüdern in Eigenleistung einen gastlichen Ort, einen Treffpunkt nicht nur für Kopten, sondern für Christen aller Konfessionen.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Seine Gäste bewirtet der Bischof selbst.

Fast neunzehn Jahre nun währt dieses Leben zwischen Bauanträgen, Besuchergruppen und Repräsentationspflichten. Trotzdem hat der Bischof die Zeit für ein ausführliches Gespräch. Er nimmt sie sich. Obwohl dabei keine zehn Minuten vergehen, in denen sein Mobiltelefon nicht mindestens einmal klingelt, bleibt seine Stimme immer ruhig, freundlich, gelassen. Mal auf Arabisch, mal auf Deutsch - die Sprachen wechselt er in einer Virtuosität, die staunen macht. Niemand, der oder die nicht mit "Bruder" oder "Schwester" angeredet würde. Was bei protestantischen Theologen nicht selten aufgesetzt wirkt - Anba Damian nimmt man ab, dass er meint, was er sagt.

"Wie ein Soldat"

Aber wie hält er das durch - psychisch und physisch? Ja, dieses Leben, "immer wie ein Soldat in Alarmbereitschaft zu sein", zehre schon sehr an seinen Kräften, sagt der Bischof. Neue Energie schöpfe er vor allem aus der "hohen geistlichen Dosis", die täglich im Kloster verabreicht werde. "Der Altarraum ist unsere Kraftquelle", sagt er und fügt hinzu: "Wenn ich mal etwas sparsamer mit Gott umgehe, merke ich sofort, dass ich an diesem Tag längst nicht so belastbar bin."

Und wie ist nun der bauliche Stand der Dinge im Kloster Brenkhausen? Vieles ist schon geschehen und vieles muss noch geschehen. Das ist offenkundig. Geduld ist eine der Tugenden, ohne die man in Brenkhausen nicht auskommt. Aber es geht jeden Tag ein bisschen weiter, sagt Anba Damian und freut sich, dass immerhin an einer Stelle ägyptische Bautradition und deutsche Denkmalschutzauflagen hervorragend zusammenpassen: bei der Renovierung der Lehmwände der alten Klosterzellen.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Die Taufe Jesu.

Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen
Foto: Gerd-Matthias Hoeffchen

Eine beachtliche Kreuzsammlung können die Mönche vom Kloster Brenkhausen ihr eigen nennen.

Fertig sind zum Beispiel der Speisesaal und die Kapelle. Beide Räume lassen keinen Zweifel daran, wer in dem Kloster "das Regiment übernommen" hat. Es ist eine orthodoxe Kirche mit ihrer ganz speziellen Bildsprache, die viel aussagt über die Theologie und die Anba Damian deshalb immer wieder gerne seinen Gästen erläutert: Dass beispielsweise die Köpfe überproportional groß sind, sei ein Ausdruck der Vernunft der Menschen und deren Dominanz über den Körper. Und dass die großen Augen Weisheit signalisierten, der geschlossene Mund indes Schweigsamkeit und Fülle. "Bilder sind Bildungsmittel", sagt Anba Damian. In der Kapelle gibt es reichlich davon. Sie ist mit Szenen aus dem Leben Jesu geschmückt, die illustrieren, was für die Kopten der Kern der biblischen Botschaft ist.

Die Kapelle wiederum ist der Kern des Klosters, sein "Kraftraum". Hier kommen alle zusammen: Frauen und Männer, Jungen und Mädchen, Priester, Mönche und der Bischof. Wer nach vorne geht zum Altar, zieht seine Schuhe aus. Wie Mose, als er vor den brennenden Dornbusch trat. In der Kapelle wird gebetet und aus der Bibel gelesen - auf Deutsch, auf Arabisch, auf Koptisch. Und es wird gesungen - zum Lobe Gottes. Lieder der Wüste. Mitten in Europa. "Sok teti gom". Die Melodie bleibt.

Informationen:

Kloster Brenkhausen: Koptisch-Orthodoxes Kloster der Jungfrau Maria und des heiligen Mauritius, Propsteistraße 1a, 37671 Höxter, Telefon (05271) 18905 oder 36854, Telefax (05271) 36742. Das Kloster verfügt über Sammlungen von Bibeln und Kreuzen aus verschiedenen Regionen und Epochen. Außerdem zu sehen: eine Ausstellung mit Modellen europäischer Kirchen aus der Werkstatt von Hans Martin Möhler.

Kloster Brenkhausen

Annemarie Heibrock (Text) und Gerd-Matthias Hoeffchen (Fotos)

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