Vom Zauber des Anfangs Friedrich II. und die Musik.

Die Geschichte einer erkaltenden Leidenschaft
Flötenkonzert von Sanssouci nach Menzel – Zeichnung von Reiner Ehrt (1998). Foto: akg-images/Ehrt
Flötenkonzert von Sanssouci nach Menzel – Zeichnung von Reiner Ehrt (1998). Foto: akg-images/Ehrt
Die ausgewählte Gesellschaft lauscht dem Spiel des Königs und seiner musikalischen Begleiter: Adolph Menzels berühmtes Gemälde "Flötenkonzert von Sanssouci" scheint die Liebe Friedrichs II. zur Musik zu bezeugen. Doch es war wohl eher ein auf die Leinwand gebrachtes Traumbild, wie der Musikjournalist Georg Beck meint. Tatsächlich musste die Leidenschaft des Kronprinzen beim späteren König einem pragmatischen und eher eintönigen Verhältnis zur Musik weichen.

Friedrich ist sechzehn als er die Musik entdeckt. Oder sollten wir lieber sagen: die Musik entdeckt ihn? Eine Sichtweise, für die einiges spricht, ist doch bemerkenswert, ausgerechnet im Leben eines bekennenden Rationalisten ein nicht-rationalistisches Moment ausmachen zu können. Wohl gemerkt: Nicht dem viel zu früh einsetzenden, quälend langen Ende dieses Flötenkönig-Lebens mit seinen Wiederholungszwängen, seinem Kannitverstan gegen solche Formen der Kunst, die der von ihm propagierten preußischen Empfindsamkeit zuwiderlaufen, mit anderen Worten: Weniger dem von Adolph Menzel als "Flötenkonzert von Sanssouci" in ein gemaltes Preußen-Traumbild überhöhten Leben des Königs wohnt ein Zauber inne als vielmehr dem des Kronprinzen. Siehe die Fülle, besser: das Füllhorn der (später so kläglich-einsilbig vertanen) Möglichkeiten, siehe die erfrischende Jugend-Korrespondenz und, vor allem, siehe die Architektur eines erst zu Ruppin, dann zu Rheinsberg errichteten musischen Utopia. Und, siehe (und höre) nicht zuletzt die verträumten Adagio-Kantilenen Friedrichs, die eine Zartheit des Ichs freilegen, nach außen kehren, die derselbe Friedrich, als er sich zum ewig an der Katastrophe vorbeischlitternden Feldherrn promoviert, postwendend wieder ein- und verschließt ins Musikzimmer seines Schlösschens Sorgenfrei. Nicht anders übrigens macht es der über "Sachzwänge" und dergleichen räsonnierende Bildungsphilister alter und neuer Prägung: Kunst, so souffliert es ihm Seine Majestät der König, ist längstens nicht "nützlich", sondern (allenfalls) "angenehm" - der Webfehler dieser (nicht nur) monarchischen Weltanschauung.

Nur, dass wir sie überhaupt erkennen können, die scheibchenweise sich vollziehende Rücknahme des öffentlichen Status der Kunst (allein Friedrichs Musikberater Johann Joachim Quantz verhindert, dass die gerade erst eröffnete Oper 1770 wieder in Privathände übergeht), dass wir jenen Wendepunkt überhaupt wahrnehmen (1767 entweicht der schon längst resignierte "Hofcembalist" Carl Philipp Emanuel Bach nach Hamburg) - solches ist uns doch nur deshalb möglich, weil es diesen faszinierenden Anfang gegeben hat.

Musik als existenzielle Erfahrung

Ein Anfang, der den Namen verdient. Offen für vieles, vor allem für Unerwartetes. Ein Anfang mit dem Glück der ersten Begegnung. Und mit der Ahnung, dem Gefühl, auf etwas Großes gestoßen zu sein, etwas - wäre da nicht die unselige "Ruhmessucht" dazwischengekommen -, aus dem sich ein Leben hätte bauen lassen. Früher hätte man dazu gesagt: Musik als existentielle Erfahrung.

Eine, die dem jungen Fritz gleich in zweierlei Gestalt begegnet. Überfallartig kommt sie daher und in höchster Qualität, war es doch nicht irgendein Orchester irgendeines Lokalmonarchen, das Friedrich umgeworfen, das seinem ziemlich eindimensionalen Thronfolgerleben auf einmal einen ganz neuen, einen anderen Sinn gegeben hat. Zur Kunst bekehrt hat den Kronprinzen eben keine geringere Formation als die Churfürstlich Sächsische Capell- und Cammer Musique des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs Friedrich August, jenem einschlägig bekannten Potentaten mit dem nicht minder bekannten Beinamen der Starke. Ein europäisches Spitzenorchester mit angegliedertem Sängerensemble von höchstem Format, soviel ist festzuhalten, verhilft Friedrich zum Eintritt in die Musik.

Wobei "Eintritt" hier schon fast zu gewählt-bedächtig anmutet. Richtig ist: Er wird hineingerissen. Ein religionsferner Freigeist in feiner Dialektik auf dem Terrain der Kunst mit jener Unbedingtheit konfrontiert, die eigentlich dem religiösen Berufungserlebnis gehört. Soll ich? Soll ich nicht? Das war nicht die Frage, konnte nicht die Frage sein für den jungen Kronprinzen, als er den Vater, den bekennenden kunst- und bildungsfeindlichen preußischen König Friedrich Wilhelm Anfang 1728 bei einem Staatsbesuch an den Dresdner Hof begleitet. Dort war es dann um ihn geschehen.

In den übersprunghaften Jugendbriefen an die über alles geliebte Schwester Wilhelmine, der er sich wie sonst keinem anderen Menschen anvertraut, wird sie spürbar, die Wucht, mit der die Kunst auch den preußischen Thronfolger zu einem Diener ihres illusionistischen Geisterreichs macht. "Liebste Schwester!", beginnen Ende Januar 1728 einige rasch hingeworfene atemlose Zeilen, "trotz aller Zerstreuungen denke ich stets an Dich und werde Dich erst mit dem Tode vergessen. Aber warte einen Augenblick. Laß mich erst husten, ausspucken und mich darauf schneuzen. Wovon willst Du hören? Von der großen Welt?" Was folgt, ist eine (sich im Subtext gegen den Vater absetzende) physiognomische Charakterstudie des Gastgebers ("sehr starke Augenbrauen, eine etwas aufgestülpte Nase, geistvoll, sehr höflich, viel Lebensart"), nebst angehängter höchst launiger Beschreibung der kurfürstlichen Entourage inklusive Angaben zum aufgebrezelten Erscheinen der "Damen am Hofe". Doch dann, wie aus dem Nichts, die Modulation in die eigentliche Mitteilung: "Ich habe mich als Musiker hören lassen. Richter, Buffardin, Quantz, Pisendel und Weiß haben mitgespielt. Ich bewundere sie. Sie sind die besten Künstler bei Hofe." Den leicht anmaßenden Tonfall einmal beiseite gelassen liest sich eine solche Mitteilung noch heute als das Echo einer Kunsterfahrung, die nichts Zeremonielles an sich hat, in der keine Verstellung im Spiel ist, keine ironische Distanz.

Berühmtheiten am Werk

Und was die Namen der "besten Künstler bei Hofe" angeht, so hatte Friedrich durchaus den richtigen Riecher. Samt und sonders waren hier Berühmtheiten am Werk: Sylvius Leopold Weiß, königlicher Kammerlautenist, Oboist Johann Christian Richter, die beiden Flötisten Pierre-Gabriel Buffardin und Johann Joachim Quantz sowie der Geiger Johann Georg Pisendel, als Konzertmeister der Hofkapelle verantwortlich für die überragende Qualität des europaweit bewunderten Orchesters. Nicht zu vergessen den späteren, von Mozart so sehr bewunderten Hofkapellmeister Johann Adolph Hasse. Bliebe die Frage, wie sich der junge Friedrich vor diesem hochkarätigen Ensemble hat "hören lassen"? Man wüsste es nur zu gern. Gut möglich, dass der Eleve in dieser Situation jene Anfangsgründe herauskramt, die er als Siebenjähriger vom Domorganisten Gottlieb Hayne aufgeschnappt hat. Die genannten Herren werden das Zwischenspiel Ihrer Majestät, des preußischen Thronfolgers, mehr oder weniger wohlgefällig absolviert haben, nicht ahnend, dass man sich schon bald wiedersehen würde. Noch im gleichen Jahr macht Friedrich den "Capellflötisten" Johann Joachim Quantz zu seinem Privatlehrer.

"Im 1728sten Jahre", so das Echo dieser für Quantz sehr einträglichen Berufung auf Lebenszeit, "entschlossen sich der damalige Kronprinz von Preußen, Seine itzregierende Königliche Majestät, die Flötetraversiere zu erlernen, und ich hatte die Gnade Höchstdieselben darauf zu unterrichten." Und das war erst der Anfang. Friedrich ist zwanzig, als er der Schwester eine weitere Offenbarung macht. "Ich bin Komponist geworden und habe soeben mein zweites Konzert vollendet. Es ist ganz leidlich."

Über 120 Kompositionen

Dass sie "leidlich" sind, dafür werden der erste Dirigent der kronprinzlichen Hofkapelle, der Braunschweiger Carl Heinrich Graun, sowie Flötenlehrer und Musikerzieher Johann Joachim Quantz, die Schlüsselfigur der gesamten friederizianischen Hofmusik, schon gesorgt haben. Am Ende sind es gut und gern 120 cembalobegleitete Flöten-Sonaten, vier Flöten-Konzerte, eine angefangene Symphonie, eine Handvoll Märsche sowie das Libretto zur Graun-Oper Montezuma, was unter Friedrichs Namen subsumiert ist.

Vom Munde abgespart hat er sich das alles freilich nicht. Nach der Vermählung mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern ist Friedrichs Kasse gut genug gefüllt, um im Prinzendomizil Ruppin ein Kammerorchester zu etablieren, es in Rheinsberg auf 17 "Capellbediente" zu erweitern, Graun als ersten Dirigenten zu bestellen und im Krönungsjahr 1740 schließlich noch eine Ausnahmeerscheinung wie Carl Philipp Emanuel Bach zu verpflichten. Mit dem Regierungsantritt am 31. Mai 1740 muss dann alles ganz schnell gehen: Graun wird nach Italien geschickt, um Gesangskräfte für den geplanten Opernneubau in Berlin zu verpflichten. Für die Zwischenzeit muss ein kleines Interimstheater her.

Nur, als Graun mit seinem welschen Ensemble im März 1741 in Berlin eintrifft, steht der König bereits im Felde. Von jetzt ab gilt: Erst kommt der Krieg, dann die Kunst, oder in Friedrichs Worten: erst die "nützlichen", dann die "angenehmen" Dinge. Die Eröffnung der Königlichen Oper, der heutigen Lindenoper, am 7. Dezember 1742 mit Grauns "Cesare e Cleopatra" muss warten bis der Erste Schlesische Krieg zu Ende ist. Sicher, solche Funktionalisierung wie der nachfolgende Niedergang, das Eintönigwerden der königlichen Musik, hat auch der friedrich-hörigen Geschichtsschreibung zugesetzt. Doch war sie, im Erfinden gewunden-formelhafter Ausreden nicht verlegen: "Die Bürde der Staatspflichten schwächte mehr und mehr das Kunstinteresse des Königs." (Musik in Geschichte und Gegenwart) Umgekehrt ließe sich fragen, ob besagtes "Kunstinteresse des Königs" je wirklich so stark gewesen ist, als dass es auf das Erscheinen des alten Bach anders reagiert haben könnte als auf die Verkörperung eines untergegangenen "Stils"?

"Der alte Bach ist gekommen"

Potsdam, Stadtschloss, 7. Mai 1747, 8 Uhr Abends. Wieder einmal die Stunde der königlichen Haus- respektive Hofmusik. Auf einmal Eilpost. Mit den Worten "Meine Herren, der alte Bach ist gekommen!" bricht Friedrich das Konzert ab. In sämtlichen Zimmern muss Bach nun Cembali und Hammerklaviere durchprobieren. "Schließlich", so der erste Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel, "bat er sich vom König ein Thema aus, um darüber eine Fuge zu improvisieren.

Der König bewunderte die gelehrte Art, mit welcher sein Thema so aus dem Stegreif durchgeführt wurde, und äußerte nun den Wunsch - vermutlich, um zu sehen, wie weit eine solche Kunst getrieben werden könne -, auch eine Fuge mit sechs obligaten Stimmen zu hören. Weil aber nicht jedes Thema zu einer solchen Vollstimmigkeit geeignet ist, so wählte sich Bach selbst eines und führte es sogleich zur größten Verwunderung aller Anwesenden auf eine ebenso prachtvolle und gelehrte Art aus, wie er vorher mit dem Thema des Königs getan hatte". Ohne ein Honorar, ohne irgendeine Anerkennung erhalten zu haben, tritt Bach am nächsten Tag die Rückreise nach Leipzig an.

Noch in der Kutsche muss er beschlossen haben, die königliche Einsilbigkeit (recte: Abfuhr) auf seine Weise zu beantworten - mit einem "Musikalischen Opfer", einer Sammlung von zwei Fugen, einigen Kanons und einer Triosonate, in der er demonstriert, wie der neue, der modisch-empfindsame Stil aus dem strengen hervorwächst, wie der eine eine Spielart des anderen ist. Von wegen "untergegangen"! Und, Bach lässt sich nicht lumpen, gibt dem Flöten-König vielmehr eine schwere Nuss zu knacken. Die für die "Flötetraversiere" entworfene Triosonate hat es in sich, integriert sie doch mit stetem Blick auf das "königliche Thema" eine Sonata, die alle Momente preußischer Empfindsamkeit enthält, ohne des Fugenhaften zu entraten. - Friedrich hat sie nicht einmal angesehen. Doch er hat sie ausgelöst. Sicher sein größtes Verdienst.

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Georg Beck

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