Der Weg ins Weite

Die Weisen folgten ihrer Intuition
Foto: Dominik Butzmann
Entscheidungen, die wir treffen, weil uns plötzlich ein Licht aufgegangen ist, oder eben ein Stern, scheinen manchmal unvernünftig zu sein oder auch verrückt. Aber es sind die, die uns im besten Fall weiter tragen.

"Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten. (...) Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land." (Matthäus 2,1-12)

Da machen sich drei vernünftige Menschen auf den Weg, bloß weil sie einen Stern gesehen haben. Ob sie sich vorher noch lange über Bücher und Himmelskarten gebeugt haben, ob sie Kolloquien einberiefen und diskutierten, ob sie zögerten und zweifelten, das alles erzählt der Evangelist Matthäus nicht. Nur das eine Entscheidende: Sie brechen auf, weil sie spüren, dass ihnen ein Zeichen gegeben wurde. Sie wissen nicht, was ihnen auf der Reise widerfahren, sie können nicht sicher wissen, was an ihrem Ende stehen wird. Aber sie ahnen, dass es etwas gibt, wofür es lohnt, sich auf den Weg zu machen. Und sie, die als Weise selbst Rat geben und sagen, wo es lang geht, vertrauen darauf, dass sie auf ihrem Weg ins Ungewisse geführt werden.

Die drei Weisen folgen dem Stern und geraten überraschenderweise nicht wie erwartet an einen, dem das künftige Königsein schon auf die Stirn geschrieben wäre. Sie blicken auf einen kleinen Jungen in jämmerlichen Verhältnissen. Doch sie beten ihn an und legen ihm in die Wiege, was einem König zukommt, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Denn über diesem Stall in Bethlehem ist der Stern stehen geblieben, also ist hier der Ort und der Mensch, den sie suchen, selbst wenn es überhaupt nicht danach aussieht.

Entscheidungen, die wir treffen, weil uns plötzlich ein Licht aufgegangen ist, oder eben ein Stern, scheinen manchmal unvernünftig zu sein oder auch verrückt. Aber es sind die, die uns im besten Fall weiter tragen. Weil es ganz und gar die eigenen sind, nah am Innersten und gerade ohne Rücksicht auf das getroffen, was im Allgemeinen erwartet oder für normal gehalten wird. Aus dem Bauch oder dem Herzen heraus zu entscheiden, kann ungemein befreiend sein. Und doch braucht jeder Schritt wieder neuen Mut und das Vertrauen darauf, dass es gut werden kann und wir geführt werden.

Den Stern einmal zu sehen, heißt noch lange nicht, dass jede unserer Nächte wolkenlos sein wird. Manchmal mag uns der Traum zu undeutlich und das Zeichen zu flüchtig sein. Aber wenn wir trotz Zweifel, trotz Angst und gut gemeinten Ratschlägen immer wieder einen mutigen Schritt wagen, wenn wir eine Ahnung davon haben, dass der Weg ins Weite führt, wenn wir vertrauen können und uns verlassen, selbst wenn wir noch nicht überblicken können, welchen Sinn es ergibt, wenn wir das Unwahrscheinliche doch für denkbar halten - so finden wir am Ende womöglich das, wonach wir am meisten gesucht haben.

Katrin Göring-Eckardt

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