"Bei Tagesanbruch sind die ersten Schatten hart, lang, alle deuten auf mich. Die Wüste besitzt mich, und wie ein Besessener liebe ich sie – nicht nur die Dünen; wer hätte keinen Blick für die Schenkel und Brüste der sich lagernden Riesinnen. Ich liebe die Staubwüste im Norden und Westen des Forts, das mit rostroter Kreide hingestrichene Bild, wie abgeschliffene Berge in der Ferne, und hinter ihnen, luftgewellt, blauwässrig die Grenzen, auf der die Trugbilder der Sandkegel schwimmen."
Gert Heidenreich hat in seinem Roman Belial oder Die Stille (1990) die Wüste zum Schauplatz seines Romans gemacht. Weil ich im Unterschied zu Gert Heidenreich und anderen Schriftstellern wie Paul Bowles in Der Himmel über der Wüste oder jüngst Wolfgang Herrndorf in Sand wenig Erfahrung mit realen Wüsten habe, leihe ich mir seine Stimme, um die unvergleichliche Atmosphäre einzufangen.
"Die Sonne stieg über das Hochplateau des Tademait. Im Morgenlicht hatte die Ebene noch schwarzviolett und zerfressen von roten Sandlöchern vor uns gelegen wie ein zerschlissenes Totentuch über einem blutigen Körper. Jetzt nahm sie Glanz auf, den Schimmer von Eisen, das Glimmen von Schlacke, die messerscharfen Steinspitzen, mit denen sie bis zum Horizont bewehrt war, warfen kurze, harte Schatten, stachen ins Licht, und der schwarze Wüstenlack, der sie überzog, begann zu funkeln.
Je steiler die Sonne sich hob, umso feindlicher starrte die Ebene, die Sandlöcher verloren ihre Farbe, vom Himmel und von der Erde wuchs die Hitze auf mich zu, ich sehnte mich danach, ein lebloses Ding zu sein. Die Tuareg sagen, es gebe in solchen Wüsten für den Menschen nur eine Möglichkeit zu überleben: Ein Stein werden, reglos, den Herzschlag verbergen, bis man ihn selbst nicht mehr spürt, den Atem vergessen, bis – wie sie sagen – der Tod neben dir wartet und dir mit seinem Schatten Schutz vor der Sonne verleiht. (…)
Der Tod spendet Schatten
Es gab hinter dem Sand nichts als die Senke vor dem neuen Sand. Es gab keine Sehnsucht außer der nach Wolken, nach den kleinen Schatten, die bald, wenn wir uns in ihnen niederließen, gestohlen wurden, die Sonne, ein Fresser, bis die Hammadah, die sich nach einem Paß, jenseits der Sandsichel zwischen geschliffenen Windbergen, vor uns auftat, uns nicht mehr wie das Ende der Mühe erschien, das Ende der unter den Schuhsohlen weggestohlenen Schritte, die Erlösung, sondern nur noch wie das absolute Herrschaftsgebiet des Lichts, und die Dünen hinter uns gnädig, weil ihre weichen Täler manchmal noch einen kleinen Schattenteich bereitgehalten hatten."
Wer diese Szenen liest, begreift sofort, warum der Monotheismus seinen heißen Sitz im Leben in der Wüste hat: Hier geht es um die nackte Existenz, der Tod sitzt schattenspendend neben einem, wenn die Sonne senkrecht vom Himmel brennt, Ängste kochen hoch, und gleichzeitig wird das Auge von schönen Bildern spazieren geführt: ein Mysterium tremendum et fascinans schlechthin. Hier ist die Heiligkeit des einen Gottes zu spüren, für einen lärmenden griechischen Götterhimmel gibt es keinen Platz.
Für die Olympier ist die Wüste kein Ort, wo sie sich tummeln mögen. Und für die Menschen gibt es nichts randscharf Beständiges, an dem sich ihre Wünsche dauerhaft materialisieren könnten – sogar die Schenkel und Brüste der Riesinnen verwehen. Entweder-Oder. Die Olympier spielen alberne Späße, dieser Gott spielt ein ernstes Spiel. In der Wüste wird Mose zum Führer installiert, in der Wüste werden die Gebote übermittelt, in der Wüste fällt wie kondensiertes Licht Manna vom Himmel. Aber es dauert mythologische vierzig lange Jahre, bis die Vielgötterei zum Monotheismus eingekocht wird – wie bei einer sehr guten Soße. Aber sobald Milch und Honig fließen, sobald alle unter einem Blätterdach sitzen, sobald die Muße zurückkehrt, wird aus dem Entweder-Oder ein entspanntes Sowohl-als-auch. Die menschliche Gier macht sich auch als Hang zum Zweitgott bemerkbar.
Ort der Askese
War bisher im Orient die Wüste eher negativ codiert, setzt mit dem Alten Testament eine Umcodierung ein. Durchmustert man die Wüstentopik des Alten und des Neuen Testaments, dann fällt auf, wie konsequent die Schriftsteller, vor allem die Schriftsteller mit Furor, die Propheten, die Wüste zum Ort der Klärung der komplizierten Familienkonstellation zwischen Gott und den Kindern Israel aufbauen. Eingeschlossen zwischen der Befreiung aus Ägypten und dem Einzug ins gelobte Land, stehen vierzig Jahre großer Nähe, als alle beengt zusammen in Zelten wohnten. Danach erst kommt es zur Ansiedlung im gelobten Land, wo die Enge durch Großzügigkeit eingetauscht wird.
Vor allem der Prophet Hosea benutzt in seinen Prophetien die Wüste als sandiges Bad der Reinigung, um den Abfall von Gott rückgängig zu machen: "Siehe, ich (der Allmächtige) werde (das Volk Israel) locken und in die Wüste führen und ihr zu Herzen reden. Dann gebe ich (ihnen) von dort aus ihre Weinberge und das Tal Achor als Tor der Hoffnung."(Hosea 2,16f.) Die Heilsgeschichte führt gleich zwei Mal in die Wüste: Auszug aus Ägypten, Nähe in der Wüste, Besiedlung und Abfall, neue Reinigung in der Wüste, dann die prophezeite bleibende Nähe zwischen Gott und Volk Israel. Hosea pädagogisiert die Wüste als unwirtliche aber wirksame Erziehungsdomäne und deutet sie um zur riesigen Couch der verdrängten Erinnerung. Die positive Auszeichnung der Wüste durch Hosea wird allerdings gekontert durch Ezechiel, der die Wüste auch (aber nicht nur) als Ort der Abrechnung (Hesekiel 20,35) auszeichnet, wahrscheinlich geprägt durch die Erfahrung der Heimatlosigkeit im Babylonischen Exil.
Wüste als Ort der Askese und Reinigung finden sich selbstredend auch im Neuen Testament: der Täufer Johannes, Jesus und Paulus gleichermaßen brauchen die Wüste, um Klarheit zu erlangen. Jesus, dessen Aufenthalt symbolisch mit vierzig Tagen angegeben wird, um den vierzigjährigen Aufenthalt des Volkes Israel zu wiederholen, trifft nicht zufällig in der Wüste auf den Teufel. Dagegen wählen die Essener die Wüsten in Qumran als Ort ihrer monastischen Gemeinschaft, stellen die Besonderheit auf Dauer, unterbieten damit in ihrem Purismus die unlösbare Doppelung von Wüste und gelobtem Land. Jesus aber bleibt bekanntlich nicht in der Wüste, sondern ist ein Süßkind par excellence.
Nicht zufällig verspricht Jesaja (35,6f.) sogar eine Verwandlung der Wüste in einen Garten Eden. Viele Malertheologen haben deshalb auch Jesus nicht als Asketen, sondern mit Vorliebe als Gärtner dargestellt. Das entspricht dem therapeutischen Wechselspiel von Wüste und Garten sehr viel genauer.
Wüste als Purgatorium
Die Vereinseitigung des Metaphernspiels von Wüste und Garten hat über Jahrhunderte bekanntlich zu einer Hochschätzung der Askese geführt. In mehreren Predigten hat Martin Luther öffentlich gemacht, warum er sich für sein ehemaliges Mönchsein schämt: Das Kloster ist die eingezäunte Wüste. Indem Luther seine Scham öffentlich macht, korrigiert er eine sehr lange Tradition im Christentum, die gerne unter der Rubrik "Ausnahmeexistenz"verhandelt wird: Die monastische Askese erfährt bei Luther eine radikal neue Bewertung. Mönche sind unverständige Zeugen, die Wüste ist nicht das Ziel, das zu behaupten ist Mumpitz, zumindest so lange nicht, bis die Wüste zum Garten umgewidmet wird.
An anderer Stelle hat Luther die metaphorische Wüste als zeitweiligen Fluchtort hoch geschätzt, wenn er die Rechtgläubigen aus der katholischen Captivitate babylonica befreien will. Und für Calvin ist die Reformation grundsätzlich dem Auszug aus der Sklaverei Ägyptens vergleichbar. Leider hat Calvin es bekanntlich nicht verstanden, die gelobte Stadt Genf zu einem Ort zu gestalten, an dem Mich und Honig reichlich flossen.
Zugegeben – diese positive Codierung der Wüste als Purgatorium etwa bei Hosea hat sich alltagssprachlich oft nicht durchsetzen können, sogar im frommen Requiem von Friedrich Hebbel steht die Wüste für die Trennung der Toten vom liebenden Gott: "Seele, vergiß nicht die Toten! / Sieh, sie umschweben dich, / Schauernd, verlassen, / Und wenn du dich erkaltend / Ihnen verschließest, erstarren sie / Bis hinein in das Tiefste. / Dann ergreift sie der Sturm der Nacht, / Dem sie, zusammengekrampft in sich, / Trotzten im Schoße der Liebe, / Und er jagt sie mit Ungestüm / Durch die unendliche Wüste hin."
Für Transpirationsunwillige ist die Wüste als Metapher für Leere in der Moderne neu verortet worden. Nach dem zweifelhaften Aufstieg des Eremitentums und der protestantischen Verabschiedung wird sie nach innen verlegt, Wüste beschreibt nicht länger den Ort der Reinigung, ist nicht länger Quelle für mystische Erfahrungen, sondern beschreibt den Horror vacui im Gestänge des Brustkorbs, oder aber den Ennui in der lärmenden Großstadt oder – bisher kaum literarisch bearbeitet – die Wüste des World Wide Web. Wo alles Bedeutung heischt, ist alles gleich unwichtig. Die Wüste wächst. Vielleicht ist die Oase das eine weiße leere Blatt, das Bedeutung aufnehmen will.
Therapeutikum gegen leere Völlerei
Ich bin leider wenig hitzebeständig, habe keine Teflonhaut, bin eher ein Anhänger des Salzburger Schnürlregens oder des holländischen Fisselregens. Aber steht die Wüste für eine kurzzeitige Diät und Konzentration auf das Wesentliche (die Tourismusbranche hat diese Sehnsucht entdeckt), dann ist es ein wunderbares Therapeutikum gegen die leere Völlerei unserer Datenströme. Aus dieser Erfahrung eine dauerhafte Askeseexistenz abzuleiten, ist, das kann man an Luther lernen, rundum falsch. Und auch eine christliche Mystik, die sich an die Wüstenerfahrung auf Dauer andockt, ist mir zu einsam. Verschmelzung? Ja, bitte. Riesinnen? Warum nicht, aber dann doch bitte nicht mit Riesinnen, die sich in Luft auflösen. Das gelobte Land ist anderswo.
Klaas Huizing
Klaas Huizing
Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.