Zu vielem, was ist oder passiert, gibt es auch eine literarische Version. Denn was immer Kunst und Literatur an und für sich sein mögen, sie nehmen doch von Tatsächlichem, zumindest als wirklich Erscheinendem, ihren Ausgang. Und immer wieder bescheinigt man ihnen, es lasse sich aus ihnen Nutzen ziehen. Nehmen wir das Geld: In größerem Stil hat erstmals der damalige französische Finanzminister John Law Anfang des 18. Jahrhunderts Banknoten unter das Volk gebracht, erfunden haben das Papiergeld indessen wohl die Chinesen.
Bei Goethe, im zweiten Teil des Faust, findet sich eine andere Version. Dort führt Mephisto das Papiergeld ein und klärt dank unbeschränkter Geldvermehrung sogleich auch die desolate deutsche Finanzlage. Das wird man vielleicht weniger als deutliche Warnung vor den Gefahren einer Inflation verstehen, viel näher liegt die Assoziationskette Geld - Teufelei - Aberglaube - also eine im Bereich des Glaubens und der Religion. Dies ist durchaus aktuell-plausibel, funktioniert doch Geld als Kommunikations- und Zahlungsmittel nur dann, wenn man ihm und seinem Wert vertraut.
Unter solchem gedanklichen Niveau macht es ein Johann Wolfgang von Goethe nicht. Den Zusammenhang von Wirtschaft, Geld und Leben bedenken literarische Werke aber immer wieder auch konkreter am Beispiel individueller Schicksale.
Mit menschlichem Maß
Lässt sich aus solchen Gestaltungen auch eine allgemeine Lehre ziehen, welche die aktuelle Finanz- und Eurokrise in anderem Licht erscheinen lässt? Karl-Josef Kuschel, Professor für katholische Theologie in Tübingen, und Heinz-Dieter Assmann, Rechtsprofessor ebendort, untersuchen das in einer groß angelegten, gut lesbaren Studie, die auf einer gemeinsamen Vorlesungsreihe aufbaut. Außer auf Goethe und Thomas Manns Kaufmanns- und Familienroman Buddenbrooks gehen sie ausführlich auf Emile Zolas Roman Das Geld und Bertold Brechts Heilige Johanna der Schlachthöhe ein. Mindestens ebenso passend und ertragreich wirken drei neuere Romane, die die beiden Tübinger Autoren anführen.
In Fegefeuer der Eitelkeiten erzählt der US-Amerikaner Tom Wolfe von einem wie aus dem Bilderbuch der protestantischen Ethik stammenden Investmentbanker, der glaubt, ein "Meister des Universums" zu sein, in der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber auf groteske Weise scheitert. William Gaddis lässt in J. R. einen Elfjährigen per Telefon mit nichts ein Wirtschaftsimperium aufbauen, und Martin Walser porträtiert in seinem Roman Angstblüte den alternden Finanzberater Karl Kahn, der nicht einsehen will, dass menschliche Beziehungen nicht nach dem Vorbild von Zahlenwerten und ökonomischen Verhältnissen zu gestalten sind.
Wollte man all das auf einen Nenner bringen, so ließe sich schließen, dass man auch in Wirtschaftsdingen am besten fährt, wenn man sie mit menschlichem Maß betreibt. Die Literatur liefert denn auch weniger Detailwissen in Sachen Wirtschaft und Finanzen, als dass sie Porträts von Akteuren zeichnet und die menschlichen Konsequenzen skizziert. Das verstand sich freilich auch schon vor dieser interesannten Veröffentlichung.
Die Autoren komplettieren diese Erkenntnis durch allgemeine Überlegungen zu den ethischen Standards eines verantwortungsbewussten wirtschaftlichen Handelns, wobei erwartungsgemäß auch die Goldene Regel - behandele andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst - zur Sprache kommt. Wirklich neu ist das alles nicht, besticht aber durch den klaren, material- und faktenreichen (Über-) Blick. Überhaupt kann man manche Dinge nicht oft genug sagen.
Karl-Josef Kuschel/Heinz-Dieter Assmann: Börsen, Banken, Spekulanten.Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011. 400 Seiten, Euro 29,99.
Thomas Groß
Thomas Groß
Thomas Groß ist Kulturredakteur des Mannheimer Morgen.