Untergang der Kirche beschworen

Der Weg evangelischer Theologinnen ins Pfarramt war mühsam und langwierig
Die württembergische Pfarrerin Stefanie Luz: Noch in den Sechzigerjahren wurden Pfarrerinnen entlassen, wenn sie heirateten. Selbst wenn der Mann evangelisch war. Foto: epd/Gerhard Bäuerle
Die württembergische Pfarrerin Stefanie Luz: Noch in den Sechzigerjahren wurden Pfarrerinnen entlassen, wenn sie heirateten. Selbst wenn der Mann evangelisch war. Foto: epd/Gerhard Bäuerle
1907 promovierte erstmals eine Frau in evangelischer Theologie, 1991 führte die schaumburg-lippische Kirche als letzte Mitgliedskirche der EKD die Frauenordination ein. Cornelia Schlarb, die stellvertretende Vorsitzende des Theologinnenkonvents, beschreibt den Kampf der evangelischen Theologinnen in Deutschland um die Gleichberechtigung.

"Es muß einmal eine Zeit kommen, in der man ohne Kampf Vikarin werden kann. Die große Unsicherheit über den Beruf muß den Studierenden oder denen, die vielleicht Theologie studieren möchten, genommen werden", schrieb Elisabeth Haseloff 1958 im Rundbrief des Konventes Evangelischer Vikarinnen in Deutschland. Bis zu dieser Zeit lautete die landläufige Bezeichnung für Theologinnen, die in der evangelischen Kirche tätig waren, "Vikarin" oder "Pfarrvikarin". Und der Kampf um die rechtliche und reale Gleichstellung der Frau im geistlichen Amt war bei weitem nicht in allen deutschen Landeskirchen ausgefochten.

1958 verabschiedeten die Pfälzer, die Lübecker und die anhaltinische Landeskirche Gesetze zur eingeschränkten Gleichstellung von Frauen im geistlichen Amt. Damit gehörten sie zu den ersten Mitgliedskirchen der EKD, die nach dem Krieg Schritte zur Gleichstellung der Theologinnen unternahmen. Elisabeth Haseloff wurde 1959 in Lübeck als Pastorin auf Lebenszeit auf die landeskirchliche Pfarrstelle der Frauenarbeit und die 3. Pfarrstelle an der St. Matthäi-Gemeinde berufen. Und im Frankfurter Stadtteil Zeilsheim übernahm zur selben Zeit Waltraud Hübner als erste Frau ein Gemeindepfarramt der hessen-nassauischen Landeskirche.

Begonnen in Baden

Begonnen hatte diese Entwicklung lange vorher - mit dem Recht von Frauen, sich an deutschen Universitäten einzuschreiben. Vorreiter war das Großherzogtum Baden. Dort durften Frauen seit 1900 uneingeschränkt studieren, in Preußen dagegen erst acht Jahre später. Damit verband sich jedoch kein Anspruch auf Zulassung zu den staatlichen und kirchlichen Prüfungen. Bis zur Gleichstellung von Mann und Frau in der Weimarer Verfassung von 1919 konnten Theologinnen nur mit der Licentiatenprüfung, einer Promotion, ihre Studien abschließen. 52 der über 450 im Lexikon früherer evangelischer Theologinnen erfassten Frauen der Geburtsjahrgänge bis 1920 promovierten zur Lic. theol. oder Dr. phil. Unter ihnen war die Kirchenhistorikerin Hanna Jursch, die 1932 promovierte und sich 1934 habilitierte. Als erste Frau erhielt sie 1945 in Jena einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte. Nach ihr ist ein Preis benannt, den der Rat der EKD alle zwei Jahre für theologische Arbeiten aus der Perspektive von Frauen vergibt.

Als erste deutsche Landeskirche ließ 1915 die badische Elsbeth Oberbeck zu den landeskirchlichen Prüfungen zu: Erstes Theologisches Examen 1916, Zweites 1917. Doch diese Zulassung schloss die Aufnahme in den Kirchendienst nicht ein. Um Theologiestudentinnen einen Abschluss zu ermöglichen, führten die Universitäten aber ab 1919 das Fakultätsexamen ein. Doch bis Mitte der Zwanzigerjahre wurde es von den Landeskirchen nicht als Erstes Theologisches Examen anerkannt.

Einsegnung statt Ordination

Die große berufliche und rechtliche Unsicherheit und der Wunsch nach Austausch und Gemeinschaft mit Gleichgesinnten führten 1925 zur Gründung des Theologinnenverbandes. Carola Barth, 1907 in Jena als erste Theologin Deutschlands promoviert, hatte dazu bereits 1919 aufgerufen. Sechs Jahre später, als die ersten deutschen Landeskirchen Gesetze über die Verwendung theologisch gebildeter Frauen verabschiedeten, wurde es höchste Zeit, sich in einer Interessenvertretung zu sammeln. Richtungweisend für die ersten rechtlichen Regelungen wurde das "Kirchengesetz betreffend Vorbildung und Anstellung der Vikarinnen" in der preußischen Landeskirche, der bei weitem größten in Deutschland. Das Gesetz, das im Oktober 1928 in Kraft trat, erlaubte die "Einsegnung" - nicht Ordination - zum Dienst an Frauen, Mädchen und Kindern. Es verwehrte den "Vikarinnen" dagegen, Gemeindegottesdienste zu leiten und Amtshandlungen zu vollziehen. Und in der Regel mussten sie bei Heirat den Kirchendienst verlassen.

1925 zerbrach der Theologinnenverband. Die Mehrheit erstrebte vorerst nicht die volle Gleichstellung der Frauen im geistlichen Amt, sondern ein besonderes "Frauenamt" zwischen Pfarramt und Gemeindehelferin. Erna Schlier-Haas, die Verbandsvorsitzende, interpretierte Galater 3, 28 - wonach unter den Getauften "nicht Mann noch Frau" gilt, sondern "alle einer in Christus" sind - von einer schöpfungstheologisch begründeten Geschlechterhierarchie her, die der Frau das untergeordnete Dienen zuwies.

Eine kleine Minderheit forderte dagegen aufgrund derselben Bibelstelle die Gleichstellung mit den Pfarrern. 1930 bildete sie die Vereinigung Evangelischer Theologinnen. Diese löste sich aber in der Nazizeit auf. Zwei Mitglieder erhielten Berufsverbot, eine wurde in den Ruhestand versetzt, und die anderen mussten diverse Einschränkungen hinnehmen.

In der Bekennenden Kirche

Die Mehrheit der Theologinnen gehörte der Bekennenden Kirche (BK) an, und viele legten ihre Examina vor deren Prüfungskommissionen ab. Elisabeth Grauer, die als erste Frau dem Prüfungsausschuss der BK angehörte, wurde 1936 mit weiteren acht Theologinnen eingesegnet. Und 1943 ordinierte der brandenburgische Präses - und spätere Berliner Bischof - Kurt Scharf Ilse Härter und Hannelotte Reiffen in das Gemeindepfarramt, das sie schon einige Jahre ausgefüllt hatten. Für ihre widerständige Haltung nach 1933 wurden etliche Theologinnen strafversetzt, verhaftet und ins KZ verschleppt. Das widerfuhr Katharina Staritz, die im Büro Grüber mitgearbeitet und Juden geholfen hatte.

Etwa ab 1942 übetrugen die hannoversche und die württembergische Landeskirche Vikarinnen und theologisch gebildete Pfarrfrauen Gemeinden, deren Pfarrer eingezogen worden waren. Sie predigten, teilten Abendmahl aus, tauften, hielten Katechumenen- und Konfirmandenunterricht, trauten, schulten Mitarbeitende und beerdigten - auch bei Tieffliegerangriffen. In der Nachkriegszeit suchten die Kirchenleitungen aber zunächst, die rechtliche Regelung des Dienstverhältnisses auf dem Stand der alten "Vikarinnengesetze" einzufrieren. Das Gesetz, das die Synode der Bekennenden Kirche Preußens 1942 erlassen hatte, blieb besonders für die Landeskirchen, die aus der altpreußischen Union hervorgingen, wegweisend. Es legte die Vikarinnen auf ein besonderes Frauenamt mit Sonderaufgaben an Frauen und Kindern fest, sah eine Einsegnung statt einer Ordination vor, verweigerte Frauen den Pfarrertitel, gestand ihnen nur 80 Prozent des Pfarrergehaltes zu und legte Einzelfallentscheidungen über eine Weiterbeschäftigung nach der Heirat fest und eine Berufung ins Gemeindepfarramt ohne die alleinige Gemeindeleitung, mit der damals Pfarrer betraut waren. Dabei hatten sich in Nazi- und Kriegszeit etliche Theologinnen in Pfarramt und Gemeindeleitung bewährt. Und so war im Vergleich zu den Anfängen bei vielen Frauen das Selbstbewusstsein gewachsen.

Mit Stellungnahmen und Anträgen bei den jeweiligen Landeskirchen erreichten viele regionale Theologinnenkonvente die sukzessive Aufhebung aller Einschränkungen. Und der Wandel, den die westdeutsche Gesellschaft in den Fünfziger- und Sechzigerjahren vollzog, und das sich ändernde Rollenbild und die politische Gleichstellung der Frauen seit 1958 blieb auch in der evangelischen Kirche nicht ohne Wirkung. Und nicht zuletzt förderte der Pfarrermangel im geteilten Land ein Umdenken zugunsten der vollen Gleichstellung von Frauen im geistlichen Amt.

Einige östliche Landeskirchen ordinierten Theologinnen seit Anfang der Fünfzigerjahre und ließen sie zum Pfarramt zu. Das Pfarrvikarinnengesetz der Evangelischen Kirche der Union von 1952 ermöglichte den in ihr zusammengeschlossen altpreußischen Landeskirchen, Pfarrvikarinnen zu ordinieren. Und diese wurden mit vollem Auftrag in Landgemeinden eingesetzt. Zehn Jahre später leitete die Pastorinnenverordnung von 1962 die finanzielle Gleichstellung ein, und 1974 entfiel die Zölibatsklausel, die Bestimmung, wonach eine Pfarrerin bei Heirat aus dem Kirchendienst ausscheiden musste. Und ab 1982 galt in den Landeskirchen der DDR ein Pfarrerdienstgesetz, das Männer und Frauen gleich behandelte.

Auch das Beffchen erlaubt

Im Westen vollzog sich die Aufhebung aller Einschränkungen für Frauen im geistlichen Amt dagegen unterschiedlich schnell. Die hannoversche, berlin-brandenburgische, rheinische und westfälische Landeskirche unterhielten Anfang der Fünfzigerjahre Vikarinnenseminare, um in der Ausbildung das Frauenspezifische zu bewahren. Zuvor waren die Theologinnen ohne Ausbildung im Predigerseminar geblieben. Andere Landskirchen wie die pfälzische, württembergische und hessen-nassauische bildeten in den Predigerseminaren die Vikarinnen schon in den Fünfzigerjahren gemeinsam mit ihren männlichen Kollegen aus. In Hessen-Nassau erhielten die Vikarinnen bereits 1955 den gleichen Lohn wie die Pfarrer, und ab 1970/71 waren sie ihnen in allen Belangen gleichgestellt. Die badische Landeskirche ersetzte die "Einsegnung" 1958 durch die "Ordination" und erlaubte, dass Frauen Männer in der Leitung des Gemeindegottesdienstes vertreten durften. Und ein Jahr später durften sie das Beffchen - zu dem seit 1942 erlaubten Talar - tragen. Aber erst 1962 wurde allen rechtmäßig berufenen Theologinnen - auch rückwirkend - die Amtsbezeichnung "Pfarrerin" zugestanden.

1971 beschloss die badische Landessynode die Gleichstellung von Pfarrerinnen und Pfarrern, obgleich der Synodale und Theologieprofessor Peter Brunner eindringlich vor dem Gericht Gottes und dem Untergang der Kirche gewarnt hatte. Die württembergische Landeskirche hob im November 1968 sämtliche Einschränkungen für die Pfarrerinnen auf. Und im Februar darauf verabschiedete die Synode der Reformierten Kirche das "Gesetz zur Rechtsstellung weiblicher Pfarrer", das Frauen den Zugang zum Gemeindepfarramt ebnete. Das Pfarrergesetz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), eines Zusammenschlusses lutherischer Mitgliedskirchen der EKD, bestimmte 1978: "In das Dienstverhältnis als Pfarrer können Männer und Frauen berufen werden, die die Anstellungsfähigkeit erworben haben und ordiniert sind.

Zölibathsklausel aufgehoben

Mit Übernahme dieser Gesetzgebung stellten die der VELKD angehörenden Landeskirchen Hannover und Nordelbien männliche und weibliche Geistliche gleich. Und die Aufhebung der Zölibatsklausel schuf die Voraussetzung, dass auch Pfarrehepaare Dienst tun konnten. Die gleichberechtigte Zulassung zum geistlichen Amt schloss auch die Möglichkeit ein, Frauen in Leitungsämter der Kirche zu berufen. 1963 wurde Gertrud Grimme als erste Oberkirchenrätin ins Kirchenamt der EKD berufen, ein Jahr danach zog Sieghild Jungklaus in das Konsistorium der berlin-brandenburgischen Landeskirche ein. Und 1970 wurde Gerta Scharffenorth, vor kurzem hundert Jahre alt geworden, als erste Frau in den Rat der EKD gewählt.

Seit den Achtzigerjahren wurden vermehrt Theologinnen an die Spitze eines Kirchenkreises und einer Kirchenregion gewählt. Die berlin-brandenburgische Landeskirche machte in ihrem östlichen Teil den Anfang mit Ingrid Laudien. Sie wurde 1976 Superintendentin und 1994 - als erste Frau - Generalsuperintendentin, also Regionalbischöfin. Mit Maria Jepsen wurde 1992 die weltweit erste lutherische Bischöfin gewählt. Sie war für den Sprengel Hamburg der Nordelbischen Kirche zuständig. Und mit Landesbischöfin Margot Käßmann wurde 2009 zum ersten Mal eine Frau zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt.

Heute können Frauen in vielen evangelischen Kirchen der Welt ein Pfarramt bekleiden, auch wenn in deren Strukturen noch vieles verbesserungsbedürftig bleibt und sich mancherorts die Vorbehalte gegenüber weiblichen Geistlichen hartnäckig halten. Und die Kirchen, in denen Frauen ihrer Berufung ins Pfarr- und Hirtinnenamt noch nicht oder nicht mehr Folge leisten dürfen, erinnert die Reformationsdekade daran: Die Erkenntnis vom Priestertum aller Glaubenden verlangt das gleichwertige und gleichgestellte Priestertum von Frauen. Der Lutherische Weltbund zählt die Ordination von Frauen zum protestantischen Profil und zu den wichtigen Ereignissen der kirchlichen Zeitgeschichte. Weltweit haben Theologinnen das Gesicht der Kirche verändert, bringen seit dreißig Jahren feministisch-theologische Entwürfe in die Diskussion über die Grundlagen des christlichen Glaubens ein und tragen wesentlich zur ecclesia semper reformanda bei, einer Kirche, die sich fortlaufend erneuert.

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Cornelia Schlarb

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