Theologie in Musik gefasst

Im Bachhaus in Eisenach kreuzen sich die Wege von Martin Luther und Johann Sebastian Bach
Das Babstsche Gesangbuch von 1545 ist in Eisenach zu sehen. Foto: Bachhaus
Das Babstsche Gesangbuch von 1545 ist in Eisenach zu sehen. Foto: Bachhaus
"Luther, Bach und die Musik" heißt eine Sonderausstellung, die im Bachhaus Eisenach bis zum 11. November 2012 gezeigt wird. Der Theologe Michael Heymel erläutert, warum sich ein Besuch lohnt.

"Ich bin willens, nach dem Beispiel der Propheten und alten Väter der Kirche, deutsche Psalmen für das Volk zu machen, das ist geistliche Lieder, dass das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibe", schrieb Martin Luther 1523 an seinen Freund Georg Spalatin. "Psalmos pro vulgo - Psalmen für das Volk" sollten geschaffen werden, nicht bloß anspruchsvolle Musik für den Chor, um den Menschen das Wort Gottes in der Volkssprache nahezubringen. Dabei verwies Luther auf biblische und altkirchliche Vorbilder, an die er anknüpfen wollte, und löste gleich selbst sein Programm mit 37 eigenen Kirchenliedern ein. Mindestens dreißig davon hat Johann Sebastian Bach vertont. "Ein feste Burg ist unser Gott" und "Vom Himmel hoch" gehören dazu, aber auch "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort" und "Aus tiefer Not schrei ich zu dir". Luther rückt den Gemeinde- und Chorgesang ins Zentrum des lutherischen Gottesdienstes. Damit schafft er die Voraussetzungen für Bachs späteres Wirken als Kantor und Organist.

Im thüringischen Eisenach kreuzen sich die Lebensspuren von Martin Luther und Johann Sebastian Bach. Luther besuchte hier die Lateinschule und sang in der Georgenkirche, auf der Wartburg übersetzte er 1521/22 das Neue Testament. Der in Eisenach geborene und in der Georgenkirche getaufte Bach besuchte nicht nur die gleiche Lateinschule wie Luther. Er sang auch wie dieser in der Eisenacher Kurrende, erhielt hier Unterricht in Luthers Katechismus und den ersten Musikunterricht. Eine Ausstellung im Bachhaus Eisenach verschränkt jetzt beide Lebensgeschichten und zeigt, wie Bach Luthers Lieder rezipiert und gedeutet hat.

Bei der Konzeption habe man sich, so der Direktor des Bachhauses Jörg Hansen, vor allem auf den Musikwissenschaftler Robin A. Leaver, Direktor der amerikanischen Bachgesellschaft und Spezialist für lutherische Kirchenmusik, und die von dem Schweizer Hymnologen Markus Jenny erstellte kritische Ausgabe von Luthers geistlichen Liedern und Kirchengesängen gestützt.

Eine Mottete zum Trost

Wer sich die Ausstellung anschaut, sollte sich für die Musikbeispiele genügend Zeit lassen. An acht Hörstationen werden von Luther geschaffene Lieder in einer Bachschen Fassung hörbar. Jedes Lied wird einem Aspekt der Wirksamkeit Luthers als Musiker, Reformator und Liedermacher zugeordnet. Sodann wird die Entstehungsgeschichte des Liedes beleuchtet und ein Gesangbuch des 16. oder 17. Jahrhunderts gezeigt, in dem Liedtext und Melodie abgedruckt sind. Daneben wird eine Bachsche Vertonung gestellt, die auf das Lied bezogen ist. Erläuterungen machen deutlich, wie Bach bis in kleinste Details bemüht war, den theologischen Aussagen von Luthers Texten musikalischen Ausdruck zu verleihen. Bedauern kann man, dass Luthers Lieder nicht neben den Bachschen Fassungen in ihrer Originalform als unbegleiteter Gemeindegesang zu hören sind.

Eine besondere Rolle spielt die einzige von Luther erhaltene mehrstimmige Komposition zu Psalm 118, Vers 17, der die neunte Station der Ausstellung gewidmet ist. 1530 bewohnte Luther für ein halbes Jahr eine Stube der Veste Coburg, als er unter päpstlichem Bann stand. Während dieser Zeit schrieb er mit schwarzen Lettern an die Stubenwand: "Non moriar sed vivam et narrabo opera domini - Ich werde nicht sterben, sondern leben und die Werke des Herrn verkündigen." In einem Brief an den Münchener Hofkapellmeister Ludwig Senfl erbat Luther eine Motette zu einem anderen Psalmvers, um sich selbst damit zu trösten. Senfl schickte ihm nicht nur das Gewünschte, sondern obendrein auch eine Vertonung des "Non moriar sed vivam".

An dieser Stelle bietet die Ausstellung die Möglichkeit, sowohl Luthers eigene Motette wie auch Senfls Version zu hören. Zu sehen ist dazu das "Eisenacher Kantorenbuch", aus dem seit etwa 1536 die Chormitglieder der Georgenkirche und möglicherweise auch Johann Sebastian Bach gesungen haben.

Die Seele des Wortes

Liebhaber alter Gesangbücher finden in den Vitrinen wahre Schätze: das erste reformatorische Gesangbuch überhaupt, das "Achtliederbuch" von 1524, und das im gleichen Jahr gedruckte "Erfurter Enchiridion", das älteste thüringische Gesangbuch, aber auch das Wittenberger Gesangbuch von 1543, in dem erstmals das Lied "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort" abgedruckt war. Luther hat weder das Kirchenlied erfunden, noch war er der Vater des Gesangbuchs, aber er bediente sich, modern ausgedrückt, der Printmedien, um die reformatorische Lehre in Kirchenliedern zu verbreiten. Ein Gesangbuch benutzen konnte natürlich nur, wer lesen gelernt hatte. Die Gemeinde sang zu jener Zeit aus Textgesangbüchern, Gesangbücher mit Notendruck waren für Pfarrer, Kantoren und Schülerchöre bestimmt.

Aus den Gesangbüchern seiner musikalischen Wirkungsstätten kannte Bach Luthers Lieder und ihre Melodien. Vier wertvolle Notengesangbücher der Bachzeit sind ausgestellt: Das von Melchior Vulpius (1609), das aus dem Besitz der Bach-Familie stammt, das Leipziger Gesangbuch von Gottfried Vopelius (1682), das Dreßdnische Gesangbuch von 1707 und das Weißenfelsische Gesangbuch von 1714 - Bach war ab 1729 Weißenfelsischer Hofkapellmeister "von Hause aus".

Die beiden zuletzt genannten Gesangbücher sind erstmalig im Bachhaus ausgestellt. Man kann darüber streiten, ob Luthers Musikliebe größer war als die anderer Reformatoren. Auch Calvin legte Wert darauf, Musik zum Lob Gottes und zur Verfeinerung der Sitten zu gebrauchen, aber im Gottesdienst setzte er ihr deutliche Grenzen. Warum hat Luther die Musik so hoch geschätzt, dass er nicht müde wurde, sie als Gottesgabe zu rühmen? Fest steht, dass es ihm vor allem auf die enge Verbindung von Wort und Musik ankam.

Konzentration auf Zusammenhänge

Das mag rechtfertigen, weshalb seine Beziehung zur Instrumentalmusik in der Ausstellung ausgespart wurde. Als biblischer Theologe hat Luther in seinen frühen Vorlesungen über die Psalmen auf dem Hintergrund seiner Erfahrung als Augustinermönch mit dem täglichen Psalmengesang über das erklingende Wort nachgedacht. Die Stimme sei die Seele des Wortes, sagt er in einer Psalmenvorlesung. Rede und Musik müssten sich in Liedern vereinen, um die Herzen der Hörer zu bewegen. Damit formuliert Luther den Kern seiner Erkenntnis, dass das verbum theologiae, das Wort der Theologie auf die vox musicae, die Stimme der Musik angewiesen ist. "Die Schriften der Propheten und Apostel", so wird er später an den Komponisten Ludwig Senfl schreiben, "enthalten Theologie in Musik gefasst."

Auf dieser Basis konnte Bach, wie der Reformator ein gelehrter Musiker, die von Luther übersetzten Evangelien und lutherischen Kirchentexte vertonen und interpretieren. Dabei kam es ihm zunächst darauf an, die dem jeweiligen Text entsprechenden Affekte mit kompositorischen Mitteln auszudrücken und hervorzurufen. Das Orgelvorspiel "Nun freut euch, liebe Christen g'mein" (bwv 734) drückt in seiner Bewegung überschwängliche Freude aus. In die Erstfassung seines Magnificat (bwv 243) fügte Bach das Lied "Vom Himmel hoch" ein, und im Weihnachtsoratorium verwendet er die Melodie dieses Liedes gleich dreimal, so für den Schlusschoral des zweiten Teils "Wir singen dir mit deinem Heer" zu einem Liedtext von Paul Gerhardt. Dass Bachs Kantaten eine andere Ausprägung des barocken, die Affekte darstellenden "theatralischen Kantatenstils" sind, den sein Zeitgenosse Georg Philipp Telemann auf seine Weise anwandte, ließe sich mit Hörbeispielen belegen. Eine derzeit im Lutherhaus gezeigte Ausstellung zu Telemanns Eisenacher Kantatentexten regt jedenfalls an, diesen Vergleich zu ziehen.

Die Ausstellung "Luther, Bach und die Musik" konzentriert sich bewusst auf die Darstellung musikgeschichtlicher Zusammenhänge. Gerade so erlaubt sie dem Betrachter und Hörer, nach der Aktualität von Luthers Liedern und ihrer Rezeption bei Bach zu fragen. In den Liedern äußert sich ein kämpferischer Glaube, der Protest und geistlichen Widerstand freisetzt. Es steckt in ihnen eine große Kraft, die Verstand und Gefühl bewegen kann. Diese Kraft aber, darauf verweisen Bachs Kantaten und Choralbearbeitungen, entfalten sie nur, wenn eine Gemeinde mit ihnen lebt und sie im Gottesdienst mit ihrem gegenwärtigen Leben zusammenbringt. Informationen:

"Luther, Bach und die Musik". Eine Sonderausstellung im Bachhaus Eisenach bis zum 11. November 2012. Frauenplan 21, 99817 Eisenach, täglich von 10 bis 18 Uhr.

Michael Heymel

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: Privat

Michael Heymel

Dr. habil. Michael Heymel ist habilitierter praktischer Theologe und Pfarrer im Ruhestand in Limburg/Lahn. Er arbeitet als freier Autor und Dozent.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"