Lob der Apokalypse

Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Wenn zum Einsturz gebrachte Monumentalbauten nichts Neues enthüllen können, dann gilt es, die weltängstliche Rede vom Apokalyptischen zu hinterfragen.

Waren die Terroreinschläge in New York und Washington vor zehn Jahren ein apokalyptisches Wetterleuchten? Eher nicht; wer mit dem Schrecken davongekommen ist, hat da­mit noch keine Offenbarung erfahren. Oder, mit dem Prediger Salomo: "Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne."

Wenn zum Einsturz gebrachte Monumentalbauten nichts Neues enthüllen können, dann gilt es, die weltängstliche Rede vom Apokalyptischen zu hinterfragen. Schließlich weist sich das biblische Buch, das der Apokalyptik ihren Namen gegeben hat, im Vorwort als "Offenbarung Jesu Christ" aus. In all dem, was da unter Posaunenklängen bildgewaltig ankündigt wird, hält derjenige durch, der sich selbst als "das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende" bezeichnet. Die göttliche Dramaturgie dieser wahrlich katastrophalen Christusoffenbarung lässt religiöse Innerlichkeit kaum zu Wort kommen.

Noch viel weniger hat sie eine Chance, wo die Apokalypse nur als Vorlage für das literarische oder auch cineastische Genre einer Weltuntergangserzählung dient. In seiner 9/11-Erzählung "Spielarten religiöser Erfahrung" lässt John Updike einen alternden Rechtsanwalt namens Dan Kellog im Anblick des einstürzenden Südturmes des World Trade Centers den Verlust seines Vorsehungsglaubens aussprechen: "Es gibt keinen Gott ... Gott hatte mit keiner Hand eingegriffen, weil es keine gab. Gott hatte keine Hände, keine Augen, kein Herz, nichts."

Das übermenschlich Unvorhersehbare verschließt den Zugang zur göttlichen Weltdirektion - zumindest vorübergehend. Religiöser Vorsehungsglaube kann nur das zulassen, was die eigene Weltanschauung auf Dauer aushalten kann.

Nur scheinbar hält das National September 11 Memorial auf dem Ground Zero in New York mit seinen zweistufigen Wasserkaskaden das Totengedächtnis im Fluss. In Wirklichkeit zerfließt hier das kollektive Namensgedächtnis hoffnungslos in die Vergangenheit. So hat es ja der Prediger Salomo vorhergesehen: "Man gedenkt derer nicht, die früher gewesen sind, und derer, die hernach kommen; man wird auch ihrer nicht gedenken bei denen, die noch später sein werden." Auf Dauer kann menschliche Gedächtniskultur nur pathetische Gleichgültigkeit zelebrieren und muss damit ungewollt der "Offenbarung kosmischen Leerguts" (Updike) huldigen.

Anders das apokalyptische Leidensgedächtnis: Es kann abgrundtiefe Katastrophen aufnehmen, wo jeder Glaube an göttliche Vorsehung im Fatalismus enden muss. Was dabei als Christusheil aufscheint, ist weder billiger noch billigender Trost; am Weltgericht scheint kein Weg vorbeizuführen.

Am Ende des Buches der Offenbarung richtet sich die Heilsgemeinschaft metropolitan ("mutterstädtisch") auf. Der göttliche Thron findet sich im neuen Jerusalem, das nicht länger im Himmel zurückgehalten ist. Da kann dann das 9/11-Memorial in New York mit seinen Wasserläufen und dem Eichenhain ganz neu in den Blick genommen werden: Wo der "Thron des Gottes und des Lammes" die Leerstelle auf dem Ground Zero einnimmt, kehrt sich das Opfergedächtnis der zukünftigen Hoffnung zu: "Und er zeigte mir den Fluss mit dem Lebenswasser, der klar ist wie Kristall, und er entspringt dem Thron des Gottes und des Lammes. In der Mitte zwischen der Straße und dem Fluss, nach beiden Seiten hin, sind Bäume des Lebens, die zwölfmal Frucht tragen. Jeden Monat spenden sie ihre Früchte, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Und nichts Verfluchtes wird mehr sein."

Jochen Teuffel

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