Auf der Zielgeraden

Die Chancen zur Einführung der Finanztransaktionssteuer in Europa sind gestiegen
Wie einst Robin Hood: Das Geld der Reichen soll den Armen zugute kommen. So demonstrierten Anhänger der Kampagne "Steuer gegen Armut" im vergangenen Jahr vor der Frankfurter Börse. Foto: ddp/Mario Vedder
Wie einst Robin Hood: Das Geld der Reichen soll den Armen zugute kommen. So demonstrierten Anhänger der Kampagne "Steuer gegen Armut" im vergangenen Jahr vor der Frankfurter Börse. Foto: ddp/Mario Vedder
Wer an den Finanzmärkten Aktien und andere Wertpapiere hin- und her schaufelt, soll bei jedem Deal dafür Steuern zahlen. Das ist die Idee der Finanztransaktionssteuer, die lange unter dem Namen Tobin-Tax ein Projekt der Globalisierungskritiker war. Jetzt soll sie in der EU eingeführt werden. Doch die entscheidende Hürde muss noch genommen werden, weiß Sven Giegold, der für die Fraktion der Grünen im Europaparlament sitzt.

Die Idee zur Beruhigung des Finanzcasinos über eine Steuer tauchte schon in den Dreißigerjahren bei dem Jahrhundertökonomen John Maynard Keynes auf und kam in anderer Form durch den Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin ab 1972 wieder in die Diskussion. Doch sie blieb lange Zeit nur eine Idee, später dann eine politische Forderung. Denn seit 1997 ist die Steuer eine Kernforderung des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, dem die "Taxe-Tobin" ursprünglich sogar ihren Namen gab, denn die deutsche Übersetzung des französischen Kürzels Attac lautete zunächst "Vereinigung für eine Tobin-Steuer zum Nutzen der Bürger".

Ernstliche Durchsetzungschancen er öffneten sich jedoch erst mit den zunehmend untragbaren Kosten der Finanzkrise. Immer mehr Politiker, Ökonomen und auch Wirtschaftsvertreter wie die Sparkassen und mittelständische Unternehmen sprechen sich seitdem für die Steuer aus. Ende September beschloss die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf zur Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) in der EU. Dieser sieht vor, dass Umsätze mit Aktien und Anleihen mit einer Steuer von 0,1 Prozent belegt werden. Abgeleitete Finanzprodukte (Derivate) sollen mit 0,01 Prozent besteuert werden. Ausgenommen werden sollen lediglich die kurzfristigen Devisengeschäfte (Spot-Markt) aus Gründen des EU-Rechts. Die Steuer soll auf alle Finanztransaktionen von Privatpersonen und Unternehmen fällig werden, die ihren Sitz in der EU haben - sie soll auch erhoben werden, wenn die Geschäfte außerhalb der EU getätigt werden. Die Verlagerung in Steueroasen ist also erschwert.

Insgesamt erwartet die EU-Kommission jährliche Einnahmen von bis zu 57 Milliarden Euro. Sie sollen in das EU-Budget fließen. Die EU-Kommission und vor allem Steuerkommissar Algirdas Semeta hat mit diesem Vorschlag einen formidablen Kurswechsel vollzogen, nachdem er sich, wie die gesamte Kommission auch, lange gegen die Idee gesträubt hatte. Dass er nun dennoch einen solchen Vorschlag auf den Tisch legt, lag vor allem an einer fraktionsübergreifenden Mehrheit im Europaparlament, die die gesamte linke Mitte vereinte und auch große Teile der rechten Mitte umfasste. Der Antrag für die FTT war ein großer Erfolg, der von fast allen deutschen Abgeordneten (außer der FDP) unterstützt wurde. Die deutsche CDU/CSU veränderte dabei ihre Position von einer FTT-Skepsis zu einer klaren Befürwortung.

Dazu hat die breite zivilgesellschaftliche Kampagne "Steuer gegen Armut" unter Beteiligung der Kirchen entscheidend beigetragen. Ohne diese Kampagne in Deutschland wäre vermutlich auch der Erfolg auf europäischer Ebene nicht möglich gewesen. Unter Koordination des rührigen und überzeugenden Nürnberger Jesuiten-Paters Jörg Alt beteiligten sich immer mehr Organisationen an der Kampagne. In einer Petition an den Bundestag sammelte die Kampagne innerhalb von drei Wochen über 50.000 Unterschriften und erreichte da mit, was nur ganz wenigen Kampagnen gelingt: eine Anhörung im Parlament. Auch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (ekd) hatte vor einem Jahr die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gefordert. Es ist bemerkenswert, dass erst durch das Engagement der Kirchen die größere Offenheit bei den politisch Konservativen für die Steuer entstand.

Noch nicht beschlossen

Ebenso bewegte sich der französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy von einem zögerlichen Befürworter zum Unterstützer. Er entdeckte das Thema für die französische Präsidentschaft in der G20 sowie als Ausweis seiner sozialen Gesinnung während des laufenden französischen Präsidentschaftswahlkampfs. Freilich wusste er, dass die Chancen eines Konsenses in der Runde der zwanzig wichtigsten Industrie und Schwellenländer gleich Null sind, weil dies bereits vorher am Widerstand der USA, Kanadas, Brasiliens und anderer Nationen gescheitert war. Doch als die deutsche Bundeskanzlerin und vor allem auch ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble die Steuer auch in der EU und sogar in der Eurozone als Vorreiter forderten, sah sich auch Sarkozy genötigt, die FTT ebenso auf europäischer Ebene zu unterstützen. Der wachsende politische Druck bewirkte, dass EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso die Skepsis der Generaldirektion innerhalb der Kommission den Steuern gegenüber überwinden konnte.

Die Steuer ist jedoch noch nicht beschlossen und umgesetzt. Noch muss der Rat, also die Regierungen der Mitgliedsländer, zustimmen. Großbritannien hat bereits Skepsis angedeutet, und Schweden will die Steuer nur unterstützen, wenn London auch dabei ist. Gleichzeitig leidet Großbritannien unter den großen Haushaltslöchern trotz hartem Sparkurs. Unter der Last des großen Staatsdefizits hat die konservativ-liberale Koalition unter anderem die Studiengebühren erhöht und will nun den staatlichen Gesundheitsdienst nhs privatisieren. In diesem Sommer kam es wegen der wachsenden sozialen Ungleichheit zu starken Sozial- und Jugendprotesten. Es ist also gut möglich, dass das Land seine ablehnende Haltung im europäischen Gesetzgebungsprozess noch ändert. Jedes europäische Land muss allerdings einer EU-Steuer zustimmen, da in Steuerfragen im Rat der Mitgliedsländer leider Einstimmigkeit gilt. Sollte diese nicht erreicht werden, würde sich die Frage stellen, ob die Steuer nur in der Eurozone eingeführt wird. Frankreich und auch die Bundesregierung haben dazu schon Zustimmung signalisiert. Allerdings hat die FDP ihren Kurs in dieser Frage jüngst verschärft. Sie will die FTT nun nur noch, wenn sie in der ganzen EU eingeführt wird. Sie befürchtet, dass die Steuer die Finanzplätze in Kontinentaleuropa schwächt.

Geld für öffentliche Güter

Das Ironische am Nein der FDP wie der Briten ist, dass auf der Insel längst eine Steuer auf Börsenumsätze erhoben wird. Sie erbringt jährlich mehrere Milliarden Pfund, alleine aus den Umsätzen von in Großbritannien gehandelten Anleihen und Aktien. Eine europaweite FTT ist damit zum Teil nur eine Angleichung des Steuerniveaus auf dem Kontinent an die bestehende Steuer in Großbritannien. Auch deshalb eignet sich der Vorschlag nicht für eine generelle rote Linie in der Europapolitik. Richtig ist es aber, über die technische Ausgestaltung der Steuer sachlich zu sprechen, um Vermeidungsmöglichkeiten zu beschränken.

Gestritten wird auch noch über die Verwendung der milliardenschweren Einnahmen. Die Kommission möchte das Geld zur Erhöhung der Eigenmittel der EU nutzen. Die Mitgliedsländer müssten dann weniger in den EU-Haushalt zahlen. Das ist politisch ein kluger Gedanke, denn die Länder, die sich an der Steuer nicht beteiligen, müssten dann höhere Beiträge an die EU bezahlen. Gerade gegenüber Großbritannien wäre das ein starkes Argument.

Die Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und auch Frankreich und die Grünen wollen das Geld allerdings für globale öffentliche Güter wie Klimaschutz und Armutsbekämpfung verwenden, zumindest zu großen Teilen. Der große Vorteil: Die Steuer wäre so leichter globalisierbar. Die Einführung der FTT ist nämlich gut mit den anstehenden globalen UN-Konferenzen zu Klimaschutz in Durban, der "Rio+20-Konferenz" in Brasilien in 2012 und der Erreichung der Millenium-Entwicklungsziele zu verbinden.

Die letzten UN-Klimakonferenzen waren unter anderem daran gescheitert, dass die Industrieländer nicht bereit waren, sich angemessen an der Finanzierung der Kosten der Klimaanpassung und des Klimaschutzes in den ärmeren Ländern zu beteiligen. Diese Kostenbeteiligung ist jedoch unerlässlich für ein wirksames globales Klimaabkommen. Denn die Entwicklungs- und Schwellenländer mahnen zurecht an, dass sie die globale Erwärmung nicht erzeugt ha ben, aber nun die Hauptleidtragenden der Folgen sind. Die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer und international koordinierten Umweltsteuern könnten dafür sorgen, dass die Industrieländer angesichts knapper Kassen nicht wieder mit leeren Händen auf den globalen Konferenzen auftreten müssen. Auch die Schwellenländer hätten einen größeren Anreiz, sich bei einer solchen Verwendung der Steuerein nahmen an der FTT zu beteiligen. Die Koalition der Willigen könnte so wachsen.

Insgesamt zwölf von zwanzig G20-Staaten haben schon Interesse signalisiert. Die Verwendung der Steuereinnahmen für globale öffentliche Güter ist durch eine Teilung der Einnahmen auch mit anderen Zielen der erhebenden Staaten verbindbar, also auch mit dem Vorschlag der EU-Kommission, die Einnahmen in den Haushalt der EU zu leiten. Angesichts der bestehenden Knappheit in den Staatshaushalten wird es aber in jedem Falle noch viel Engagement brauchen, damit überhaupt Geld bei Klimaschutz und Armutsbekämpfung landet. Wenn dabei die Nichtregierungsorganisationen und Kirchen nicht locker lassen, kann die internationale Einführung der Steuer aber ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft zu einer sozial-ökologischen Gestaltung der Finanzmärkte werden. Vermutlich wird man damit leben müssen, dass sich nicht im ersten Schritt alle Finanzplätze daran beteiligen. Das darf aber kein grundsätzliches Hindernis darstellen. Auch in anderen Bereichen globaler Zusammenarbeit - etwa bei den wichtigen UN-Konventionen zu Biowaffen oder Landminen oder hinsichtlich des Internationalen Strafgerichtshofs - gibt es Staaten, die sich daran zunächst nicht beteiligen. Es darf aber nicht der Langsamste das Tempo bei der gerechten Gestaltung der Globalisierung bestimmen. Die Vorreiter müssen sich zusammen tun. Das wird auch hier nicht von alleine geschehen, sondern nur durch das politische Engagement aller, die guten Willens im Sinne des Gemeinwohls sind.

Sven Giegold

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Foto: Dominik Butzmann

Sven Giegold

Sven Giegold (geboren 1969), ist als studierter Wirtschaftswissenschaftler und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen seit über zwanzig Jahren in sozialen und ökologischen Bewegungen aktiv. Seit 2009 ist er Europaabgeordneter und Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament. Giegold gehört dem Präsidium
des Deutschen Evangelischen Kirchentags an. Er ist Mitglied der EKD-Kammer für nachhaltige  Entwicklung und Vorstandsvorsitzender der European Christian Convention (ECC).


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