Kulturbruch

Friedhof im Wandel
Bild
"Die Geschichte des Friedhofs, so wie wir ihn kennen oder zu kennen glauben, findet nach 2000 Jahren ihren Abschluss."

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts stand es außer Frage, dass ein Toter auf einem Friedhof bestattet wird. Doch der Umgang mit den letzten Dingen hat sich im vergangenen Jahrzehnt dramatisch verändert. Vielerorts eröffnen "Friedwälder", "Ruheforste" und "Friedparks", in denen Tote im Wald am Stamm von Bäumen beigesetzt werden. Angehörige lassen ihre eingeäscherten Verwandten in Bäche rieseln oder ins Meer streuen. Evangelische und katholische Kirchengemeinden widmen ihre Kirchgebäude zu Urnenkirchen um, zu Kolumbarien.

Doch wie stark sich der kulturelle Bruch mit den alten Traditionen vollzieht, macht die These deutlich, die Reiner Sörries im Vorwort seiner Kulturgeschichte voranstellt: "Die Geschichte des Friedhofs, so wie wir ihn kennen oder zu kennen glauben, findet nach 2000 Jahren ihren Abschluss." Zu einem Zeitpunkt, an dem es kaum noch Regeln für Bestattungsformen und -orte gibt, legt der Theologe und Archäologe nun eine Kulturgeschichte des Friedhofs vor.

Der Leiter des Kasseler Museums für Sepulkralkultur geht weit zurück in die Antike, in der Totenfürsorge immer eine Sache der Familie war. Diese bestattete ihre Angehörigen in Nekropolen, also in Totenstädten, in privaten Gräbern. Das ändert sich mit dem Christentum. Bereits am Ende des zweiten Jahrhunderts lässt sich ein gemeinde eigener Friedhof nachweisen. Das ganze Mittelalter hindurch war die Kirche Monopolist im Friedhofswesen, doch ab 1800 übernahmen die kommunalen Behörden das Bestattungswesen.

In kurzen, gut strukturierten Kapiteln durchläuft Sörries chronologisch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Seine Themen unter anderen: Erdbestattung kontra Feuerbestattung, die Entstehung des Kirchhofs und auch die Konfessionalisierung der Friedhöfe.

Mittlerweile aber werden die Toten auch außerhalb der Friedhöfe beerdigt. Deshalb wirft er zu Recht die Frage auf: Was wird aus den zum deutschen Stadtbild seit dem Mittelalter gehörenden Friedhöfen, die ja auch Orte der Zeitgeschichte darstellen? Friedhöfe waren immer ein Abbild gesellschaftlicher Strukturen. Dort, wo man Arme bestattete, fehlen Grabzeichen und Prunk, die Reichen hingegen protzen mit mannshohen Christusfiguren, Engeln und kunstvollen Kreuzen. Es ist eine faszinierende Geschichte, deren Verlauf der Theologe lesenswert und spannend präsentiert.

Auch neue, postmoderne Bestattungsformen ignoriert er nicht. Allein an dieser Stelle des Buches schimmert eine leichte Ironie durch, während er sich sonst wohltuend sachlich jeglicher Wertungen enthält: "Es wird abzuwarten sein, bis Wünschelrutengänger die richtige Grablage auspendeln und Feng-Shui-Berater den Friedhof ins rechte Gleichgewicht bringen, in dem sich Yin und Yang die Waage halten."

Der Blick in die Zukunft fällt schwer, zu umwälzend ist der Traditionsabbruch im Bestattungswesen. Aber Gemeinschaftsgrabstätten, heute etwa für Angehörige von Fußballvereinen, erleben nach Ansicht von Sörries eine Renaissance und werden "das Friedhofswesen in Zukunft entscheidend prägen". Andererseits: Manche Menschen bewahren die Asche ihrer Angehörigen zuhause oder im Garten auf, andere lassen sie in einen Diamanten pressen, den sie am Finger tragen. Ein öffentliches Gedenken ist damit nicht mehr möglich.

Sörries Fazit: "Die im Wesentlich christlich geprägte Idee Jahre vom solidarisch getragenen Friedhof für alle kann den Säkularisierungs- und Individualisierungsbestrebungen in der Gegenwart nicht mehr standhalten."

mehr zum Thema "Bestattung"

Kathrin Jütte

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"