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Visionen eines Katholiken
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Hermann Häring arbeitet sich in seinem neuem Buch nicht einfach am Papst ab. Er setzt mit seiner Kritik tiefer an.

Hätten Journalisten und evangelische Kirchenleute dieses Buch gelesen, wäre ihre Einschätzung der Deutschlandreise des Papstes, vorher und nachher, nüchterner und präziser ausgefallen. Der katholische Theologieprofessor Hermann Häring, der sich schon in früheren Büchern und Aufsätzen intensiv mit Benedikt XVI. befasste, bescheinigt ihm, dass seine "Freundlichkeit gegenüber Nichtkatholiken" durchaus "ernst gemeint" ist. Doch gleichzeitig zeige der Papst in manchen Äußerungen über die evangelische Kirche "eine Aversion, die erschreckt und die frühere Kritik verstärkt". Und das hat - wie Häring zu Recht bemerkt - mit Benedikts "monologisch-überzeitlichem, autoritärem, auf die Kirchenväter fixierten und klerikal gefestigten Kirchenbild" zu tun.

Doch Häring, bis 1980 Mitarbeiter Hans Küngs und danach Professor für Systematische Theologie im holländischen Nimwegen, arbeitet sich nicht einfach am Papst ab. Er setzt mit seiner Kritik vielmehr tiefer an. Konservative Katholiken, aber auch manche Protestanten, setzen die katholische Kirche oft mit dem Papsttum gleich. Und sie problematisieren dessen Reform mit der Behauptung, das Papstamt sei ein Alleinstellungsmerkmal des Katholizismus. Doch Häring zeigt, wie sich das römisch-katholische Verständnis der Kirche und ihrer Leitung im Lauf der Geschichte verändert hat. So sei "der nüchterne Respekt vor dem Papst einer gesteigerten Papstverehrung gewichen".

Ein Sündenfall war für Häring die vom Papst in seiner Regensburger Rede - gegen den Protestantismus - hochgehaltene Hellenisierung des Christentums. Sie habe die Erinnerung an Jesus verdunkelt. Denn eine vom Hellenismus geprägte Theologie, wie sie die Kirchen, aber besonders den Papst präge, frage "nicht nach dem Handeln, sondern nach dem Wesen Jesu".

Die Gegner einer Reform der römisch-katholischen Kirche wenden gerne ein, die eigentlichen Probleme seien nicht deren Strukturen, sondern die im Westen verbreitete Gottvergessenheit. Doch für Häring hängen Struktur- und Glaubensfragen zusammen. Seiner Auffassung nach haben sich viele Zeitgenossen auch deswegen von Gott abgewandt, weil sie die hellenistisch geprägten und autoritär durchgesetzten "Denkformen nicht mehr nachvollziehen" konnten, durch die ihnen der christliche Glaube vermittelt worden sei. Häring erinnert an die "hochkomplizierten Dreifaltigkeitsabstrakte" katholischer Dogmatiker, "in denen der Geist der Schrift kaum atmet". Aber diese Kritik trifft natürlich auch evangelische Theologen. Daher müssen sie sich ebenfalls Härings Frage stellen, wie man vom christlichen Glauben sprechen kann, so "dass die Erinnerung an Jesus endlich wieder zur Geltung kommt?"

In seiner Kritik am Klerikalismus des Papstes und seiner Gefolgsleute nähert sich Häring evangelischen Positionen an, genauer: Positionen, die sich auf die Urgemeinde und die frühe Kirche berufen können. Gut katholisch hält er aber an der Dreigliederung des geistlichen Amtes in Diakon, Pfarrer und Bischof fest. Sie habe sich "als sinnvoll und ökumenisch" erwiesen. Aber die Inhaber dieser Ämter müssten von den Gemeinden gewählt werden, ja diese seien "als die Basis aller Apostolizität anzuerkennen". Da dürfte auch mancher Anglikaner und Lutheraner schlucken.

Hermann Härings informatives und anregendes Buch, das gerade ökumenisch engagierten Christen empfohlen sei, schließt mit der Feststellung: "Die Ökumene ist viel weiter, als man es sich in Rom und in manchem Ordinariat vorstellen kann."

Hermann Häring: Freiheit im Hause des Herrn. Vom Ende der klerikalen Weltkirche. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, 200 Seiten, Euro 17,99.

Jürgen Wandel

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