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Der Modernist Alfred Loisy
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Endlich ist Evangelium und Kirche von Alfred Loisy wieder in deutscher Übersetzung erschienen - allerdings nicht in einem katholischen Verlag.

Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche." Dieser Satz stammt von Alfred F. Loisy, aus seinem Buch Das Evangelium und die Kirche, das eine Abrechnung mit Adolf Harnacks Bestseller Das Wesen des Christentums verstanden sein wollte. Dieser Satz entwickelte sich zum Lieblingssatz aller christlichen Institutionsneurotiker.

Endlich ist Evangelium und Kirche von Alfred Loisy wieder in deutscher Übersetzung erschienen - allerdings nicht in einem katholischen Verlag, etwa gar mit Unterstützung der Bischöfe, sondern in einem evangelischen, und der von Carl-Friedrich Geyer neu übersetzte Text findet sich als zweiter Teil in dessen hier anzuzeigendem Buch.

Jetzt ist jeder, der jenen Satz jemals in hämischer Absicht zitiert hat, moralisch verpflichtet, bei Loisy nachzulesen, was der gemeint hatte. Und siehe da: Für ihn war die Kirche, und er meinte die damalige römische, die legitime Fortsetzung der Verkündigung des Evangeliums.

Loisy wollte allerdings für die Theologie seiner Kirche auch die Methoden der historisch-kritischen Exegese einführen, die im evangelischen Bereich schon selbstverständlich waren. Damit löste er dann allerdings den vatikanischen Antimodernismus aus, für den der Protestantismus der erste Schritt zum Atheismus war, so dass Papst Pius X. schließlich von jedem Priester einen Antimodernisteneid verlangte. Dieser Eid wurde von Rom erst 1967 stillschweigend kassiert.

Dass aber die Anfragen Alfred Loisys auch für uns noch nicht erledigt sind, zeigt Carl-Friedrich Geyer im ersten Teil seines Buches. Der Philosophieprofessor an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal ordnet Loisys Gedanken in die allgemeine europäische Denkgeschichte von Lessing bis Troeltsch ein. Er hebt den ambivalenten Charakter seiner Schrift hervor: Nimmt man mit Loisy einen historischen Prozess an, der von der Verkündigung des Evangeliums zur alternativlosen historischen Gestalt der Kirche führt, kann wegen dieses Prozesscharakters gerade nicht die Absolutheit des Christentums oder der Kirche bewiesen sein. "Diese Relativierung beunruhigt die römische Kirche, auch wenn sie gar nicht die Hauptabsicht Loisys bildete." Geyer sieht darin die Tragik Loisys begründet, nicht so sehr in der Dummheit des damaligen Vatikan, der Loisy 1908 exkommunizierte.

Wenn man sich aber auf die Frage nach einer Absolutheit des Christentums einlässt - obwohl "Absolutheit" eigentlich ein Begriff sein sollte, der für Gott zu reservieren wäre - muss man Kirche "idealtypisch" verstehen. Dieser von Max Weber gebildete Begriff meint Gedankenbilder, die zwar aus der historischen Wirklichkeit gewonnen werden, aber begriffliche Konstruktion bleiben. Der Idealtypus kann bis zur Utopie entwickelt werden, die aber nie erreichbar ist. Loisys Denken habe sich ganz auf dieser Linie bewegt, meint Geyer.

So hat zwar die Verwerfung seiner Thesen durch Rom und seine Exkommunikation Loisy in schwere Zweifel gestürzt, aber innerlich war er da schon auf dem Weg zu einer Revision seiner Kampfschrift. Wie die späten Schriften Loisys belegen, hat er sich dann säkular-utopistischen Ersatzbildungen für die Reich-Gottes-Hoffnung zugewandt. Geyer hält diesen Bruch für den Widerruf der Prämisse seines Anfangswerkes, "die von jener idealtypischen Absolutheit ausging".

In einem Schlusskapitel "Abschiede und Ausblicke" folgert Geyer, dass durch Loisy auch uns die Frage gestellt sei: "Wie zeigt sich das Jenseitige im Diesseits der Geschichte, und wie kann das Übernatürliche im Natürlichen Gestalt annehmen?" Angesichts der tiefgreifenden Säkularisierung unserer Zeit sieht Geyer das spezifisch Christliche nur in einer Kompatibilität mit dem normativen Kern westlicher Gesellschaften, und zwar im Begriff der "Menschenwürde". Mit Rudolf Bultmann möchte Geyer alles Religiöse hinter sich lassen, und so endet der erste Teil des Buches mit der schlichten Frage: "Was und auf welche Weise habe ich ganz persönlich dazu beigetragen, dass zu meinen Zeiten und in meinem Leben das Reich Gottes Gestalt hat annehmen können?" Das wäre wohl auch dem späten Loisy zu kümmerlich gewesen.

Carl-Friedrich Geyer: Wahrheit und Absolutheit des Christentums - Geschichte und Utopie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, 224 Seiten, Euro 89,95.

Gerhard Isermann

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