Wunsch: Kind

Über die Fortpflanzung in Zeiten der Reproduktionsmedizin
Für viele Paare ein unerfüllbarer Traum: Familie mit Kindern. Foto: dpa/T. Aichinger
Für viele Paare ein unerfüllbarer Traum: Familie mit Kindern. Foto: dpa/T. Aichinger
Wie ist ungewollte Kinderlosigkeit medizinisch zu bewerten, und lässt sich die extrakorporale Befruchtung grundsätzlich als Methode zur Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit ethisch gutheißen? Ulrich H. J. Körtner, Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien, antwortet auf Fragen, die auch in der evangelischen Kirche umstritten sind.

Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat, also zu jener fiktiven Zeit, in der Märchen spielen, gab es immer wieder Paare, die sich nichts sehnlicher als ein Kind wünschten, jedoch vergeblich. Die Kinderlosigkeit quälte sie so sehr, dass sie am Ende bereit waren, alles in Kauf zu nehmen, um doch noch ihren Kinderwunsch erfüllt zu sehen. Um dieses Motiv kreisen die Märchen der Gebrüder Grimm von Daumesdick, Hans mein Igel und dem Königskind mit der Eselshaut.

Wunschkinder und unerfüllter Kinderwunsch kommen nicht nur im Märchen vor, sondern auch im Leben. Und wie im wirklichen Leben ist es mit den Wunschkindern auch im Märchen so eine Sache. Nicht immer geraten sie so, wie es sich die Eltern erträumen. Dann doch lieber gar kein Kind als solch einen Esel, wie der eigene Sohn einer ist.

Die Erfüllung des Kinderwunsches gehört freilich nicht mehr ins Reich der Märchen und der Phantasie, sondern erscheint technisch machbar dank den Fortschritten der modernen Reproduktionsmedizin. Die reichen Bauersleute und das Königspaar könnten heute ihr Geld nehmen und es mit In-Vitro-Fertilisation versuchen. Und auch der arme Bauer und seine Frau würden immerhin einige Versuche mit extrakorporaler Befruchtung teilweise von der Krankenkasse erstattet bekommen.

Wachsender Markt

Ungewollte Kinderlosigkeit muss nicht länger Schicksal sein. Wie man sich auch sonst eigene Wünsche selbst erfüllen kann, vorausgesetzt man hat das nötige Geld, so auch den Wunsch nach einem leiblichen Kind. Die Reproduktionsmedizin ist ein wachsender Markt, der offen und massiv beworben wird. Kritiker halten ihr vor, sie habe sich längst von der ärztlichen Hilfe zur wunscherfüllenden Dienstleistung gewandelt. Vorbei die Zeiten, als - wenn überhaupt! - das Wünschen oder auch das Beten noch geholfen hat. Medizinische Technik macht's möglich. Und dass das Wunschkind nicht als Däumling, Esel oder Igel zur Welt kommt, dafür sorgen pränatale Diagnostik oder Präimplantationsdiagnostik, also die genetische Untersuchung des Ungeborenen im Mutterleib oder des im Reagenzglas gezeugten Embryos vor seiner Einbringung in die Gebärmutter.

Den technischen Möglichkeiten, ungewollt Kinderlosen zu leiblichen Nachkommen zu verhelfen, scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Die - in Deutschland allerdings verbotene - Eizellspende macht es möglich, dass selbst Frauen jenseits des Klimakteriums noch schwanger werden, auch wenn ihr Kind biologisch betrachtet das Kind einer anderen Frau ist. Frauen, die eigene Kinder wollen, aber die Beschwernisse einer Schwangerschaft meiden möchten, können in Ländern wie den USA auf Leihmütter zurückgreifen, die gegen Bezahlung die Kinder anderer Leute austragen.

Wie weit darf der Kinderwunsch gehen? Stößt er lediglich an technische Grenzen, oder gibt es auch ethische Grenzen, die durch entsprechende Gesetze zu schützen sind? Schließt das Recht auf Fortpflanzung das Recht ein, das Geschlecht des Kindes zu bestimmen, oder seine Hautfarbe, seine kognitiven und körperlichen Eigenschaften? Gibt es ein Recht auf ein gesundes Kind?

Fruchtbarkeit als Segen

Die ethische Kernfrage, welche die moderne Reproduktionsmedizin aufwirft, ist eine zweigeteilte: Wie ist ungewollte Kinderlosigkeit medizinisch zu bewerten, und lässt sich die extrakorporale Befruchtung grundsätzlich als Methode zur Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit ethisch gutheißen? Erst in zweiter Linie stellt sich die Frage, wie wir es mit der Präimplantationsdiagnostik halten wollen, ob die In-Vitro-Fertilisation auch in Fällen, bei denen die natürliche Fortpflanzungsfähigkeit grundsätzlich besteht, als Mittel der Wahl freigestellt werden darf, zum Beispiel für homosexuelle Paare oder für Frauen, die selbst keine Schwangerschaft durchleben möchten. All das aber sind zwar ethisch gewichtige, jedoch nachgeordnete Fragen.

Ich möchte auf die zweigeteilte Ausgangsfrage zurückkommen, und zwar aus theologischem Blickwinkel. Die Theologie führt uns nicht in das Reich der Märchen, sondern zunächst in die Welt der Bibel. In ihr begegnet uns das Thema Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit auf Schritt und Tritt. Der biblische Gott ist daran höchst interessiert. "Seid fruchtbar und mehret euch", lautet seine Anweisung an die von ihm erschaffenen Menschen in der Genesis (1,28). Es handelt sich nicht etwa um einen Befehl, sondern um ein Segenswort. Abraham soll zum Stammvater eines großen Volkes werden und seine Frau Sarah einen Sohn gebären, obwohl sie doch längst schon die Menopause hinter sich hat.

Ähnliches wird später Zacharias und Elisabeth, den Eltern Johannes des Täufers, widerfahren. Auch Rebekka, die Frau Isaaks, ist zunächst unfruchtbar, bevor sie mit Gottes Hilfe schwanger wird und die Zwillinge Jakob und Esau zur Welt bringt. Jakob wiederum ist später mit den Schwestern Lea und Rahel verheiratet. Lea, die ungeliebte, bekommt mehrere Kinder, während Jakobs große Liebe Rahel zunächst kinderlos bleibt. Die biblische Erzählung deutet dies als ausgleichende Gerechtigkeit Gottes. Ein ähnliches Schicksal teilen Hanna und Pennina, die Frauen eines gewissen Elkana. Während Pennina Kinder bekommt, ist Hanna, die Elkana über alles liebt, unfruchtbar.

Auch ein biblisches Thema

Ungewollte Kinderlosigkeit galt in alttestamentlicher Zeit nicht nur als von Gott verhängtes Schicksal, sondern auch als gesellschaftlicher Makel. Um doch noch eigene Kinder zu bekommen, vertrauen Menschen in der Bibel keineswegs nur auf das Gebet. In alttestamentlicher Zeit war die Polygamie eine selbstverständliche Institution. Zudem gab es die Einrichtung der Nebenfrauen, deren Kinder rechtlich als leibliche Kinder der Hauptfrauen galten. Bevor die betagte Sara doch noch schwanger wird, zeugt Abraham mit der Sklavin Hagar einen Sohn, Ismael. Auch die unfruchtbare Rahel wird auf solche Weise Mutter, indem Rahels Leibmagd Bilha zwei Söhne von Jakob bekommt. Dass Rahel schließlich selbst noch schwanger wird, verdankt sie einem Liebeszauber, dessen sie sich bedient. Hanna wird schwanger, nachdem sie ein Gelübde abgelegt hat, ihr Sohn solle Gott geweiht und im Tempel aufgezogen werden. Das Gleiche spielt sich bei Simsons Geburt ab, ähnliches auch bei der Geburt Johannes des Täufers.

Verwitwete Frauen wurden vom Bruder des Verstorbenen als Ehegattin übernommen, die mit ihr gezeugten Kinder galten als Nachkommen des Verstorbenen. Selbstverständlich sind diese biblischen Reminiszenzen nicht als Plädoyer für die Einführung der Polygamie oder sonstiger Praktiken einer fernen Kulturepoche gemeint. Wohl aber lassen sie sich als Hinweis verstehen, wie ernst der unerfüllte Kinderwunsch in der biblischen Tradition genommen wird. Außerdem wird deutlich, dass die strikte Bindung von leiblicher Elternschaft an den natürlichen Geschlechtsakt zwischen den Ehepartnern, wie sie heute vor allem vom römisch-katholischen Lehramt gefordert wird, in der Bibel keinen Anhalt hat.

Herausforderung für Evangelische Kirche

Der Umgang mit ungewollter Kinderlosigkeit ist nicht nur eine ethische Frage, sondern auch eine seelsorgerliche Aufgabe für Kirche und Theologie. In Anbetracht der biblischen Überlieferung hielte ich es für unbarmherzig und unmenschlich, betroffenen Paaren, die auf die Hilfe der modernen Reproduktionsmedizin setzen, Egoismus und mangelnde Demut vorzuwerfen und auf ihre persönliche Not mit theologischen oder lehramtlichen Aussagen über den Status des isoliert betrachteten Embryos im Reagenzglas zu antworten, aus denen die Verwerflichkeit der In-Vitro-Fertilisation folge.

Weniger strikt als die römisch-katholische Kirche, aber doch ebenfalls mehr oder weniger deutlich hat sich auch die Evangelische Kirche in Deutschland (ekd) in der Vergangenheit gegen die In-Vitro-Fertilisation (ivf) ausgesprochen. Genauer gesagt hat die ekd die extrakorporale Befruchtung als "ultima ratio" akzeptiert und vor ihrer Anwendung gewarnt, sie jedoch nicht kategorisch abgelehnt. Auch der Schweizer Evangelische Kirchenbund rät bei der ivf zwar zur Zurückhaltung, akzeptiert diese aber ebenso wie die Forschung an embryonalen Stammzellen. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Evangelische Kirche in Österreich.

Meines Erachtens steht die evangelische Kirche aber aus grundsätzlichen Erwägungen vor der Herausforderung, ihre prinzipiell ablehnende Haltung zur In-Vitro-Fertilisation zu überdenken. Anders wäre zum Beispiel die eingeschränkte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, für die sich der Ratsvorsitzende der ekd, Präses Nikolaus Schneider, oder auch der evangelische Mediziner Eckhard Nagel, Präsident des 2. Ökumenischen Kirchentages 2010 in München, ausgesprochen haben, theologisch und ethisch nicht zu rechtfertigen.

Status des Embryos

Es geht hierbei nicht darum, die mit der In-Vitro-Fertilisation verbundenen Risiken oder auch ethische Folgeprobleme wie etwa den Fetozid bei Mehrlingsschwangerschaften nach extrakorporaler Befruchtung kleinzureden. Wohl aber ist zu fragen, ob es theologisch zu rechtfertigen ist, zeugungswilligen Paaren grundsätzlich von der In-Vitro-Fertilisation abzuraten. Mit dem Hinweis auf den ontologischen Status des Embryos scheint mir das nicht möglich zu sein. Embryologisch wie biblisch ist von einer prinzipiellen Unbestimmbarkeit des Lebensanfangs zu sprechen, die dagegen spricht, in jeder befruchteten Eizelle vor der Nidation eine menschliche Person zu erblicken.

Auch dass der Einsatz reproduktionsmedizinischer Technik als solcher die Menschenwürde der Eltern wie des Kindes verletze, halte ich weder ethisch noch theologisch für begründet. Eine solche Einschätzung fußt auf einer naturalistischen Sichtweise von Ehe, Geschlechtlichkeit und Elternschaft, die, schon biblisch betrachtet, zu kurz schließt, wie die oben erwähnten Beispiele aus der biblischen Tradition zeigen.

Allerdings ist die Frage des Kindeswohls stärker als in der Vergangenheit in den Blick der ethischen Diskussion und die Bewertung des Einzelfalls zu rücken. An ihr findet die reproduktive Autonomie potenzieller Eltern ihre Grenzen. Der an sich berechtigte Kinderwunsch kann zu einem ethisch bedenklichen Wunsch werden. Seine Erfüllung, so der Medizinethiker Hartmut Kreß, "kann schwerlich um den Preis erfolgen, dass für das Kind von vornherein gesundheitliche Schäden hingenommen werden, die unverhältnismäßig sind".

Kinderlosigkeit als Krankheit?

Nun betrachtet die moderne Reproduktionsmedizin ungewollte Kinderlosigkeit wie selbstverständlich als Krankheit. Freilich sind Krankheiten keine Naturgegebenheiten, sondern letztlich soziale Konstruktionen, freilich mit biologischen und psychischen Faktoren. Auch im Falle ungewollter Kinderlosigkeit kann man nicht automatisch von Krankheit sprechen.

Zum einen kann die Kinderlosigkeit ganz unterschiedliche medizinische oder auch psychische Ursachen haben. Zum anderen hängt es auch von den Betroffenen selbst ab, wie sie die ungewollte Kinderlosigkeit erleben und deuten, ob als therapiebedürftige Krankheit, ob als eine Art von Behinderung oder Schicksal, das sie als Herausforderung begreifen, ein alternatives Lebenskonzept zu entwickeln. Ob man der ungewollten Kinderlosigkeit im konkreten Fall einen "Krankheitswert" zuerkennt, ist, wie in anderen Bereichen der Medizin auch, Gegenstand eines komplexen Aushandlungsprozesses zwischen Arzt und Patientin beziehungsweise Klientin.

Weshalb soll der unerfüllte Kinderwunsch einer Frau Mitte dreißig eine medizinische Indikation für die In-Vitro-Fertilisation sein, derjenige einer Frau jenseits des Klimakteriums aber nicht? Die Berufung auf die Natur als normativen Anhaltspunkt genügt nicht mehr als Argument, wenn doch die Manipulation der menschlichen Natur beständig im medizinischen Alltag stattfindet. Auch kann die Reproduktionsmedizin das Leiden am unerfüllten Kinderwunsch noch zusätzlich verstärken, so dass dieser selbst zur eigentlichen Krankheit wird. An seinem Ende steht nicht selten der schmerzvolle Abschied vom Traum vom eigenen Kind, die Trauer, die durchlebt werden muss, bevor überhaupt ein alternativer Lebensentwurf in Angriff genommen werden kann, sei es mit oder ohne Kinder. Nicht immer bietet eine Adoption eine Alternative, schon deshalb nicht, weil es für Adoptionswillige gesetzliche Altersgrenzen gibt.

Kein Bild machen

Dass man nicht pauschal jeden Fall von ungewollter Kinderlosigkeit als Krankheit einstufen darf, rechtfertigt jedoch nicht, den Krankheitsbegriff in diesem Zusammenhang generell für abwegig zu halten. Man kann mit dem Medizinethiker Giovanni Maio allerdings fragen, ob nicht etwa die In-Vitro-Fertilisation für lesbische Paare oder die künstliche Befruchtung bei Frauen jenseits der Menopause als Life-Style-Medizin einzustufen ist. "Genauso anfechtbar wäre es aber, wollte man die gesamte Reproduktionsmedizin als Life-Style-Medizin begreifen, denn damit würde man das Leiden, das mit einer ungewollten Kinderlosigkeit einhergeht, bagatellisieren."

Allerdings können Wünsche, und sei es auch der noch so verständliche Wunsch nach eigenen Kindern, nicht zum alleinigen Maßstab medizinischen Handelns gemacht werden. Wunschkinder, die nach dem Bilde geschaffen werden oder sich nach jenem Bilde entwickeln sollen, das sich die Eltern von ihren Kindern machen, vertragen sich nicht mit dem christlichen Verständnis von Menschsein und Liebe, aber auch nicht mit dem säkularen Verständnis von Menschenwürde. Es ist, wie Max Frisch in seinem Roman Stiller schreibt, "das Zeichen der Nicht-Liebe [...], also Sünde, sich von seinem Nächsten oder überhaupt von einem Menschen ein fertiges Bild zu machen, zu sagen: So und so bist du, und fertig!"

Die Bauersleute in Grimms Märchen waren bereit, ihr Wunschkind zu nehmen, wie es kam, auch wenn es nicht größer war als ein Daumen und so gar nicht den Idealvorstellungen eines Kindes entsprach, das sich in der Welt behaupten und seinen Weg machen könnte. Daumesdick hat aber trotzdem seinen Platz in der Welt gefunden und sein Glück gemacht. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Ulrich H. J. Körtner

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