Offizielles Schweigen

Warum sich Ungarns Kirchen in der Debatte um das Mediengesetz auffällig zurückhielten
Demonstration gegen das ungarische Mediengesetz in Budapest. Foto: epd/Joker/Martin Feje
Im Januar trat das neue ungarische ­Mediengesetz in Kraft, das die Befug­nisse der Medienbehörde deutlich ­erweitert und die Inhalte aller Medien stärker kontrolliert. Viele namhafte ­Kritiker befürchten das Ende der Pressefreiheit und sehen das Gesetz als weiteren Beleg für einen autoritären Kurs der Regierung Orbán. Nicht so die Kirchen in Ungarn, die von der Politik der konservativen Fidesz-Partei profitieren.

Kaum zu glauben, dass Budapest knapp neunhundert Kilometer weit weg sein soll. Der gläserne Saal in der Berliner Akademie der Künste ist rappelvoll, über zweihundert Menschen sind an diesem Abend gekommen, um sich über das ungarische Mediengesetz zu informieren. Ungarische Intellektuelle und deutsche Europaabgeordnete sollen diskutieren, schimpfen aber vor allem über die ungarische Regierung und ihre Gesetzes-Novelle. "So wie es ist, in die Tonne kloppen", empfiehlt Petra Kammervert, sozialdemokratische Abgeordnete im Europaparlament.

"95 Prozent Wein, fünf Prozent Dioxin", beschreibt der Schriftsteller und Historiker György Dalos die Wirkung des Gesetzes. Und György Konrád, früherer Dissident und Autor, lässt kein gutes Haar an der ungarischen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán, den er einen "begnadeten Propagandisten" nennt. Die konservative Fidesz-Partei arbeite an der "Militarisierung der Beziehungen". Dalos schlägt den Bogen noch etwas weiter und spricht von einer "Kultur des Hasses", die zwischen den politischen Lagern in Ungarn herrsche und auch die Gesellschaft bis in die Familien hinein teile.

Die Kinder vor Schund bewahren

Eine Woche später schlagen ungarische Regierungsvertreter zurück. Nur ein paar Straßen weiter, im - ebenfalls vollbesetzten - Berliner Collegium Hungaricum, ordnet Gergely Pröhle, früher ungarischer Botschafter in Deutschland und jetzt stellvertretender Staatssekretär im Außenministerium, das neue Mediengesetz in eine größere innenpolitische Reformagenda ein. Unter der sozial-liberalen Vorgängerregierung sei der Staat nicht in der Lage gewesen, seine ureigensten Aufgaben zu erfüllen. Nun gelte es, aufzuräumen, so der Grundtenor in Pröhles Beitrag: Roma schützen, die Neofaschisten bekämpfen, Vertrauen in den Staat herstellen und - schließlich geht es ja um das Mediengesetz - die Kinder, die in Ungarn viel zu viel vor dem Fernseher säßen, vor Schundsendungen zu bewahren.

So oder so ähnlich hat Pröhle in den vergangenen Wochen oft reden müssen. Mit Vertretern der EU und ihrer Mitgliedsländer und natürlich auch mit vielen Journalisten. Denn das neue Mediengesetz, das zum Jahresanfang in Kraft trat, hat europaweit Proteste ausgelöst. Solidaritätsbekundungen und zahlreiche Sonderseiten in deutschen Tageszeitungen, mahnende Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein vernichtendes Urteil der OSZE, die von einer Gesetzeslage "wie sonst nur unter autoritären Regimes" sprach. Der Höhepunkt war aber ein Brandbrief von EU-Kommissarin Neelie Kroes an die ungarische Regierung, in der sie "ernsthafte Zweifel" an der Konformität des Mediengesetzes mit den Gesetzen der Union äußerte. Dieser Konflikt, der durch Änderungen im Gesetz mittlerweile beigelegt ist, war peinlich. Denn schließlich hat Ungarn ja zurzeit die EU-Präsidentschaft inne.

"Viele positive Fortschritte"

Doch während in ganz Europa Zivilgesellschaft und Politik das ungarische Mediengesetz diskutieren, halten sich Ungarns Kirchenvertreter, sowohl der größeren katholischen als auch die der kleineren beiden protestantischen Kirchen, mit öffentlichen Statements zurück. Und wenn, dann fallen sie eher positiv aus. So sprach Tamás Fabiny, der für die Medienarbeit zuständige Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn, in einem Interview mit dem deutschsprachigen Nachrichtendienst seiner Kirche, jüngst davon, dass das Mediengesetz "viele positive Fortschritte" mit sich bringe. "So halten wir es für sehr wichtig, dass der Schutz von Kindern und Minderjährigen viel deutlicher in den Vordergrund gerückt wird", sagte Fabiny. Und auch die Regelung der Werbezeiten bringe für die Kirchen Positives. Denn Reklame in religiösen Sendungen sei nicht möglich.

In der Kritik am Mediengesetz sieht er "eher nur Allgemeinheiten" statt konkrete Auseinandersetzung mit einzelnen Paragraphen. Zwar gebe es Passagen, die glücklicher hätten formuliert werden können. "Dennoch halte ich die Ansichten für weit überzogen, denen gemäß das Ende der Pressefreiheit gekommen sei und nun irgendeine Form von ungarischer Diktatur bevorstehe." Dass die ungarische Regierung bisweilen für praktisch faschistoid gehalten werde, halte er für "außerordentlich verletzend".

Was für westliche Beobachter überraschend klingen mag, erklärt sich auch mit der unterschiedlichen Wahrnehmung der konservativen Fidesz-Partei im In- und Ausland. Diese gilt gerade vielen Vertretern der ungarischen Kirche als die bessere Alternative zur sozialistischen Partei MSZP, in der noch im­mer die Oligarchen des alten Systems viel Einfluss besitzen. Nicht selten sind diese zu Reichtum und Wohlstand gekommen, während die Bevölkerung un­ter einer schwachen Wirtschaft und unter ho­her Staatsverschuldung leidet. Die Fidesz-Partei hingegen speiste sich zum Zeitpunkt ihrer Gründung in der Wen­dezeit vor allem aus dem Milieu der jungen Akademiker und der Kirchen und hatte vor der Wahl 2010, bei der sie am Ende eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erreichte, unter anderem mas­sive Steuersenkungen in Aussicht gestellt.

Fidesz und die Kirchen stützen sich

András Máté-Tóth, katholischer Theologe und Religionswissenschaftler, Ordinarius am Institut für Religionswissenschaft in Szeged, überrascht daher die Zurückhaltung der ­Kirchen in der Diskussion um das Mediengesetz nicht. "Den Kirchen geht es unter Fidesz besser als unter der Vorgänger­regierung", sagte Máté-Tóth im Gespräch mit zeitzeichen. Sie könnten mit finanzieller und ideeller Unterstützung rechnen und stützten ebenfalls die rechts-konservative Regierung.

Doch Máté-Tóth sieht noch tieferliegende Gründe für das zögerliche Agieren der Kirche. Nach vierzig Jahren Unterdrückung durch den Sozialismus seien die Kirchen entpolitisiert und agierten eher auf sich selbst als auf die Gesellschaft bezogen. Auch zwanzig Jahre nach der Wende suchten sie noch immer ihre gesellschaftliche Legitimation und hätten selten "originäre Botschaften" zu vermitteln. "Man kann die Frage stellen, ob die Kirchen für ihre Sicherheit nicht das Evangelium geopfert haben."

Stephan Kosch

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