Ausfahrt Emmaus

"Tomboy" von Panda Bear
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Tibetische Klangschalen treffen auf Dudelsack und Kirmesorgel, Alpenjuchz auf Chorfasern und Dub- und Minimal-Elemente, Schamanenpauke auf Housebass-Pumpen, dazu zwitschern Vögel auf dem Dach der Welt.

Was da ruft, lockt und irritiert, manchmal schelmisch klingt, fremd und fern vor allem, seltsam verhallt, aber doch deutlich, als läg es dicht bei einem Gefühl, ist am ehesten Echo. Wie eine Stimme aus tieferem Wald, halb flieht sie, halb greift sie an. Kuckuck unsrer Kindertage? Injiziertes Verwirrbild, das von Eltern raunt, die ihre Brut gern andern unterschöben und so den Verlust noch als Recht auf Selbstbedauern hinzugewönnen? Bloß wir empfinden seither Scham, weil sie‘s nicht taten!

Resonanzen, die Tomboy ("Wildfang") ebenso auslöst wie Schwelgen darin, dass jener Vogel Verlorenheit im Ungreifbaren gleichwohl Heimat hat. Tomboy ist das zweite Soloalbum des US-Amerikaners Panda Bear alias Noah Lennox, der sonst bei Animal Collective spielt. Die elf Tracks auf Tomboy arbeiten mit Samples von Synthesizer, Gitarre und Stadiongesängen. Sie türmen Details, deren Herkunft sich Irgendwo im Nirgendwo (Element of Crime) oder Unterm Milchwald (Dylan Thomas) so präzise verliert, dass nur die Wirkung bleibt und sie wie das dichte Laubdach, aus dem der Kuckuck ruft, verheißungsvoll sind.

Lennox singt Text, den man nicht versteht.

Er wabert, weht, verliert sich in Silben, was mitunter liturgisch klingt, mantramäßig, rituell, wie Kinderrufe, -schreie, fast schon -lieder beim Spielen, nach Obertonetüde. Im Zueinander mit Rhythmusschlieren, Bass- und Drum-Gestalten, Verzögern und Verschiebung zeichnen sich Melodien ab, fein, verführerisch wie Celans "Wolkenwagen" im Gedicht "Drüben" ("Hinter den Kastanien ist die Welt"), jedoch kein bisschen tödlich. Der Sound ist hier und doch woanders, also psychedelisch: ein Springen zwischen Seelenvorder- und -hintergründen. Angesichts sehr fein gearbeiteter Linien, komplexer, aber doch leichtfüßiger Dynamik fallen einem dazu große Beach-Boys-Alben wie Pet Sounds ein.

Hohe Kunst, in der Durchführung von strenger Avantgarde-Konsequenz, doch mit packendem Popappeal. Tibetische Klangschalen treffen auf Dudelsack und Kirmesorgel, Alpenjuchz auf Chorfasern und Dub- und Minimal-Elemente, Schamanenpauke auf Housebass-Pumpen, dazu zwitschern Vögel auf dem Dach der Welt. Man mag das Eklektizismus nennen, doch so unbefangen, wie das bei Panda Bear daherkommt, wäre es eine Lüge. Es ist so konkret und kraftvoll wie abstrakte Malerei: beständig entsteht ein Bild, verschwindet, kehrt zurück, zieht weiter.

Lennox lebt in Lissabon und ist Benfica-Anhänger. Für den letzten Track hat er Fangesänge gesamplet wie einst Pink Floyd für "Fearless" (auf Meddle) den tausendkehligen Musicalsong "You'll Never Walk Alone" aus der Anfield Road in Liverpool. Der ist so banal wie unerschütterlich ergreifend, also wahr, obwohl man‘s kaum glauben mag - im Grunde die Geschichte der Emmaus-Jünger: Auch sie gingen nicht allein. Und hörten einen Kuckuck, wie Panda Bear nun verrät.

Panda Bear - Tomboy. Paw Tracks / Indigo 2011

Udo Feist

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