Kirchen ohne Kirchensteuer

In Italien müssen alle Bürgerinnen und Bürger die Religionsgemeinschaften finanzieren
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Katholische Kirche "Dives in Misericordia" in Rom. Entworfen hat sie der New Yorker Stararchitekt Richard Meier. Foto: KNA
Das italienische Modell der Kirchenfinanzierung vermeide einige Probleme der deutschen Kirchensteuer, schaffe dafür aber andere, meint Thorsten Maruschke, der sich in einer theologischen Doktorarbeit mit der Kirchenfinanzierung durch Steuern beschäftigt.

Mit der Kultursteuer ,0tto per mille‘ für die Katholische Kirche habt ihr viel getan - für viele!" Verwundert reibt sich der Fernsehzuschauer die Augen. Gerade noch hatten die "Illuminati" in dem Film, den der Fernsehsender rai ausstrahlt, versucht, vier Kardinäle umzubringen und den Vatikan zu zerstören. Doch nun flimmert in der Werbepause, die es in Italien auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt, ein etwas kitschiger Spot der römisch-katholischen Kirche über den Bildschirm.

Gezeigt wird ein junger gut aussehender Priester, wie er in einem pittoresken ligurischen Dorf alte Leute besucht, Kindern die Bibel nahebringt, mit den Fischern aufs Meer fährt, die Messe feiert und mit der Dorfjugend Fußball spielt. Und das alles, erfährt der Zuschauer, kann Don Franco nur tun, wenn die katholische Kirche genügend "Kultursteuer" bekommt.

Ob eine Werbepause im Umfeld der "Illuminati" der richtige Ort ist, für die katholische Kirche zu werben, ist eine Frage. Und die andere, warum die Italiens Katholiken überhaupt für die "Kultursteuer" werben müssen, "otto per mille", wie sie offiziell heißt.

In Deutschland wird in diesem Zusammenhang oft neidisch nach Italien geschaut und die dortige "Kultursteuer" als gute Alternative zur Kirchensteuer proklamiert. Doch oft ist das italienische Modell der Kirchenfinanzierung nur oberflächlich bekannt und wird verkürzt dargestellt. Wie also funktioniert die italienische Kultursteuer und wieso werben die Kirchen um sie?

"Kultursteuer": gute Alternative zur Kirchensteuer?

1990 eingeführt hat sie große Ähnlichkeiten mit der deutschen Kirchensteuer: Aber zugleich gibt es zwei gewichtige Unterschiede. Und einer davon zwingt die italienischen Kirchen, Werbung zu machen. Es ist das so genannte Zweckbindungsprinzip. Das heißt: In Italien kann jeder Steuerzahler in seiner Steuererklärung bestimmen, welchem Zweck, und das heißt: welchem Empfänger zufließt, was in Deutschland oft "Kultursteuer" genannt wird. Und wer keine Steuererklärung abgeben muss, kann seine Entscheidung auf einem besonderen Formular kundtun.

Mögliche Empfänger sind momentan sechs Religionsgemeinschaften, die römisch-katholische Kirche, der nach wie vor weit über 90 Prozent der Italiener angehören, evangelische Kirchen wie die reformierten Waldenser, die Pfingstler und die Lutheraner, die Juden - und der Staat. Der muss seinen Anteil an der Kultursteuer laut Gesetz "für außerordentliche Maßnahmen für den Hunger in der Welt, Naturkatastrophen, Unterstützung von Flüchtlingen und die Erhaltung von Kulturgütern" verwenden. Und weitere sieben Religionsgemeinschaften, Buddhisten, Hindus, Zeugen Jehovas und mehrere christliche Freikirchen warten derzeit darauf, in die Liste aufgenommen zu werden.

Man sieht, die Rede von einer "Kultursteuer" ist irreführend ist, denn sie kommt eben nicht Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International zugute, sondern außer dem Staat eben nur religiöse Empfängern. Deshalb müsste man exakter von einer "Mandatssteuer" sprechen oder noch besser die offizielle italienische Bezeichnung "otto per mille" (opm) verwenden. "Otto per mille" heißt acht Promille. Denn so hoch ist der Anteil aus der vom Staat eingenommenen Einkommensteuer, der als Mandatssteuer verteilt wird.

Mal katholisch, mal evangelisch

Die Entscheidung über die Zweckbindung trifft jeder Steuerzahler - wie gesagt - mit jeder Steuererklärung neu. Und das heißt auch: Man kann seine Wahl jedes Jahr ändern, im einen also die römisch-katholische und im andern die evangelische Waldenserkirche unterstützen. Und damit ist auch klar, warum die Religionsgemeinschaften Werbung für ihren Anteil an "otto per mille" machen. Bei der deutschen Kirchensteuer herrscht dagegen das Mitgliedschaftsprinzip.

Wer Mitglied ist zahlt, wer austritt nicht mehr. In Italien lohnt sich der Kirchenaustritt aus finanziellen Gründen dagegen nicht. Denn zahlen müssen alle Italiener, die lohn- oder einkommensteuerpflichtig sind. Dafür können sie bei der Steuererklärung aber frei wählen, an wen das Geld geht - ob sie nun Kirchenmitglied sind oder nicht.

Wegen des Mitgliedschaftsprinzips hängt die Höhe des Kirchenbeitrags in Deutschland vom persönlichen Einkommen ab. Wer mehr verdient, bringt den Kirchen also auch mehr ein. In Italien sorgt das Zweckbindungsprinzip dagegen dafür, dass die Einkommensunterschiede unwichtig werden. Denn Grundlage für die Kirchenfinanzierung ist nicht das Steueraufkommen des Einzelnen, sondern das Steueraufkommen aller Steuerzahler insgesamt.

Von dieser Gesamtsumme werden acht Promille auf die beteiligten Religionsgemeinschaften aufgeteilt, prozentual nach den Stimmen, die sie erhalten haben. Und wie bei politischen Wahlen zählt auch die Stimme auf der Steuererklärung gleich viel, ob sie der Multimillionär Silvio Berlusconi abgibt oder das Zimmermädchen im Hotel. Sicher, an den Staat zahlt der Einzelne je nach Einkommen. Doch bei der Auszahlung des Geldes an die Religionsgemeinschaften zählt eben nur, wie viel Stimmen sie bekommen haben.

Südlich der Alpen gilt das Zweckbindungsprinzip

Weil man aber nicht wählen muss, weil man bei der Steuererklärung kein Kreuzchen machen muss, wird "otto per mille" in zwei getrennten Runden vergeben. Die erste Runde betrifft nur die Gelder der Steuerzahler, die gewählt haben. Diese werden den Religionsgemeinschaften oder dem Staat prozentual nach dem Stimmenanteil zugeteilt, den sie erhalten haben. Und in der zweiten Runde werden die Gelder der Nichtwähler verteilt. Und das waren zuletzt fast 60 Prozent, Tendenz seit Jahren steigend. Die acht Promille der Lohn- und Einkommensteuer der Nichtwähler werden proportional zu den abgegebenen Stimmen aufgeteilt.

Adventisten und Pfingstkirchen haben beschlossen, die Gelder aus der zweiten Verteilrunde abzulehnen und sie dem Staat abzutreten. Denn aus theologischen Gründen wollen sie Geld nur von denen nehmen, die sich ausdrücklich für sie entschieden haben. Doch diese Aufteilung scheitert letztlich am Mechanismus der Stimmengleichheit jedes Steuerzahlers. Auch deswegen haben die Waldenser vor zehn Jahren ihre Ablehnung, nach langen Diskussionen, aufgegeben, und sie akzeptieren nun auch das Geld aus der zweiten Runde.

Der erste große Unterschied zwischen Deutschland und Italien ist also, dass südlich der Alpen das Zweckbindungsprinzip gilt und nördlich das Mitgliedschaftsprinzip. Sicher, viele der Unterschiede, die sich daraus ergeben, haben etwas Verlockendes. So ermöglicht in Italien die Wahlmöglichkeit dem Einzelnen mehr Entscheidungsfreiheit, und sie verhindert eine Kirchensteuerflucht aus finanziellen Gründen.

Doch noch ein zweiter grundlegender Aspekt trennt das italienische vom deutschen Modell. Und dieser könnte der deutschen Begeisterung für das italienische Modell einen Dämpfer verpassen. Denn während die hiesige Kirchensteuer konsequent als kirchliche Abgabe gestaltet ist, auch wenn das in der Praxis manchmal verdeckt wird, handelt es sich bei "otto per mille" eindeutig um eine staatliche Abgabe. Der Staat wendet hier ja einen Teil der eigenen Steuereinnahmen für kirchliche Zwecke auf. Die Kirchen werden in Italien also, von Spenden abgesehen, vom Staat finanziert und nicht wie in Deutschland durch ihre Mitglieder.

Verwaltung der Kirchensteuer als kostenpflichtige Dienstleistung

Die Berechnung der Einkommensteuer, an die sich opm anlehnt, folgt staatlichem Tarif. Verwaltung und Aufteilung von "otto per mille" obliegen den staatlichen Finanzämtern. Und Empfänger auf Seiten der Religionsgemeinschaften können nur die nationalen Organisationen sein, nicht die Ortsgemeinden, auch das legt der Staat fest.

In Deutschland gesteht der Staat den Kirchen das Recht zu, Kirchensteuern zu erheben und sich dabei an den staatlichen Steuern zu orientieren. Aber die Kirchen können auch ganz auf ihr Steuerrecht verzichten, wie das viele Freikirchen tun. Oder sie können eine andere Grundlagensteuer wählen und einen komplett eigenen Tarif entwickeln. Ausnahmen vom Einkommensteuertarif leisten sie sich schon heute, wie bei den Kinderfreibeträgen, bei denen die Kirchen großzügiger sind als der Fiskus.

Die Verwaltung der Kirchensteuer erledigen die staatlichen Finanzämter nur als kostenpflichtige Dienstleistung. Und die bayerische Landeskirche zeigt, dass es auch anders geht, denn sie verwaltet die Kircheneinkommensteuer selbst. Und in Landeskirchen, die wie die rheinische das Gemeindeprinzip hochhalten, sind die Ortsgemeinden Steuergläubige, nicht die Landeskirche.

Während die Kirchen in Deutschland also selbst über die Ausgestaltung des Steuerrechts entscheiden dürfen, haben die italienischen Kirchen erheblich weniger Freiräume. Weil "otto per mille" Staatsgeld ist, kontrolliert der italienische Staat, was damit geschieht. In Deutschland beauftragen die Kirchen dagegen unabhängige Rechnungsprüfer mit der Kontrolle ihrer Haushalte. Und die Verantwortung tragen im evangelischen Bereich die Synoden. In Italien müssen die Kirchen ihre opm-Haushalte dagegen vor dem Staat offenlegen und nachweisen, dass sie "otto per mille" nur für die gesetzlich festgelegten Zwecke verwenden.

"Religionskrieg des Marketing"

Die meisten evangelischen Kirchen Italiens haben mit dem Staat vereinbart, dass sie opm ausschließlich für soziale und kulturelle Zwecke verwenden, und nicht wie die römisch-katholische Kirche zur Finanzierung des Kirchenhaushalts. "100 Prozent für die Solidarität. Nicht ein einziger Euro wird für kirchliche Zwecke verwendet", werben die Waldenser. Und das kommt an. So erhalten sie bei "otto per mille" viel mehr Stimmen als sie Mitglieder haben.

Und damit kehren wir zum Anfang zurück, zum "Religionskrieg des Marketing", wie einige Kommentatoren formuliert haben. Bei einem Vergleich beider Systeme muss man feststellen: Das italienische Modell vermeidet zwar einige Probleme der deutschen Kirchensteuer, schafft dafür aber andere.

Thorsten Maruschke

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