Praxis der Liebe

Lessing und das Weltethos
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Den denkerischen und künstlerischen Höhepunkt in der Darstellung des Konflikts zwischen religiösen Überzeugungen und zugleich eines Lösungsversuchs stellt zweifellos Gotthold Ephraim Lessings berühmte Ringparabel aus dem Drama Nathan der Weise von 1779 dar.

Dieses Buch ist zur richtigen Zeit erschienen: Einer Untersuchung zufolge, die vor einigen Monaten veröffentlicht wurde, sind die Ablehnung des Islam und die Angst vor dem Islam in Deutschland verbreiteter als in den westeuropäischen Nachbarländern. Selbst wenn die Bedeutung dieser Erhebung sogleich angezweifelt wurde, macht sie doch deutlich, dass sich viele Deutsche vom Islam bedroht fühlen.

Angst vor fremder Religiosität, Überhebung einer Religion über andere, exklusive Wahrheitsansprüche sind jahrtausendealt. Ebenso lang freilich zieht sich durch die Menschheitsgeschichte die Erkenntnis, dass andere Religionen, ihr Streben nach Wahrheit und Vervollkommnung zu achten seien. Die so genannte Goldene Regel findet sich in fast allen Religionen: "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu."

Den denkerischen und künstlerischen Höhepunkt in der Darstellung des Konflikts zwischen religiösen Überzeugungen und zugleich eines Lösungsversuchs stellt zweifellos Gotthold Ephraim Lessings berühmte Ringparabel aus dem Drama Nathan der Weise von 1779 dar. Dort geht es nicht um eine Nivellierung der Glaubenswahrheiten, die zur Beliebigkeit führt, sondern darum, dass sich die Wahrheit einer Religion in der "Praxis der Liebe" erweisen muss. Deshalb "liegt der Akzent bei Lessing immer mehr auf dem Tun als auf der Theolo-gie, mehr auf dem Leben als auf der Lehre, mehr auf der Moral als auf dem Dogma". Es geht ihm nicht hauptsächlich um eine "unpolitische Individualethik guter Taten", sondern vielmehr "um die politisch-religiöse Utopie einer besseren Zukunft der Menschheit".

Auf Lessings Vorstellung vom Wettstreit der Religionen, welche die Menschenliebe am vollkommensten praktiziere und ihre Gläubigen am innigsten dazu befähige, sich "vor Gott und Menschen angenehm" zu machen, geht Hans Küngs 1990 installiertes "Projekt Weltethos" zurück. Küng und Karl-Josef Kuschel, die Hauptautoren des vorliegenden Buchs, sind zutiefst davon überzeugt, dass es ohne Frieden zwischen den Religionen auch keinen Frieden zwischen den Völkern geben kann. Selbstverständlich erweitern sie und ihre Mitstreiter Lessings Paradigma um die anderen, nichtabrahamischen Religionen und um die nicht religiös begründeten Konzepte. Klar wird, dass ein unaufhebbarer Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Menschenpflichten bestehen muss, wenn es nicht "zur Vorherrschaft der Starken und der Mächtigen" kommen soll.

Die beiden kritischen Stimmen kommen von Frauen. Die Philosophin Ursula Renz wendet sich gegen die Auffassung, "dass es die Religion sei, die letztlich die Unabdingbarkeit einer ethischen Verpflichtung begründe". Dahinter stecke "letztlich doch etwas wie die Neuauflage des alten Vorurteils der Unmöglichkeit eines tugendhaften Atheismus". Und Amira Hafner-Al Jabaji bemängelt das Fehlen von Frauen in der Leitung des Projekts. Dass die Globalisierung von Wirtschaft, Kommunikation und Politik ein globales Ethos erfordert, damit die Menschheit überleben kann, wird überzeugend herausgearbeitet und des öfteren wiederholt. Diese Redundanzen sind auf Dauer ermüdend.

Hans Küng/Karl-Josef Kuschel/Alois Riklin (Hg.): Die Ringparabel und das Projekt Weltethos. Wallstein Verlag, Göttingen 2010, 256 Seiten, Euro 24,-.

Jürgen Israel

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