Und sie lebt

Volkskirche der Zukunft
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Volkskirche ist eine offene Kirche, die als Freiraum verstanden wird und dem Priestertum aller Gläubigen Rechnung trägt.

In Kirchenreform- und -fusionsprozessen gewinnt die Frage nach der Zukunft der Kirche und ihrer Gestaltung eine besondere Bedeutung. In den notwendigen Debatten über die Struktur und das Unverzichtbare kirchlichen Handelns geht es um den Blick nach vorn. Sucht man nun nach Antworten, kann der Begriff der Volkskirche immer noch hilfreich sein, weil hier Realitätsbeschreibung, beziehungsweise deren Leugnung, und Konzept der Kirche miteinander verwoben sind.

Die Festschrift zu Reiner Preuls 70. Geburtstag entwickelt in sechzehn Beiträgen Perspektiven auf die Volkskirche der Zukunft. In dieser Kirche gilt es, den christlichen Glauben alltagsbezogen und verständlich zu kommunizieren. Dazu bedarf sie öffentlich-rechtlicher Strukturen, weil genau diese ihrem Charakter und ihrem Gesellschaftsbezug entsprechen. Sie bedarf einer kritischen Reflexion ihrer Gegenwart und besonders ihrer Lernorte. Dabei darf die geistliche Dimension nicht aus dem Blick geraten.

Der Heidelberger Theologieprofessor Wilfried Härle fragt nach der Funktion des Redens von Gott für die Alltagskommunikation. Dem Gottesbegriff hafte eine große Bedeutungsvielfalt an und er biete daher ein hohes Verständigungspotenzial in den Prozessen menschlicher Selbstvergewisserung. Gerade für die öffentliche Kommunikation sei die Rede von Gott unverzichtbar, weil mit ihr der Sinn menschlichen Lebens ebenso wie die ethische Orientierung zur Sprache gebracht werden könne. Das unverfügbar-schicksalhaft Verstandene könne "beredet" werden, indem Gott zum Gegenüber für Dank und Klage werde.

Im Beitrag des Tübinger Systematikers Eilert Herms wird das Verhältnis der Kirche als Werk des Heiligen Geistes zu den Kirchenkonzepten unter den Bedingungen der Schöpfung und Geschichte näher bestimmt. "Volk", "Land", "National", "Staat", "Frei" und schließlich "Konfession" sind die wirksamen Präfixe der Konzepte. Kompendienhaft werden die Begriffe in ihrem geschichtlichen Hintergrund erläutert und dogmatisch geklärt, um so eine ekklesiologisch fundierte Rede von "der Kirche" zu ermöglichen. In der ostdeutschen Situation erscheint die Rede von Volkskirche realitätsfern. Wirklich? Nein, meint Eberhard Buck und diagnostiziert zunächst die gemeindliche Situation ernüchternd als durch eine jahrzehntelange "Innovationskrise" geprägt. Diese lasse sich nur durch "habituelle Veränderungen der ererbten korrespondierenden Ängste" überwinden, gegen die aber nicht rational argumentiert werden könne. Stattdessen sei emotional tragende Kommunikation notwendig, wie sie in einer Volkskirche möglich sei, die neue Handlungsräume entwickle.

Schließlich buchstabiert Bernd-Michael Haese das Konzept "Volkskirche" für den schulischen Religionsunterricht durch. Gerade dieses Konzept sei hervorragend geeignet die plurale, multireligiöse Umwelt der Schülerinnen und Schüler aufzunehmen und für alle - nicht nur die evangelischen - zu reflektieren. Zugleich bedeute das Konzept, dass die Kirche eine Modernisierungskompetenz ausbilde, um ihre Angebote der sich verändernden (schulischen) "Bildungslandschaft" anzupassen. Die Schule werde immer mehr zu einem Lebensraum, der sich durch Multiperspektivität auf die Wirklichkeit auszeichne. Aus dem Gegenüber kirchlicher Arbeit mit Kindern und Jugendlichen müsse ein Ineinander von schulischen und kirchlichen Bildungsangeboten im Rahmen von Schulkooperationen werden.

Volkskirche hat Zukunft, lautet das durchgängige Plädoyer aller Beiträge. Damit gehen sie wohltuend gegen jede Form der "Kirchturmspolitik" an und weiten den Blick wieder auf das Ganze und die Möglichkeiten kirchlichen Handelns. Unterschiedliche Mitgliedschaftslogiken können so integriert werden, statt sie gegeneinander auszuspielen, wie es gerade unter ökonomischem Druck häufig geschieht. Volkskirche ist somit eine offene Kirche, die als Freiraum verstanden wird und dem Priestertum aller Gläubigen Rechnung trägt. Ein solche qualitative Beschreibung kirchlichen Handelns darf man ruhig häufiger lesen, weil sie sich gegen quantitative und viel zu häufige depressive Sichten abgrenzt.

Bernd-Michael Haese/Uta Pohl-Patalong (Hg.): Volkskirche weiterdenken. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2010, 212 Seiten, Euro 34,90.

Jens Beckmann

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Jens Beckmann

Dr. Jens Beckmann ist Pastor der Nordkirche und Theologischer Vorstand der Evangelischen Perthes-Stiftung e.V. in Münster.


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