"Uns fehlt nichts"

Schwieriges Gespräch mit Konfessionslosen und anderen Kirchenkritikern
Foto: Helmut Kremers
Foto: Helmut Kremers
Auf dem Kirchentag gab es Podiumsdiskussionen, die sonst selten stattfinden, zwischen Christen und Atheisten/Laizisten. Der Dialog mit ihnen dürfte in Zukunft noch wichtiger werden.

"Lasset Euch versöhnen mit Gott." Diese Aufforderung des Apostel Paulus prangt in goldenen Lettern an der Empore der Dresdner Versöhnungskirche. Doch Horst Groschopp fühlt sich nicht angesprochen. Die Kirche habe noch "bis vor kurzem" gemeint, "sie könne uns zurückmissionieren", sagt er. Mit "uns" meint Groschopp, langjähriges Vorstandsmitglied des Humanistischen Verbandes, die Konfessionslosen Ostdeutschlands, wobei er von "Konfessionsfreien" spricht, denn "uns fehlt nichts".

Groschopp gehört zu den Mitbegründern des DDR-Freidenkerverbandes, dem freies Denken freilich fremd war. Kein Wunder, dass ihn ein Interview ärgert, dass der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider im April dem Neuen Deutschland gab. Befragt nach einer Zusammenarbeit von Christen mit Humanisten und Atheisten, erinnerte Schneider daran, dass "für ostdeutsche Christen" Atheisten "Bannerträger der sie verfolgenden Ideologie" waren. Nachdem Groschopp Schneider zitiert hat, dreht er den Spieß rum und behauptet, "die Westkirche" habe Ostdeutschland "den Adenauerinteressen geopfert". Hätte er "Natokirche" gesagt, wäre der "Originalton Ost" vollständig gewesen.

Zwischen der Regierung Adenauer und dem Ulbrichtregime gab es doch wohl - auch im Hinblick auf die Religionsfreiheit - gewisse Unterschiede. Daher müssten der Berliner Pfarrer Andreas Fincke, der mit auf dem Podium in der Versöhnungskirche sitzt, und die rund 250 Zuhörer, an diesem Punkt eigentlich buhen oder scharf widersprechen. Aber sie dürften Groschopp zugute halten, dass er sich auf das Gespräch in einer Kirche eingelassen hat. Und seine Tonlage ist nicht aggressiv, sondern eher klagend.

Er beklagt, dass Gedenkfeiern nach Naturkatastrophen, Unglücksfällen und Morden in Kirchen stattfinden und die Atheisten so gezwungen seien, dort zu trauern. "Können wir das nicht im Rathaus machen?", fragt Groschopp. Doch die Frage, warum die Massen bei solchen Anlässen, in die Kirchen strömen, stellt er nicht. Und mit Christen will Groschopp auch nur einen eingeschränkten Dialog führen: "Wenn man die ersten drei der Zehn Gebote wegnimmt, kann man mit uns über den Rest reden."

Das hält Groschopp freilich nicht ab, sich zu theologischen Themen zu äußern. Auf der Fahrt nach Dresden habe er gelesen, "wie Kaiser Konstantin Jesus zu Gott gemacht hat". Nun reicht die Lektüre während einer Zugfahrt nicht, um die Entstehung der Zweinaturenlehre beurteilen zu können.Pfarrer Fincke warnt davor, sich "in die Falle locken zu lassen" und im Humanistischen Verband die Vertretung der Konfessionslosen zu sehen. Aber Christen und Kirchen sollten "die Wucht des Themas" Konfessionslosigkeit nicht unterschätzen.

Falsche Behauptungen

Dass das auch für den Westen Deutschlands gilt, zeigt eine weitere Veranstaltung in der Versöhnungskirche, zur Frage, ob religiöser Pluralismus zum Laizismus führt. Horst Isola von den "Laizisten in der spd", denen der Parteivorstand die Anerkennung verweigert hat, spricht von den "Privilegien der großen Kirchen". Und damit stellt er eine Behauptung auf, die auch andere kirchenkritische Organisationen gebetsmühlenhaft wiederholen. Nun hat sich der Bremer Altstaatsrat Isola auf den Dialog mit Altbundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und EKD-Oberkirchenrat Christoph Thiele eingelassen und spricht vermutlich nicht bewusst die Unwahrheit, sondern weiß es wohl nicht besser.

Papier und Thiele beschreiben die Vorteile des deutschen Staatskirchenrechtes, aber sie tun das abstrakt. Dagegen müsste man den rund 150 Zuhörern ganz konkret zeigen, dass Isola falsch liegt. Zum Beispiel ziehen die Finanzämter in Baden-Württemberg auch die Kultussteuer der Israelitischen Religionsgemeinschaften ein und die Steuer der nichtchristlichen "Freireligiösen Landesgemeinde Baden". An einigen Schulen ist auch jüdischer und freireligiöser Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Und wenn islamische Gemeinden die Vorsetzungen erfüllen und als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannt werden, werden auch sie diese "Privilegien" bekommen.

Seltsam wirkt, dass ausgerechnet Isola den Fundamentalismus in den usa beklagt. Denn dort gibt es wegen der strikten Trennung von Staat und Kirche nur eine Sonntagschule in der Kirche und keinen Religionsunterricht in der Schule, der Jugendlichen hilft, den eigenen Glauben kritisch zu reflektieren.

Das Gespräch mit Konfessionslosen ist in Ostdeutschland besonders schwierig. Daran erinnert in Dresden der Berliner Systematiker Wolf Krötke. Denn diese zeichne meist "eine gänzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Gottesglauben aus". Sie würden "sich nicht mehr die Mühe" machen, diesen zu widerlegen oder ihren Atheismus zu begründen. Für Christen liege die Chance in "vielen persönlichen Begegnungen, bei denen deutlich wird, wie man lebt, wenn man glaubt". Doch das ist selbst im vermeintlich bürgerlichen Dresden eine große Aufgabe: 1949 waren dort 89 Prozent der Bevölkerung evangelisch, heute sind es 15.

Jürgen Wandel

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