Gezündet

Konziliarer Prozess und die DDR
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Nirgends auf der Welt hat der Aufruf zu einem Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung durch den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) seinerzeit derart gezündet wie in der DDR.

Nirgends auf der Welt hat der Aufruf zu einem Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung durch den Ökumenischen Rat der Kirchen (örk) seinerzeit derart gezündet wie in der DDR - genauer: in den evangelischen Kirchen dort. Dabei war es anfangs keineswegs ausgemacht, ob eher der Aufruf Carl Friedrich von Weizsäckers für ein Friedenskonzil oder der von Heino Falcke in Vancouver 1983 eingebrachte Vorschlag für eine christliche Versammlung zu der sozialethischen Trias Erfolg haben werde. Erst allmählich kristallisierte sich in den deutschen Kirchen die Ökumenische Versammlung unter der Beteiligung aller Konfessionen heraus.

Eimalig war vor allem das Zusammenwirken von Amtskirche und Gruppen, nämlich jene sozialethisch engagierten Basisgemeinden, die beim örk oft deshalb zu kurz kamen, weil die Amtsträger die Ökumene für sich okkupiert hatten. Dass diese Kooperation überhaupt gelang, ist wiederum erst einigen besonderen Konstellationen der späten DDR-Geschichte zu verdanken, deren Entstehung und bewusste Gestaltung der Autor einfühlsam beschreibt. Vorteilhaft habe sich auch ausgewirkt, meint er, dass die Gruppen unter dem informellen Dach "Konkret für den Frieden" bereits einen gewissen Grad an Vernetzung erreicht hatten.

Gedeckt durch den konziliaren Prozess unter der Ägide des Ökumenischen Rates der Kirchen wandte sich die Versammlung in der DDR mehr und mehr innenpolitischen Themen zu, indem nämlich die eigene Betrofffenheit durch die weltweit andrängenden Probleme unter dem Motto "denke global, handle lokal" artikuliert wurde. Alles geschah unter der intensiven Beobachtung durch die Stasi, die zunehmend über einen "Missbrauch" des ökumenischen Prozesses klagte und durchaus kommen sah, was dann geschah.

Dies aus den Akten der Stasi und des Politbüros der SED plastisch belegt zu haben, ist das besondere Verdienst Browns. Nirgends sonst in der einschlägigen Literatur wird auch die intellektuelle und diplomatische Leistung Heino Falckes in diesem ganzen Geschehen so eindrücklich und überzeugend beschrieben. Seinen schon fast legendären Vortrag vor der Synode des DDR-Kirchenbundes 1972 versteht Brown als langfristig wirkendes Kontrastprogramm zur "Kirche im Sozialismus". Mit dieser mehrdeutigen Formel versuchte sich der Bund Evangelischer Kirchen seit den Siebzigerjahren in der DDR heimisch zu machen. Davon hatten wichtige Akteure im Konziliaren Prozess bereits 1988 deutlich Abstand genommen.

In den wichtigsten Texten der Ökumenischen Versammlung deutet sich jedoch ein anderer Dissens an. Der einleitende "Umkehrtext", der stark von Falcke geprägt war, setzte - politisch interpretiert - noch auf einen verbesserlichen Sozialismus, während der "Gerechtigkeitstext", der die Handschrift von Richard Schröder und Markus Meckel erkennen lässt, mit den Forderungen nach "Stärkung der Institutionen des Rechts" und der "Trennung von Staat und Gesellschaft" auf eine Umwälzung der Verhältnisse hinauslief. Damit wurde Letzterer, wie Brown schreibt, zum "Gründungsdokument für eine politische Oppositionspartei". Dass schließlich nach der friedlichen Revolution etwas anderes aus dem Prozess wurde, als sich sowohl Falcke als auch viele Unterstützer des Gerechtigkeitstextes vorgestellt hatten, steht auf einem anderen Blatt.

Stephen Brown, der in Großbritannien Politik und Ökonomie, Anfang der Achtzigerjahre dazu in Ost-Berlin auch Theologie studierte und bis vor kurzem Redakteur des Ökumenischen Nachrichtendienstes in Genf gewesen ist, hat mit seiner zunächst 2008 in Englisch erschienen Dissertation eine kirchengeschichtliche Studie vorgelegt, die auf besonders sensible Weise sowohl theologische und kirchliche als auch politische Stränge der späten DDR-Geschichte miteinander verbindet.

Stephen Brown: Von der Unzufriedenheit zum Widerspruch. Verlag Otto Lembeck, Frankfurt a. M. 2010, 352 Seiten, Euro 28,-.

Götz Planer-Friedrich

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