Dritter Weg

Zwischen zwei Gefahren
Bild
Mit dem Plädoyer für den Zweifel sollen Glauben und Gesellschaft vor zwei Gefahren bewahrt werden: dem Relativismus und dem Fundamentalismus.

Zweifel ist ein suchendes Abwägen religiöser und moralischer Einstellungen. Peter L. Berger und Anton Zij­verveld werten diese Suchbewegung po­sitiv und als hilfreiche Gegenwehr ge­gen eine Rechthaberei, die fruchtbaren Streit zu Zank werden lässt und Ausgrenzung betreibt. Zweifel sind aber auch Irritationen, die die persönliche Existenz treffen können. Sind wir in ein sinnloses Nichts geworfen? Oder werden wir getragen von einer Bestimmung?

Die Erfahrungen des Dunklen, des Leidens lassen den Menschen sich aufbäumen oder verzweifeln und resignieren. Sie treiben ihn in die Rebellion gegen die Mächte, die mit ihm ihr Spiel zu treiben suchen. Oder in die Flucht der Gedankenlosigkeit. Der Buchtitel könnte Hilfen für den Umgang mit dem Zweifel erwartet lassen. Aber das Buch ist keine seelsorgerliche Schrift, sondern eine soziologische Bestandsaufnahme - mit wichtigen Impulsen für die Zivilgesellschaft angesichts brennender Fragen, die sich mit dem Anwachsen religiöser Stimmungen stellen.

Keine seelsorgerliche Schrift

Der Untertitel lautet: "Was ein überzeugender Glaube braucht". Dabei geht es den Autoren nicht allein um einen redlichen Glauben für heutige Menschen. Ihr Interesse gilt vor allem der Frage, unter welchen Voraussetzungen menschliches Zusammenleben in postmoderner Zeit gelingt. Religion und Politik müssen dabei vor der Gleichgültigkeit wie vor dem Fundamentalismus bewahrt werden. Insofern ist das Buch hilfreich in der Diskussion um kulturelles Zusammenleben und den interreligiösen Dialog.

Weder die abscheulichen Erfahrungen der Kirchengeschichte noch die Entfaltung des Rationalismus, auch nicht die Religionskritik des 19. Jahrhunderts, nach der Religion Illusion sei, haben zu einem Absterben der Religion geführt. Im Gegenteil: Nicht nur in Asien, Afrika und Lateinamerika blüht Religion in christlicher Gestalt. Auch das aufgeklärte Europa verzeichnet religiöse Aufbrüche. Allerdings sind sie nicht so häufig mit den institutionellen Kirchen verbunden. Diese Erkenntnisse sind zwar nicht neu, aber die Autoren bieten eine verständliche und lesenswerte Beschreibung der Sachverhalte.

Mit ihrem Plädoyer für den Zweifel wollen sie den Glauben und die Gesellschaft vor zwei Gefahren bewahren, dem Relativismus und dem Fundamentalismus. Ja, der Zweifel ist geradezu unerlässlich, damit das Zusammenleben der Gesellschaft gelingt. Wenn Wahrheit in zeitloser Rechthaberei vertreten wird, kommt es dagegen zur Verfolgung Andersdenkender. Wenn man alle, die einer anderen Tradition verpflichtet sind, zu Feinden der Wahrheit erklärt, bereitet man unbeugsamen Richtern und gewissenlosen Mördern den Weg.

In einer Welt, in der zumeist nur das Sichtbare gilt, gewinnen fragende, suchende und zweifelnde Menschen Vertrauen ins Dasein, wenn sie ermutigt werden, sich ganz realistisch zu sehen, ihre Fähigkeiten und Grenzen, ihre Freiheit und Verantwortung, ihre Fragen und Zweifel und die ganz wenigen, aber umso wertvolleren Gewissheiten. Der Zweifel ist also eine positive Kategorie, die bei aller Unruhe, die ihn begleitet, doch Kennzeichen der Sensibilität ist und Triebfeder für die Entwicklung von Fähigkeiten des Zusammenlebens. Denn der Zweifel bewahrt vor den einfachen Wahrheiten der fraglos Gläubigen, die oft die Quelle von Abgrenzung, Streit und Gewalttaten sind.

Kennzeichen der Sensibilität

Es geht in dem Buch um die Frage, wie unterschiedlich Menschen ihr Le­ben gestalten, an welchen Werten sie sich orientieren und was die Motive und Maßstäbe ihres Handelns sind. Dabei ziehen die Autoren auch Konsequenzen für das politische Zusammenleben der Gesellschaft: Sie beschreiben das die De­mokratie gestaltende "Dreieck" Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft als dringend angewiesen auf ein Gleichgewicht, das im Diskurs unterschiedlicher Meinungen gewahrt werden muss. Die Autoren werben für eine Politik der Mäßigung. Und sie halten für ein friedliches Zusammenleben die Demokratie und eine freie Marktwirtschaft für nötig. Aber beide reichen nicht aus.

Die Autoren zeigen an den gegensätzlichen Einstellungen zur Homosexualität, der Diskussion der Todesstrafe in den USA und des Zusammenlebens mit dem Islam in Europa, wie sich an bestimmten Themen ein Fundamentalismus entzündet. Und sie beschreiben Wege, die vor Fanatismus und Terror bewahren, ohne in einen hilflosen Relativismus zu verfallen. Insofern ist das Buch hilfreich für die Diskussion einer Reihe heute brennender Themen.

Peter L. Berger / Anton Zijverveld: Lob des ­Zweifels. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2010, 179 Seiten, Euro 16,95.

Manfred Kock

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"