Vergessene Empfehlungen

Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Abfall
Im Zwischenlager für Atommüll am Kernkraftwerk Philippsburg lagern 34 Castorbehälter. (Foto: dpa/Uli Deck)
Im Zwischenlager für Atommüll am Kernkraftwerk Philippsburg lagern 34 Castorbehälter. (Foto: dpa/Uli Deck)
Schon 2002 legte ein Ausschuss des Bundesumweltministeriums plausible Empfehlungen vor, wie die Politik mit der Frage nach einem Endlager für Atommüll umgehen sollte. Für ihre Umsetzung dürfte es allerdings bald zu spät sein.

Noch ein Text zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle? Ist dazu noch nicht genug gesagt worden, in immer neuer Wiederholung? Die Ereignisse um die Castor-Transporte sind längst zum Symbol einer festgefahrenen Politik geworden, doch sind sie zugleich auch gespenstische Realität. Der jahrelange Stillstand führt aber nun offenkundig zu einer neuen Gefahr: Aus schierem Überdruss an den Ritualen der Auseinandersetzung soll nun mit der Wiederaufnahme der Erkundung nur in Gorleben ein Weg beschritten werden, dessen Ende sehr ungewiss und der bereits an seinem Beginn nur schlecht bedacht wurde.

Stillstand führt zu neuer Gefahr

Im November 2010 hat die Synode der EKD bei ihrer Tagung in Hannover einen Beschluss zur Frage der Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken und zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gefasst. Darin heißt es:

"Das Problem der Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle ist weltweit noch immer ungeklärt; darauf verweist auch der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission zur Endlagersuche vom 3. November 2010. Insbesondere das vom Einsturz bedrohte Atommülllager im Salzbergwerk Asse II dokumentiert auf beunruhigende Weise die Unsicherheit vermeintlich sicherer Lagerstätten.

Die Ankündigung der Bundesregierung, nur Gorleben als einzigen Standort für ein Endlager zu untersuchen, erscheint als Vorwegnahme einer endgültigen Entscheidung, die weit hinter einen ... längst erreichten Konsens zurückfällt. Daher bittet die Synode den Rat der EKD, die Bundesregierung aufzufordern, die Empfehlung des 'Arbeitskreises [Aus­wahlverfahren] Endlager[stand­or­te]' (AkEnd) von 2002, mehrere Standorte in der Bundesrepublik Deutschland parallel und ergebnisoffen zu erkunden, unverzüglich umzusetzen."

Kriterien für die Suche nach einem Endlager

Die Halbwertszeit des Gedächtnisses für die Details in der Geschichte der Endlager-Debatte ist reichlich kurz. Daher lohnt es, die wesentlichen Punkte im Konsens des AkEnd in Erinnerung zu rufen. Dabei wird zugleich auch deutlich, welche Aufgabe wir uns und den nach uns folgenden Generationen aufgebürdet haben.

Der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte war vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Anfang 1999 als ein unabhängiges Gremium ins Leben gerufen worden. Er sollte zum ersten Mal Kriterien für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle finden, die nicht nur aus naturwissenschaftlicher und technischer Sicht zu einer optimalen Lösung führen können, sondern ein Verfahren erarbeiten, dass auch die Beteiligung der Öffentlichkeit und den politischen Prozess mit berücksichtigen sollte.

Das Bundesumweltministerium hat­te zwei Bedingungen an die Arbeit des AkEnd gestellt: Die Endlagerung soll in tiefen geologischen Schichten in Deutsch­land geschehen, und das Endlager soll spätestens ab 2030 betriebsbereit sein. Es ist auch heute noch weitgehender Konsens, dass diese Vorbedingungen ohne Alternativen sind. Das ungelöste Problem sollte nicht immer ferneren zukünftigen Generationen aufgebürdet werden, und es gibt ethische Argumente dafür, ein Problem mit einer derartigen Größenordnung auch in den Grenzen zu lösen, innerhalb derer die Nutznießer der Energieerzeugung, die die jetzigen Abfälle verursacht hat, beheimatet sind.

Mindestens eine Million Jahre

Ein Kriterium, das der AkEnd in seiner Arbeit aus naturwissenschaftlicher Sicht aufgestellt hat, ist die Sicherheit des Endlagers für den Zeitraum von mindestens einer Million Jahre. Nach der Vorstellung des AkEnd war mit Vorlage seines Abschlussberichtes im Jahre 2002 die erste Phase des Auswahlverfahrens abgeschlossen.

In der zweiten Phase sollte dieser Bericht in einem politischen und gesellschaftlichen Verhandlungsprozess erörtert und danach durch eine Rechtsverordnung festgelegt werden.

Um den dann folgenden Zeitplan nicht zu gefährden, hätte dies bis Ende 2004 geschehen sein müssen. Im Sommer 2003 war die Einrichtung einer Verhandlungsgruppe zur Umsetzung der Vorschläge des AKEnd, in der auch die Beteiligung der Kirche vorgesehen war, gescheitert, vor allem wohl deswegen, weil die CDU/CSU-Fraktion an dieser Verhandlungsgruppe nicht teilnehmen wollte.

Kernstück des Verfahrens wäre nach AkEnd der danach folgende Erkundungsprozess der potenziellen Endlager. Der AkEnd empfahl die gleichrangige Untersuchung von mindestens zwei Standorten, wobei hier sowohl die geowissenschaftlichen wie die gesellschaftlichen Kriterien berücksichtigt werden sollten. Für die Erkundung der Standorte unter Tage wurden etwa zehn Jahre veranschlagt (2005-2014). Das sich anschließende Genehmigungsverfahren er­fordert voraussichtlich - auch wenn dabei keine weiteren Erkundungen oder Untersuchungen notwendig werden - mindestens wieder fünf Jahre (2015-2019).

Seltener Vorgang

Die Errichtung des Endlagers selbst wird noch einmal die Zeitspanne von fünf Jahren beanspruchen (2020-2025), so dass es, hätte man 2003 begonnen, nur noch fünf Jahre Spielraum über die veranschlagten Mindestzeiträume hinaus gegeben hätte, wenn die Betriebsbereitschaft bis 2030 hätte Realität werden sollen.

Es ging und geht also noch immer darum, sich für den Zeitraum einer weiteren Generation bindend festzulegen - bis 2030 waren es im Jahre 2002 noch 28 Jahre. Das ist in der Politik ein ziemlich seltener Vorgang. Bei strikter Einhaltung des Zeitplans wäre das Ziel eines Endlagers bis 2030 auch heute vielleicht gerade noch erreichbar, vielleicht mit wenigen Jahren Verspätung, wenn mit der Umsetzung dieses Planes jetzt unverzüglich begonnen würde.

Der AkEnd betonte, dass in allen Phasen ein "faires, gerechtes und effizientes Verfahren mit Beteiligung relevanter Interessengruppen und der interessierten Öffentlichkeit" unerlässlich sei. Nur bei einer solchen Vorgehensweise sei es möglich, eine hohe gesellschaftliche Legitimation des Auswahlverfahrens zu erreichen.

Dazu schlug der AkEnd eine größere Palette von Methoden vor: etwa die Errichtung einer Informationsplattform oder die Einsetzung eines unabhängigen Kontrollgremiums aus Experten und "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens", das die Bevölkerung auch selbstständig und eigenverantwortlich informieren soll. Außerdem soll es "Bürgerforen" an den potenziellen Standorten geben, die mit ausreichend Finanzmitteln ausgestattet werden sollen, damit sie sich wiederum von Experten ihrer Wahl beraten lassen können. Der AkEnd sah sogar vor, die Frage der Beteiligungsbereitschaft der Bevölkerung in den betroffenen Regionen selbst zum Gegenstand der Erörterung in öffentlichen Bürgerversammlungen zu machen.

Öffentliche Bürgerversammlungen

Der AkEnd war sich aber darüber auch im Klaren, dass es möglicherweise nicht gelingt, dass in mindestens zwei prinzipiell geeigneten Standortregionen die Bevölkerung ihre Beteiligungsbereitschaft erklärt und im dann folgenden Verfahren auch aufrecht erhält. Dies hielte der AkEnd für einen "schweren Rückschlag" für die Standortsuche. Für diesen Fall empfahl der AkEnd, dass der Bundestag selbst die Auswahl der zu untersuchenden Standorte an sich ziehen und das weitere Vorgehen regeln sollte.

Acht Jahre sind seit der Vorlage des Berichts vergangen - acht Jahre, in de­nen nicht versucht wurde, den damals möglich scheinenden Konsens bei der Lösung des Problems, einen Standort für ein Endlager zu suchen, weiter auszubauen. Aber ein Problem dieser gewaltigen Größenordnung lässt sich nur in einem gesellschaftlichen Konsens lösen. Diese Erkenntnis ist überhaupt nicht neu - aber vielleicht gerade wieder etwas plausibler geworden.

Hans Diefenbacher ist Volks­wirt­schaftler und stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg sowie Beauftragter des Rates der EKD für ­Umweltfragen.

Hans Diefenbacher

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