Säkularer Thesaurus

Ein Schatzkästlein
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Alles, was Feder hat, schreibt über den Herrn, und zu jedem Autor bietet der Theologieprofessor eine von oft tiefer Sympathie geprägte Einführung, die nie unkritisch wird.

Gegen die katholische Heilsökonomie, gegen die Vorstellung eines Schatzkästleins, eines Thesaurus, in dem die guten Werke der Heiligen als Boni gebucht waren, wo sie von den weniger Heiligen gegen Bezahlung abgebucht werden konnten, lief Martin Luther, der urprotestantische Buchhalter, bekanntlich Sturm.

Dieser säkulare Thesaurus, den Karl-Josef Kuschel, der Chefökonom der doppelten Haushaltung von Literatur und Theologie, jetzt vorlegt, hätte auch Martin Luther gefallen: Jesus im Spiegel der Weltliteratur. Alles, was Feder hat, schreibt über den Herrn: Ernest Hemingway etwa, James Joyce, Thomas Mann, Günter Grass, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, José Saramago, Jorge Luis Borges, Heinrich Böll, Mario Vargas Llosa oder Toni Morrison.

Zu jedem Autor bietet der Theologieprofessor eine von oft tiefer Sympathie geprägte Einführung, die nie unkritisch wird. Ihm gelingen etwa bei Joyce, Böll, Llosa virtuose Lesehilfen. Aufgelistete Sekundärliteratur hilft dem wachen Lesenden, noch tiefer in die Romankunst der Autoren einzudringen. Dann folgen Originalauszüge aus den ausgewählten Romanen.

Gegen halbiertes Weltbürgertum

Die Bilanz, die Karl-Josef Kuschel vorlegt, kann sich sehen lassen. Kleinlich wäre es, ihm vorzurechnen, welcher Schriftsteller aus der Bilanz herausgefallen ist. Wir haben es selbstredend mit Spitzenwerken (und Spitzenwerten) zu tun, auch wenn Kuschel sehr genau ­zwischen Herausragendem und Zeitbe­ding­tem unterscheidet. Das ganze Projekt hat natürlich auch noch einen Nebensinn. Gegen jedes halbierte Weltbürgertum plädiert Kuschel dafür, weltliterarisch zu denken.

Werte, so lehrte bereits der Philosoph Hans Joas, müssen narrativ vermittelt werden, was liegt es also näher, dem Projekt "Weltethos" diesen Thesaurus an die Sei­te zu stellen. Weltliteratur und Weltethos wächst in dieser Bilanz zusammen. Eine Bonuszahlung für den Autor, bitte.

Karl-Josef ­Kuschel: Jesus im ­Spiegel der Weltliteratur. Patmos Verlag, München 2010, 768 Seiten, Euro 39,-.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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