Fragen der Ehre

Zur Geschichte eines Wertes
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Anders als die Menschenwürde, die jedem a priori zukommt, existiert die Ehre nicht unabhängig vom sozialen Beziehungsgefüge. Obgleich ein innerer Wert, verlangt sie nach äußeren Ausdrucksformen.

Die Ehre ist in Misskredit geraten. Das gilt für "Mannesehre" ebenso wie für das in Zeiten des Nationalismus und Militarismus hoch gehandelte "Feld der Ehre". Wenn es dagegen um Sport geht, wird noch recht leichtfertig das be­griffliche Umfeld der Ehre bemüht: Dann gibt es "ehrenvolle" Siege oder "schmachvolle" Niederlagen, oder es gilt, "die Ehre zu retten", zuweilen sogar die einer Nation. Auch "Ehrenämter" und "-abzeichen" gibt es noch viele.

Aber sonst? Jedenfalls der westliche Kulturkreis dreht sich heute kaum noch um Fragen der Ehre. Der Historiker Winfried Speitkamp hält das Phänomen indessen für unterschätzt, und er begründet dies in einer gründlichen, historisch weit ausgreifenden Studie. Nicht nur ehrt diese fast schon selbstverständlich ihren Autor, es gelingt Speitkamp auch, der Ehre etwas von ihrer früheren Selbstverständlichkeit zurückzugeben.

Frühere Selbstverständlichkeit

Den Begriff der "Ehre Gottes" hält er indessen für obsolet, nicht zuletzt deshalb, weil die religiöse Ehre ebenso zu gegensätzlichen Konsequenzen führe wie die säkulare: Wer nach einer erhaltenen Ohrfeige noch die andere Wange hinhalte, der entziehe sich schließlich den weltlichen Wertekonventionen.

Um zu erfahren, was Ehre noch ist, muss man sehen, was sie einmal war. Die homerischen Epen befragt Speitkamp ebenso auf die darin gestalteten Ehrkonflikte hin wie das Nibelungenlied. Fontanes Ehebruchsroman Effi Briest findet deshalb besondere Erwähnung, weil er den ausweglosen Konflikt gestaltet, in den einst die Ehre führen konnte, wenn sie infrage gestellt wurde. Wessen Ehre befleckt war, dem drohte der soziale Tod. Effis Ehemann Instetten sieht sich deshalb dazu gezwungen, seinen Nebenbuhler Major von Crampas zum Duell zu fordern.

Die Betrachtung dieses Paradefalls - ein anderer ist die Ohrfeige - bringt Speitkamp zu einer griffigen Bestimmung der Ehre. Anders als die Menschenwürde, die jedem a priori zukommt, existiert die Ehre nicht unabhängig vom sozialen Beziehungsgefüge. Obgleich ein innerer Wert, verlangt sie nach äußeren Ausdrucksformen. Sie verschafft Status und ist auf Anerkennung angelegt, welche im Duell geradewegs erzwungen werden konnte, und sie unterliegt historischem Wandel.

Teil des Rechts

Immer wieder wurden die Ehre und ihr Schutz als Teil des Rechts betrachtet, besonders auffällig, wenn es um Beleidigungen geht, die noch heute umso schwerer geahndet werden, je größer die damit verbundene Ehrverletzung wiegt.

Das Phänomen der Beleidigung beziehungsweise des Beleidigtseins liefert Speitkamp auch ein plausibles Argument gegen die landläufige Relativierung der Ehre: "Von Ehre sprechen will keiner mehr - aber jeder ist gern und häufig beleidigt", schreibt er.

Unproblematisch sind Fragen der Eh­re selten. Dass ihretwegen noch im­mer regelmäßig die Grenze zur Gewalt überschritten wird, belegt der Autor an so genannten "Ehrenmorden" und am Wiederaufleben der Blutrache auf dem Balkan. Man mag als aufgeklärter Zeitgenosse Fragen der Ehre skeptisch begegnen, folgenreich sind und bleiben sie dennoch.

Speitkamp nennt das Streben nach Ehre, den Wunsch, die Selbstachtung mit der Achtung durch andere zur Deckung zu bringen, eine "soziale, wenn nicht gar anthropologische Konstante". Sein Buch liefert für diese Sicht viele überzeugende Argumente. Dass die Sphäre der (christlichen) Religion außer Acht gelassen wird, mag man allerdings bedauern. Wie Ehre ohne Gewalt zu denken wäre, könnte ja besonders durch sie verständlich werden.

Winfried ­Speitkamp: Ohrfeige, Duell und ­Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 366 Seiten, Euro 24,95.

Thomas Groß

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