Mit Gott fertig

Religion in Ostdeutschland
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Der Kampf gegen die Kirchen zählt zu den "erfolgreichsten Projekten" der DDR. Aber wieso wirkte die Entchristlichung hier so nachhaltig?

Mit dem Vollzug der politischen Einheit am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland nicht protestantischer, wie einige Beobachter zunächst meinten, sondern vor allem konfessionsloser. Gaben bis zu diesem Zeitpunkt 85 Prozent der Bundesbürger an, Mitglied einer der beiden großen Kirchen zu sein, stieg der Anteil der Konfessionslosen plötzlich auf gut ein Drittel. Damit scheint der alte Grundsatz "Cuius regio eius religio" - wessen Land, dessen Glaube - unerwartete Aktualität zu gewinnen. Das Neuland hat heute drei dominierende Bekenntnisse: evangelisch - katholisch - konfessionslos.

Ohne Zweifel zählte der Kampf gegen die Kirchen zu den "erfolgreichsten Projekten" der DDR. Aber wieso wirkte die Entchristlichung hier so nachhaltig? Und weshalb gelang es dem Weltanschauungsstaat, innerhalb von vier Jahrzehnten Religion zur Ausnahme von der säkularen Regel zu machen? Mit diesen zentralen Fragen setzt sich die Untersuchung Forcierte Säkularität auseinander. Sie entstand unter Federführung von Monika Wohlrab-Sahr. Auf der Basis von Interviews mit drei ostdeutschen Generationen gelingt es der Leipziger Religions- und Kultursoziologin gemeinsam mit Uta Karstein und Thomas Schmidt-Lux nachzuzeichnen, welchem ideologischen Druck Glaube und Kirchlichkeit in der DDR unterworfen waren und wie enorme soziale Potenzen mobilisiert wurden, um "mit Gott einfach fertig zu werden" (Friedrich Engels). In Hinblick auf den Prozess der Säkularisierung, konstatieren die Herausgeber, bestehe kein Zweifel daran, dass es der DDR in kürzester Zeit tatsächlich gelungen sei, auf diesem Sektor eine "internationale Spitzenstellung" zu erreichen: In Ostdeutschland befindet sich der religiöse Glaube noch vor Estland und Tschechien global auf Tiefststand, und die Konfession der Atheisten, der Religionslosen mit 70 Prozent auf weltweitem Höchststand.

Zwischenüberschrift

Bekannten sich bei der Volkszählung 1946 noch 82 Prozent zur evangelischen und zwölf Prozent zur katholischen Kirche, liegen die Zahlen in den neuen Ländern gegenwärtig bei über 20 Prozent Protestanten und knapp fünf Prozent Katholiken. Dieser rasante Säkularisierungsprozess ist nicht bloß mit militanter atheistischer Propaganda zu begründen. Die Autoren warnen davor, "die Familie als Bezugsgröße und Handlungseinheit" zu vernachlässigen. Die repressive Religionspolitik, so ihre leitende These, wurde wesentlich durch subjektive Aneignungsprozesse forciert. Prägende Entscheidungen wie "Kirchenaustritt, für oder gegen die Jugendweihe oder die Taufe der Kinder waren einerseits Ausdruck biographischer Relevanzen und Perspektiven; gleichzeitig aber waren sie in vielen Fällen ‚Familienentscheidungen'". Die Stärke der dichten Studie manifestiert sich darin, die Verbindung von Konfessionslosigkeit und Generationendynamik aufzuweisen.

Aber die Autoren gehen in ihren Interviews noch einen Schritt weiter: Sie zeigen auf, wie in einem von der Sprache des Glaubens entleerten Raum über die Frage nach dem Sinn des Lebens gesprochen wird: "Was würden Sie denken, kommt nach dem Tod?" Die knappe Antwort einer Humanmedizinerin: "Asche. - Und nichts anderes." Dies scheint, wie die Leipziger Forscher zeigen können, aber nicht das letzte Wort in Sachen Zukunftshoffnung zu sein. Sie konstatieren ein neu erwachtes Interesse an Spiritualität und Religion: "Die jüngsten Befragten bringen offenkundig auch Bewegung in das religiös-weltanschauliche Feld im Osten Deutschlands. Sie schließen zum Teil an das religiöse Erbe der Großeltern an und ‚überspringen' damit gleichsam die materialistisch-atheistische Epoche der DDR."

Monika Wohlrab-Sahr/Uta Karstein/Thomas Schmidt-Lux (Hg.): Forcierte Säkularität. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011, 376 Seiten, Euro 34,90.

Thomas Brose

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