Warum Bilder "Ich" sagen

Theologische Anmerkungen zu einem Bild von Jonathan Meese
Wütende Pinselstriche, verspielte Schleifen, hingewuchtete Farbfelder, allüberall dicke Farbwürste - Meese ist eben eine abenteuerliche Mischung aus Anselm Kiefer und Paul Schreber.

Kunstwerke besitzen eine nicht zu bändigende Kraft, eine spezifische dynamis, wenn sie aus der Hand des Künstlers entlassen werden, sie leben plötzlich ein eigenes Leben. Das latente Konkurrenzverhältnis von Schöpfer und Geschöpf, von dem die Bibel lebenspralle Geschichten erzählt, gilt entsprechend auch für das Verhältnis von Künstler und Kunstwerk.

Nicht zufällig klassifiziert die Genesis den Menschen als Bild Gottes, und der Künstler als Bildner, dieser kleine Gott, erlebt das gleiche Drama wie Gott mit den Menschen: Die Kunstwerke emanzipieren sich gerne vom kleinen (und großen) Schöpfer. Hilft es da, wenn man die Kunstwerke "Ich" sagen lässt? Jonathan Meese, der Umstrittene, lässt seine Bilder ununterbrochen "Ich" sagen.

Gleichermaßen ängstlich und ironisch lässt Meese etwa das Werk love like blood (Dein Junker Meese 'Babyface', 2004) von sich selbst sprechen: "Ich bin die Ordensnanny Fräulein Dr. Pimmlerz." Eine subversive Anspielung auf die Ich-bin-Worte Jesu im Johannesevangelium ist offenbar intendiert. Um die Eigenkraft der Bildkürzel zu steigern, wird dem Bild wiederholt Text beigemischt. Der performative Effekt von Kunst, Wirklichkeit nicht etwa abzubilden, sondern zu erzeugen, erreicht einen neuen Gipfelpunkt. Gottgleich versucht der Künstler Meese zu sagen: Ich habe dich geschaffen, du bist mein. Du entkommst mir nicht. Deshalb sind Porträts von Meese wie aus einem Reisepass eingepasst.

Nichts ist ihm peinlich

Aber natürlich ist Meese viel zu klug, um nicht zu verstehen, wie eigenwillig und selbstmächtig Kunstwerke sind. Deshalb gibt auch er sich selbst sehr eigenwillig. Höchst eigenwillig. Und als wolle Meese den konstruktiven Charakter von Kunst unterstreichen, schult er sich zum Fräulein um, erfindet die Ordensnanny mit freudianischem Eigennamen. Nichts ist ihm peinlich - malen mit dem Hammer, um die erotischen (und religiösen) Machtpotenziale der Kunst spürbar zu machen.

Oft gleichen die Bilder einem phal­lischen Overkill. Landserromantik, Ritterkämpfe gegen Kunstbetriebswindmühlen, Erzherzschmerzpeinlichkeiten, Junkermelancholien - die deutsche Mythologie wird neu und mit einem grotesken Muster gestrickt: "Ich bin ... ein Spermienmeesewolf", und Meese ist, wie jeder große Künstler leider und wie das Bild bekennt, oft postkoital saumüd.

Animal triste. Manchmal allerdings ist er auch ein bisschen streberhaft darum bemüht, man möge die sexuellen und mythologischen Anspielungen auch verstehen, bitte. Meese ist eben eine abenteuerliche Mischung aus Anselm Kiefer und Paul Schreber.

Wütende Pinselstriche wechseln sich mit verspielten Schleifen ab, Vektoren verweisen auf hingewuchtete Farbfelder, allüberall dicke Farbwürste, die als Phallusersatz taugen, Lebenssaft läuft aus allen Poren über die Leinwand, Schmerz und Lust pocht aus dem Bild, bloßliegende Nervenenden verknoten sich in dieser Arbeit am offenen Herzen, Kreuz und eisernes Kreuz werden synaptisch kurzgeschlossen. Es sieht auf den ersten Blick aus wie ein Tohuwabohu, es ist rhythmisch fabelhaft genau. Ich kenne niemanden, der vergleichbar souverän die Eigenwilligkeit und Eigenaktivität des Bildes eingefangen hat.

Hinweis: Leider lässt der Maler eine Abbildung seines Werkes nicht zu. Sie können aber zum Beispiel unter dem nachfolgenden Link einen Eindruck von dem besprochenen Gemälde gewinnen.

Love like blood

Klaas Huizing

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Foto: Privat

Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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