Seit einigen Wochen heißt der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, er kommt aus der CSU. Seine Amtszeit begann er mit einem verbalen Paukenschlag. Bundespräsident Christian Wulf hatte bekannterweise in einer Rede erklärt: "Der Islam gehört zu Deutschland" - der Minister widersprach ihm, übrigens wenige Tage nachdem der türkische Ministerpräsident Recep Erdoğan mitten in Deutschland alle aus der Türkei Stammenden, egal welcher Staatsangehörigkeit, dazu aufgerufen hatte, die eigene Integration nachrangig zu behandeln, weil alles andere auf Assimilation ziele. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, meinte nun Friedrich, dies sei historisch falsch: "Die Leitkultur in Deutschland ist die christlich-jüdisch-abendländische Kultur. Sie ist nicht die islamische und wird es auch in Zukunft nicht sein." Naturgemäß waren diejenigen nicht amüsiert, die den Begriff "Leitkultur" scheuen wie der Teufel das Weihwasser, ihnen gilt, wer das Wort in den Mund nimmt, als Dunkelmann, der einen binnenländischen clash of civilisations anstrebt.
Das Christentum zeigt gegenwärtig wenig Neigung, Ungläubige oder Angehörige anderer Konfessionen mit Feuer und Schwert zu verfolgen. Und auch eine wenigstens permissive Toleranz gegenüber anderen Religionen hat sich weitgehend durchgesetzt. Wie weit beides schon im Islam der Fall ist, bleibt ungewiss; sogar, ob der Trend in diese Richtung geht.
Eine Geste der offenen Arme
Doch "Der Islam gehört zu Deutschland", das war ja eine Botschaft: eine Geste der offenen Arme gegenüber den Muslimen, eine der Sympathie gegenüber jenen, die Integrationsprobleme nicht zu laut und nicht zu deutlich besprechen möchten - und eine Geste der Distanznahme gegenüber jenen, die letztere für bedrohlich halten. Deutsche Politiker werden nicht müde, zu beteuern, dass die Grundrechte von allen respektiert werden müssen, und dass die Menschenrechte über religiösen Vorschriften rangieren, weil sie universale Gültigkeit beanspruchen könnten. Doch global durchsetzen lassen sie sich natürlich nur, wenn an sie global geglaubt wird. Vorläufig werden die Menschenrechte von vielen Menschen in anderen Kulturen, selbst von jenen, die sie bejahen, für so etwas wie eine neue westliche Religion gehalten, jedenfalls für einen westlichen Import. Es bedarf also noch einiger Überzeugungsarbeit - die ihrem Impetus nach aber (verteufelt, möchte man sagen) der klassischen christlichen Mission ähnelt.
Gehört der Islam also zu Deutschland? Angesichts von vier Millionen Muslimen in diesem Land ist dieser Satz zumindest als Tatsachenaussage hinzunehmen: Der Islam gehört zu Deutschland und er wird zu Deutschland gehören. Auf der Grundlage dieser Einsicht beginnen allerdings erst die Mühen: Zwar ist das "Konzept der Multikulturalität" gescheitert, aber eben nur als Programm eines schnell erreichbaren bunt-harmonischen Zusammenlebens. Niemand kann heute sagen, ob die normative Kraft des Faktischen aus Deutschland nicht ein multikulturelles Land mit sich gegeneinander abgrenzenden ethnischen Gruppen machen wird - oder ob es gelingen wird, eine integrative Kultur der gegenseitigen Befruchtung und des Ausgleichs zu schaffen. Die erstere Möglichkeit birgt unkalkulierbare Risiken. Ob wir aber, um die letztere zu erreichen, auf dem richtigen Weg sind?
Helmut Kremers
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .