Tolstois Glaube

Leben eines unbequemen Gottsuchers
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Für Tolstoi ist der Mensch schon in seiner Suche nach dem Vollkommenen ein Glaubender, und der Dichter lässt keinen Zweifel daran, dass es in diesem Leben auch nur bei dieser Suche bleiben wird.

Eine spirituelle Biographie wird den Leser eher dann interessieren, wenn sie ihn nicht vom Glauben überzeugen, sondern das Leben und Werk eines Glaubenden zum Vorschein bringen will. Martin Tamcke, Leiter des Göttinger Instituts für Ökumene, möchte mit seiner gerade erschienenen Biographie zum 100. Todestag von Leo Nikolajewitsch Tolstoi den Leser nicht mit ei­nem exemplarischen christlichen Schriftsteller missionieren, sondern ihn in dessen lebenslange und werkim­manente Suche nach der sittlichen Vollkommenheit einführen. Deswegen schil­dert Tam­cke eher knapp das Leben des russischen Grafen und Dichters, um es mit den Inhalten seines theoretischen und poetischen Werks unter religiösen As­pekten wie Gott, Christus, Reich Gottes, Gebet und Bibel in Beziehung zu setzen.

So nahe dem Leser dabei Tolstoi in seiner Suche nach Gott kommen mag, so fern bleiben doch die tradierten Bestimmungen dessen, was vom christlichen Gott zu sagen und zu glauben ist. Für Tolstoi ist der Mensch schon in seiner Suche nach dem Vollkommenen ein Glaubender, und der Dichter lässt seinen literarischen Gestalten und dem teilnehmenden Leser keinen Zweifel daran, dass es in diesem Leben auch nur bei dieser Suche bleiben wird.

Aber gerade, indem der Mensch nicht müde wird, in Wort und Tat nach der religiösen Wahrheit des Lebens zu fragen, kann er bis zum Ende mehr als den Tod erwarten. Tolstois Helden sind oft am Ende ihres Lebens von vielem enttäuscht, aber sie bleiben offen und in Erwartung. So können sie das, was sie im Leben gebunden hat und doch nicht wird halten können, fahren lassen und werden am Ende frei für Gott und für sich. Deswegen trägt die elementare Einsicht, daß das Sterben zur Natur des Menschen gehört und das Töten und gar das Morden zu dem Bösen, wozu der Mensch fähig ist, nicht den Sieg über den Wunsch nach Besserung davon.

Auf das Diesseits konzentrierter Glaube

Mit seinem so ehrlich auf das Diesseits konzentrierten Glauben musste Tolstoi in Konflikt mit der russisch-orthodoxen Kirche geraten. Er wird schließlich mit der Begründung exkommuninziert, er leugne den persönlichen Gott, die unbefleckte Empfängnis Marias, das Leben nach dem Tode und das übernatürliche Wirken des Geistes. In der Tat konnte Tolstoi seine Glaubenslehre auch mit den Worten zusammenfassen: "Gott wissen und Leben ist ein und dasselbe. Gott ist das Leben. Lebe, indem du Gott suchst, dann gibt es kein Leben ohne Gott."

Leo Tolstoi ist nicht müde geworden zu zeigen, dass es der Kirche nicht um die spirituelle Vertröstung, um den Erhalt des ­feudalen Zarenreiches und um die Verlässlichkeit der Untertanen ge­hen dürfe. Gerade aber die Ansprüche dieser Untertanen auf ein menschenwürdiges Leben in Freiheit hielt Tolstoi im kunstvollen Erzählen individueller Schicksale fest, und er ließ in seinem Leben als Großgrundbesitzer so viele unrechtmäßig seiner Schicht zugewachsenen Ansprüche auf Leib und Leben der einfachen Menschen fahren. Das brachte ihn nicht nur in Konflikt mit der Obrigkeit, sondern auch mit seiner Frau.

Tolstoi aber blieb davon unbeeindruckt. Er wollte sich den so genannten einfachen Menschen verbunden fühlen, ihre Frömmigkeit hielt ihn auch mit seiner Kirche verbunden, nicht aber mit deren Repräsentanten, die sich für ihn zu wichtig nahmen. Martin Tamcke ist mit diesem spirituellen Buch ein aktueller Beitrag zu Leo Tolstoi und gegen dessen fromme Vereinnahmung gelungen.

Martin Tamcke: Tolstois ­Religion. Eine spirituelle Biographie. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2010, 180 Seiten, Euro 17,90.

Friedrich Seven

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