Wahrheit im Gespräch

Philipp Melanchthon: Eine Tragik liegt über dem Wirken des Reformators
Lucas Cranach d. J. (1515-1586): Bildnis Philipp Melanchthons (1559). (Foto: akg-images)
Lucas Cranach d. J. (1515-1586): Bildnis Philipp Melanchthons (1559). (Foto: akg-images)
Kommunikation, das Miteinander-Reden, war für Philipp Melanchthon die Grundbestimmung des Menschen. Dem entspricht seine Theologie, dass Gott ein hörender Gott ist.

Sein Äußeres kann es nicht sein. Da findet sich wenig Imponierendes. Wieso aber interessierten sich in diesem Jahr, 450 Jahre nach seinem Tod, so viele Menschen für Philipp Melanch­thon? Und was faszinierte an ihm zu seinen Lebzeiten?

Auf Melanchthons Altersbild, gemalt von dem befreundeten Maler Lu­cas Cranach, präsentiert sich der Reformator mit einem aufgeschlagenen Buch, dessen sichtbare zwei Seiten einen zentralen Punkt seiner Lehre vermitteln. Wir erkennen eine Botschaft an den Betrachter: Es handelt sich um eines der beliebtesten und am meisten verwendeten Zitate Melanchthons, in vielen Grußworten und Gedenkreden angeführt: "Wir sind zu wechselseitigem Gespräch geboren", auf Latein: "Nati su­mus ad mutuam sermonis communicationem".

Wechselseitiges Gespräch

Dieser Satz entspricht einem Grundanliegen Melanchthons: Sprache und Sprachfähigkeit sind Voraussetzung für Kommunikation und damit für Bildung als Grundlage menschlicher Gemeinschaft. Melanchthon verstand sich in erster Linie als Sprachlehrer.

Als Professor für Griechisch kam er 1518 nach Wittenberg und wies dort in der berühmten Antrittsrede auf die fundamentale Bedeutung der Sprachen für alle Wissenschaften und insbesondere für das Studium der Theologie hin. Unser Zitat vom wechselseitigen Gespräch findet sich in einer programmatischen Rede, die 1543 vor der Leipziger Universität anlässlich einer Doktorpromotion der theologischen Fakultät vorgetragen wurde.

Was Melanchthon in unermüdlichem Wirken an der Universität mehr als vierzig Jahre lang vermittelte und in vielen Disputationen einüben ließ, war weniger ein Wissen als vielmehr eine Haltung im Sinne eines gemeinsamen Lernens und Strebens nach Wahrheit. Diese findet nicht jeder für sich allein, sondern sie wird im wechselseitigen Gespräch erfahrbar. Das Idealbild im Hintergrund war, wie bei einem humanistisch geprägten Lehrer nicht anders zu erwarten, das Bild der Akademie, wie es die Dialoge Platos und auch die Gesprächsrunden auf Ciceros Landgut in Tuskulum vermittelt hatten.

Aber Ideal und Realität sind zweierlei. Wie waren solche Idealvorstellungen in der bewegten und konfliktreichen Epoche der Reformation umzusetzen? Wer Melanchthons berühmten Satz zitiert, sollte auch wissen, wie es seinem Sprecher damit erging. Gespräche führen nicht immer zu Verständigung und zu Ergebnissen. Melanchthon machte im Lauf seines Lebens in dieser Hinsicht ganz eigene Erfahrungen.

Über 9.000 Briefe

Er suchte und pflegte das Gespräch, nicht nur im akademischen Lehrbetrieb, sondern auf vielfältige Weise und auf vielen Ebenen; zu nennen wäre hier an erster Stelle die Korrespondenz mit einer Vielzahl von Gesprächspartnern in ganz Europa. Die über neuntausend erhaltenen Briefe verdeutlichen die Weite seines Horizonts in jeder Beziehung.

Melanchthon sucht das Gespräch, er knüpft Kontakte zu den Großen in der Politik, er bemüht sich beispielsweise intensiv um König Heinrich viii. von England. Zwölf persönliche Briefe sind an diesen Herrscher gerichtet; ein Brief Heinrichs an Melanchthon ist erhalten, in dem der König sich als seinen Freund ­bezeichnet und ihm für die Widmung der Loci dankt, Melanchthons theologischem Hauptwerk, das in der Neufassung von 1535 tatsächlich Heinrich gewidmet war. Von ihm als einem gebildeten Fürsten erhoffte sich Melanchthon eine Unterstützung der reformatorischen Bewegung.

Heinrich seinerseits lud den berühmten Wittenberger Professor mehrmals an seinen Hof ein. Der Briefwechsel endete 1540 abrupt, als Heinrich VIII. eine seiner berüchtigten Kehrtwendungen vollzog und Unterstützer der reformatorischen Bewegung an seinem Hof wie den Hofprediger Thomas Barnes wegen Ketzerei hinrichten ließ. Dies war eine von vielen schweren Enttäuschungen in jenem Krisenjahr 1540. Wie sehr dies Melanchton bewegte und belastete, erfahren wir in vielen Briefen an Freunde, in denen er sein Herz öffnen konnte.

Eine andere Gesprächsebene waren jene Verhandlungen und Gespräche auf höchster Ebene, bei denen Melanch­thon als Sprecher der reformatorischen Bewegung auftrat. Kein anderer schien für diese Aufgabe besser geeignet, kein Theologe und kein Jurist. Auch hier blieben Enttäuschungen nicht aus. Das Ergebnis des Augsburger Reichstages von 1530, bei dem das Bekenntnis der evangelischen Fürsten und Stände für widerlegt erklärt und damit abgewiesen worden war, empfand und erfuhr er als persönliche Tragödie.

Von Augsburger Reichstag tief enttäuscht

Offenbar war niemand bereit, seine verbindende Darstellung reformatorischer Lehre als Weg zur Verständigung zu begreifen und zu ergreifen. Man mag heute seine Bemühungen und Leistung für die Einheit der Kirche über alle Grenzen der Konfessionen hinweg anerkennen, aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Melanchthon an dieser Aufgabe scheiterte. Er hatte sich von Augsburg mehr erwartet.

Der Fortgang aller Gespräche führte letztlich dazu, dass er nur noch gezwungenermaßen an ihnen teilnahm. Wie es ihm dabei erging, mag ein Zitat aus einem Brief an Kaiser Karl V. - aus den Tagen des Regensburger Religionsgesprächs von 1541 - verdeutlichen: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich jene, die bei Verhandlungen tätig sind, den Hass beider Seiten zuziehen und von beiden Seiten Schläge bekommen. So ist es nun vor allem mir ergangen." Konkret wehrt Melanchthon sich in diesem Brief gegen den Vorwurf des Kaisers, er lasse es an Kompromissbereitschaft fehlen. Hier kann er nur mit einem tiefen Seufzer antworten, auch die Kompromiss­be­reitschaft habe ihre Grenzen - er könne nicht gegen sein Gewissen handeln und bitte den Kaiser daher, ihn zu entlassen.

Nicht gegen sein Gewissen

Melanchthons Kompromissbereitschaft stößt an ihre Grenzen, wenn es um den Kern seines Glaubens geht, um die in Christus offenbarte Wahrheit. Nein, die Erfahrungen, die Melanchthon bei seinen Bemühungen im Sin­ne seines Leitsatzes machte, waren eher tragischer Natur.

Wenden wir uns nochmals dem Bild des alten Melanchthon und seiner Botschaft zu, die auf den aufgeschlagenen Seiten des Buches zu finden ist. Auf der linken Seite findet sich ein Zitat des Kirchenvaters Basilius des Großen, der sich auf Paulus beruft, wenn er schreibt: "Wer sich rühmen will, der rühme sich im Herrn." Er meint damit, dass Christus für uns Weisheit von Gott wurde, Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung, damit, wie geschrieben steht, wer sich rühmen will, der rühme sich im Herrn. Der Mensch, der an seine Grenzen stößt, erfährt in der Begegnung mit Christus die Erfüllung seiner Bestimmung. Er wird nicht auf sich selbst zurückgeworfen, er empfängt, wonach er strebt, im Glauben.

Auf der anderen Seite des Buches findet sich als Botschaft an den Betrachter und Leser ein lateinisches Gedicht, von Melanchthon oft als Buchinschrift verwendet. Dort heißt es: "Ja das Schicksal sogar, das strenge, so hart wie ein Demant, nachgeben muss es Gott, wenn wir ihn bitten darum. Gott ist nicht ein Götze, gefangen im Kerker der Parzen, wie der Stoiker meint."

Die Botschaft ist klar: Im Gespräch mit Gott öffnen sich Möglichkeiten ganz neuer Art. Der Gott der Bibel ist ein lebendiger, hörender und befreiender Gott, der sich von unserem Gebet bewegen lässt. Er ist nicht dem Schicksal unterworfen, gefangen in einem unbeweglichen Gesetz wie der Gott der Philosophen. Diesen Gott kann und soll man anrufen und bitten. So teilt der ­Professor seinen Studenten mit: "Das weiß ich: Sooft ich mit Ernst gebetet habe, bin ich gewiss erhört worden und habe mehr erlangt, als ich erbeten habe. Unser Herrgott hat wohl bisweilen gewartet, aber letztlich dennoch erhört."

Martin Schneider ist Pfarrer und Theologischer Referent an der Europäischen Melanchthon-Akademie Bretten.

LITERATUR Heinz Scheible (Hg): Melanchthon Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. frommann-holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977 ff. Heinz Scheible: Philipp Melanchthon. Eine Gestalt der Reformationszeit. C. H. Beck Verlag, München 1997. Michael Beyer et al. (Hg.): Melanchthon deutsch. Band 1 und 2. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 1997.

In diesem Jahr konnten Sie in ­zeitzeichen über Melanchthon lesen: Helmut Kremers: "Die Wut der ­Theologen", Januarausgabe, Seite 12; Petra Bahr: "Frei und fröhlich", Aprilausgabe, Seite 48; Johanna Rahner: "Jenseits der Konfessionen", Juliausgabe, Seite 8.

Regesten (Inhaltsangaben) der über 9.000 Briefe sind seit diesem Jahr im Internet frei zugänglich

Martin Schneider

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"