Nicht mit Gott verwechseln

Theologische Reflexion in der Moderne führte allzu oft zur Ideologieproduktion
George Frederic Watts (1817-1904):  "Der Säer der Systeme", um 1902. (Foto: akg-images)
George Frederic Watts (1817-1904): "Der Säer der Systeme", um 1902. (Foto: akg-images)
Aus den klaren Fronten deutscher Theologie in den Fünfzigerjahren entwickelten sich bis heute immer wieder neue theologische Ansätze bis hin zu den "Genitiv-Theologien". Doch niemand sollte sein eigenes Gottesbild mit Gott verwechseln.

Im späten 18. Jahrhundert begannen einige deutsche Schriftsteller, allen voran der Weimarer Generalsuperintendent Johann Gottfried Herder, vom "Menschenbild" zu sprechen. Bald führte wer auch immer den Begriff "Gottesbild" in die Debatte ein. Beide Begriffe sind nicht ohne Probleme. Bekanntlich heißt es in den "Zehn Geboten": "Du sollst Dir kein Bildnis machen." Zu diesem Bilderverbot steht die Rede vom Gottesbild in elementarer Spannung.

Schon unabhängig von dem im christlichen Diskurs fortwährend umstrittenen Bilderverbot stellt sich ja die Frage, ob ein endliches Erkenntnissubjekt, der geschaffene und notorisch sündhafte Mensch, in seiner allemal begrenzten Wahrnehmungsperspektive überhaupt ein Bild oder gar ein angemessenes Bild von Gott zu erzeugen vermag. Lässt sich Gott in ein Bild bannen? Oder ist Gott gerade so vorzustellen und zu denken, dass jegliche Verbildlichung, jeder Versuch also, ihn in einem Bild zu fixieren, als immer schon illegitim, weil Gott unangemessen abgewiesen werden muss?

Von Gott reden? Über Gott reden? Zu Gott reden?

In einem der bekanntesten theologischen Aufsätze des letzten Jahrhunderts hat Rudolf Bultmann 1925 gefragt: "Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?". Seine Antwort: "Versteht man unter 'von Gott' reden 'über Gott' reden, so hat solches Reden überhaupt keinen Sinn; denn in dem Moment, wo es geschieht, hat es seinen Gegenstand, Gott, verloren." Analog gilt, wer Gott bildlich verobjektivieren will, erzeugt gewiss kein Bild von Gott.

Deutschsprachige protestantische Universitätstheologen haben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und speziell der so genannten doppelten Staatsgründung von DDR und Bundesrepublik Deutschland zahlreiche gewichtige theologische Bücher veröffentlicht. Sechzig Jahre sind im theologischen Diskurs durchaus eine lange Zeit. Die Diskussionslage der Fünfzigerjahre lässt sich nur von Ferne noch mit den Debatten vergleichen, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren geführt wurden.

In diesen sechzig Jahren sind, gerade mit Blick auf das Reden von Gott, eigene theologische Bibliotheken geschrieben worden. Religiöse Aufregung, theologischer Streit und auch harte politische Konflikte haben viele Gottesgelehrte zu intensivierter Schreibtätigkeit veranlasst. So sind riesige theologische Textspeicher entstanden. Obendrein ist viel an übersetztem Text importiert worden, vor allem aus den USA. Doch selbst heiß Diskutiertes, eine Zeitlang heftig Umstrittenes hat sich häufig als nur wenig haltbar, wenig diskursprägend erwiesen.

Die polemischen Auseinandersetzungen etwa, die in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren um die aus Großbritannien und den USA nach Deutschland kommende "Death of God"-Theology (Tod-Gottes-Theologie) geführt wurden, sind weithin nur noch für Theologiehistoriker von Interesse. Nicht selten wundert man sich, wie schnell theologische Geistesprodukte Schimmel ansetzen und veralten können.

Schimmel an theologischen Geistesprodukten

Die Diskussionslage nach dem Kriege war, wie könnte es anders sein, durch Kontroversen über die verschiedenen deutschen Protestantismen im Nationalsozialismus und harte kirchenpolitische Debatten zwischen mehr oder minder stark von Karl Barth geprägten Theologen der radikalen "Bekennenden Kirche" und eher strukturkonservativen, die Gründung einer eigenständigen lutherischen Bekenntniskirche, der VELKD, unterstützenden Konfessionslutheranern bestimmt.

In der Rückschau der Jüngeren erscheinen die theologischen Fünfzigerjahre als eine überaus übersichtliche, durch klare Frontbildungen geprägte Welt. Hier standen Barthianer gegen Bultmannianer, Gogarten-Schüler gegen Tillich-Fans. Ein politisch linker Nationalprotestant wie Hans-Joachim Iwand führte in steiler Offenbarungsrhetorik sei­nen heiligen Privatkrieg ge­gen Konrad Adenauers katholischen West­staat, und umgekehrt konn­te ein konservativer Lutheraner wie Helmut Thielicke sich er­folgreich als Vordenker eines hanseatischen Bürgerprotestantismus inszenieren, der gern vor einer allzu liberalen Moderne warnte und "Menschrechte" kritisch relativierte.

Im theologischen Streit der Fünfzigerjahre ging es auch um konkurrierende "Gottesbilder" - aber kaum direkt. Politisches, Kirchenpolitisches, Konflikte um Machtchancen im akademischen Be­trieb überdeckten die differenzierende theologische Ausein­andersetzung um die Frage, welche Konsequenzen die erlittene Diktatur mit ihren unvorstellbaren Verbrechen für ein biblisch verantwortungsbewusstes Reden von Gott haben müsse. Nur in einer gewichtigen Hinsicht, mit Blick auf das Verhältnis der christlichen Kirche zur Synagoge, ließ sich bei einigen prominenteren Theologen neue Nachdenklichkeit beobachten.

Wer zu ernsthafter Selbstreflexion bereit war, musste verstärkt auch der Frage nachgehen, wie sich denn der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zum trinitarischen, in Jesus Christus sich selbst offenbarenden Gott der Christen verhält. Nachdenken über "Gott nach Auschwitz" war noch kein zentrales Thema im theologischen Diskurs der Fünfzigerjahre.

Suche nach neuer Sprache

Aber man kann bei vielen prominenten Beteiligten neue Sensibilität dafür spüren, dass alte gottessprachliche Konventionen neuen Erfahrungen nicht mehr gerecht werden. Paul Tillich suchte in seiner Systematischen Theologie, in deutscher Sprache von 1955 bis 1966 erschienen, auf ganz eigenen Wegen Gott als jene Macht zu bestimmen, die uns unbedingt angeht.

Andere sprachen von der "alles bestimmenden Wirklichkeit". Und Karl Barth vollzog in der fortwährenden Arbeit am Monumentalfragment seiner Kirchlichen Dogmatik insoweit eine Wende gegenüber den transzendenzfixierten Anfängen seiner Wort-Gottes-Theologie, als er nun deutlich stärker als zuvor die liebevolle Nähe Gottes zum Menschen beziehungsweise die "Menschlichkeit" oder auch "Menschenfreundlichkeit Gottes" betonte. In seiner "Lichterlehre" wollte er nun, in subtiler Aufnahme von klassischen Argumenten protestantischer Aufklärungstheologen, auch "Lichtern" neben dem ei­nen Lichte Jesu Christi illuminatorische Strahlkraft zuerkennen.

Wie jede andere Geistes- und Wissenschaftsgeschichte ist auch die Geschichte der modernen protestantischen Theologie in Deutschland stark bestimmt durch generationenspezifische Er­fahrungen. In den ausgehenden Sechzigerjahren lässt sich ein signifikanter Wandel der theologischen Diskussionslage beobachten. 1961 veröffentlichen Wolfhart Pannenberg und sein "Kreis" - als Systematiker ist neben ihm vor allem Trutz Rendtorff zu nennen - Offenbarung als Geschichte, das programmatische Manifest einer jun­gen Generation, die in entschiedener Kritik der von ihnen als autoritär erlittenen Wort-Gottes-Theologen auf neue "natürliche Theologie", Rehabilitierung der "Geschichtstheologie" und Gedächtnisarbeit an der inneren Kontinuität der "Christentumsgeschichte", der so genannten Überlieferungsgeschichte setzten.

Konzentrierte Trutz Rendtorff seine intellektuelle Aufmerksamkeit bald darauf, in den Sprachspielen der "liberalen Theologie" Gott individualisierungstheoretisch als den Statthalter einer starken Freiheit des Individuums, also als Garanten einer prinzipiellen Transzendenz jedes (jeder) einzelnen gegenüber aller Sozialität zu deuten, so war Pannenberg vorrangig an den neumetaphysischen Traditionen einer "Theologie der Vernunft" interessiert, die, teils in weitausgreifender Spekulation, leider teils auch in kleinlicher dogmatischer Belehrung, durch das Temporalkonzept der "Prolepse" (Vorwegnahme) zeigen sollte, dass Gott in Jesus Christus schon erwiesen habe, als was er dereinst allen unmittelbar evident offenbar sein werde: die alles bestimmende Wirklichkeit.

Das Reden von Gott schützen

Inwieweit seine Eschatologie von der Jürgen Moltmanns, entfaltet vor allem im Welterfolg Die Theologie der Hoffnung, beeinflusst wurde oder Moltmann umgekehrt Pannenberg früh schon stärker als direkt erkennbar rezipierte, soll hier nicht entschieden werden. Deutlich ist jedoch, dass es im Tübinger "Theologenmilieu" eine intensive Ideenzirkulation gab, die sich durch Zitationsrecherchen nur eingeschränkt rekonstruieren lässt.

Eberhard Jüngel, der schon mit seiner allzu bescheiden als "Barth-Paraphrase" genannten Studie über Gottes Sein ist im Werden neue kritische Nachdenklichkeit über alteuropäisch metaphysische Divinalsemantiken provoziert hatte, veröffentlichte 1977 Gott als Geheimnis der Welt, um die protestantische Theologie endlich aus den Zwangsbegriffen einer aristotelischen Metaphysik zu befreien, die es nicht erlaubte, Gottes Inkarnation radikal, als Menschwerdung eines ebenso leidensfähigen wie todesbereiten Gottes zu deuten.

Über die begrifflichen Grundentscheidungen, die in anderer Weise auch im Kreise des früh verstorbenen Falk Wagner diskutiert wurden, kann hier leider nicht berichtet werden. Aber deutlich ist: Jüngel setzte (und setzt) auf theologisch informierte Ideologiekritik, er wollte, auch mit Blick auf die erlittenen Wahrheitsperversionen in seiner DDR-Ju­gend, das Reden von Gott davor schützen, für alle möglichen sekundären oder gar partikularen kirchlichen, politischen und sonstigen subjektiven - und als solche ja: durchaus verständlichen - Interessen vereinnahmt zu werden. Irgendein "Gottesbild" malte Jüngel deshalb nicht, auch wenn er, nicht zuletzt in gelehrten Studien zur Metaphorologie, immer die Einsicht präsent hielt, dass jedes denkende Sprechen von Gott auf Bildrede, auf "Images" nicht verzichten kann.

Es gibt nur wenig theologische Selbstaufklärung darüber, wie sich erklären lässt, dass theologische Reflexion in der Moderne nicht selten in blanke Ideologieproduktion führt. In der Geschichte des neueren deutschen Protestantismus sind "Gottesbilder" wahrlich für jedes politische Programm in Anspruch genommen worden, von radikal links bis radikal rechts. Gehört solche ideologische Privatisierung Gottes in theologisch aufgeklärteren Zeiten der Vergangenheit an? Hier bleiben Zweifel. Oft ist der Ideologiekritiker von heute nur der Ideologe von morgen; er wird von kritischeren Jüngeren als theologischer Apologet von was auch immer enttarnt werden. Dies mag auch für den Verfasser dieses Textes, einen theologisch "Neoliberalen" gelten.

Gott als Privateigentum

Dennoch sei benannt, worin ich die größte theologisch fatale Gefahr der neuen Rede von den "Gottesbildern" sehe: Der eine Gott droht zunehmend zum Privateigentum von religiösen wie politischen Akteuren zu werden, die ihre je eigenen, durchaus legitimen Partikularinteressen mit der Aura des göttlich Allgemeinen, Unbedingten auszustatten suchen. Genau so funktionieren die "Genetiv-Theologien" (wohl ein Begriff der Sechziger- oder Siebzigerjahre): der Gott für Frauen muss irgendwie feminin imaginiert werden (also, ganz zu Recht, im radikalen Ikonoklasmus al­ler überkommenen Vatergottbilder), oder er muss zum stärkenden Gott der Schwarzen ("Black Theology"), Schwulen ("Gay Theology"), überhaupt sexualitätspraktisch ganz An­deren ("Queer Theology") werden. Jede Gruppe hat, jedenfalls in den protestantischen Christentümern, das Recht, sich ihren je eigenen Gott vorzustellen. Aber niemand sollte sein eigenes Gottesbild mit Gott selbst verwechseln.

Friedrich Wilhelm Graf ist Professor für Systematische Theologie an der Universität München.

Friedrich Wilhelm Graf

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Foto: dpa/Horst Galuschka

Friedrich Wilhelm Graf

Dr. D. Friedrich Wilhelm Graf ist Professor em. für Systematische Theologie und Ethik. Er lebt in München.


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