Diagnose: Influencer

Punktum

Die Wintermonate liegen längst hinter mir, das Husten in der S-Bahn ist verstummt, vergessen ist die ansteckende Grippezeit. Doch Influenzaviren verblüffen immer wieder mit neuen Erscheinungsformen. Zwar bedeutet Influenz grundsätzlich nur, dass sich zwischen zwei Körpern physikalische Ladungen verschieben. Aber solche Energiebündel konnten mich bisher wenig beeindrucken. Doch jetzt gibt es die Influencer, die ansteckende Botschaften verbreiten. Weil gegen sie kein Impfstoff wirken soll, habe ich mir diese Spezies einmal genauer angesehen.

Mein Neffe Lenni war gerade zu Besuch und hat mich als Scout durchs Netz geführt. Er gehört zur Millenium-Generation, dem technikaffinen Nachwuchs der Jahrtausendwende. Für ihn sind Facebook und YouTube längst Geschichte, in etwa aus der Zeit nach Gutenberg. Aus dem Hause Zuckerberg machte er mir ein anderes Produkt schmackhaft: Instagram, die digitale Bühne, die die Welt bedeutet. Das ist ein führender Onlinedienst zum Teilen von Fotos und Videos. Mit ihm kann man sein eigenes Programm gestalten und nebenbei zum Millionär werden. Vorausgesetzt, man ist ein guter Poser und trifft den Nerv der Selbstverwirklicher.

Da ist zum Beispiel Matt D’Avella aus Amerika. Er steht für Minimalism, Filmmaking and Creativity und passt als Typ in etwa zu meinem Neffen. Wir beobachten Matt, wie er morgens allein in weißen Laken erwacht, kurz meditiert und sich dann zielstrebig ein Müsli zubereitet. Das alles in klaren Sequenzen, in aufgeräumter Umgebung und minimalistisch effizient. Kein Wunder, dass es Matt gelassen angeht. Die größten Fans seiner 1.386.976 Abonnenten genießen zusätzlich eine exklusive Filmbetreuung und finanzieren ihm den coolen Lebensstil, Chapeau!

Ganz anders sieht es aus bei den Produkt-Verwenderinnen. Dabei handelt es sich um junge Frauen, die permanent Waren bekannter Drogerien geschenkt bekommen, sie zu Hause vor laufender Kamera ausprobieren und kommentieren. Nicht selten ist eine eigene Marke die Folge. Auch diese jungen Unternehmerinnen haben Millionen Abonnenten, sind anerkannte Marketing-Instrumente und lassen die Werbespots in den Öffentlich-Rechtlichen für meine Begriffe ziemlich alt aussehen.

Ganz klar mein Favorit ist am Ende Caroline D. Ihr Typ ist „Inszenierte Echtheit“. Sie wird von Unternehmen mit allem Nötigen versorgt und geht dann auf Reisen. Wöchentlich zwanzig Anfragen von Destinationen und Hotels in aller Welt sind keine Seltenheit. Vor Ort geht es dann um den freien Blick auf den Fuji, den Duft der Rinde am Baumhaus oder das Chlorwasser im Pool. Was die Frau von Welt dazu braucht, ist nicht viel mehr als ein Smartphone und Netz. Warum eigentlich nicht?! Nach meiner Gripperesistenz macht sich ein wohltuender Virus breit. Neffe Lenni sei Dank, die Influencerin in mir kommt endlich auf Temperaturen: Reisefieber.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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