(Nicht-)Bekifft

Mark Guilanas spirituelle Suche
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Der Jazz, die Freiheit der Improvisation steckt jeweils in der Ausführung, im Timing, der Akzentuierung, der Modulation, in rhythmischen Finessen.

Kitaro? Richtig: Meditationsmusik für Nichtbekiffte vom Beginn der Achtzigerjahre; sphärische Synthies, flottierende Flöten- und Orgeltöne, was Bekiffte genauso schätzten. Im Wunsch nach Eigenheim waren beide Fraktionen eh vereint, mit Erfolg, wenn man heut so schaut. Wer jedenfalls noch Kitaro kennt, wird fragen, wie ausgerechnet das Mark Guiliana-Album BEAT MUSIC! BEAT MUSIC! BEAT MUSIC! daran erinnern kann. Guiliana gilt als einer der innovativsten Jazz-Drummer derzeit, „around whom a cult of admiration has formed“, so die New York Times. Wie also das? Der 38-Jährige nennt als Einflüsse die Kraft von Grunge-Rock, John Coltranes spirituelles Suchen, die Kompromisslosigkeit von Miles Davis sowie die anarchistische Soundarbeit von Elektropionieren wie Squarepusher und Aphex Twin, was sein Werk spiegelt: ob in Jazz-Formationen, bei Kooperationen (David Bowie hatte ihn für seine letzte Platte Blackstar gebucht) oder in experimentellen Elektronikgefilden, gemeinhin NuJazz genannt. Mit einer Gruppe von Gleichgesinnten arbeitet er in diesem Bereich schon lange eng zusammen. Das ist auf seinem neuen Album gut zu spüren. Die neun Stücke sind durchkomponiert. Der Jazz, die Freiheit der Improvisation steckt jeweils in der Ausführung, im Timing, der Akzentuierung, der Modulation, in rhythmischen Finessen. Dabei spielen sie mit „alten“, billig wirkenden Synthie-Sounds, von Spielautomaten-Melodien bis eben zu gefühlten Kitaro-Klängen, die als Farben, aber auch als perkussives Material dienen. Die Collage, die entsteht, recycelt es mit den Mitteln avancierter Elektro-Gegenwart, Spielfreude und Spaß am Spannungsaufbau durch rhythmische Verschiebungen. Nie stehen Groove und Geist dabei zueinander in Konkurrenz. Die Palette reicht von der filmartigen Orbit-Reise zu Beginn („Girl“) über Tanzbares wie „Bones“ mit Latinogerüst bis zum elegischen „Stream“ samt elegant rollendem, mitunter stolperndem Reggaerhythmus am Schluss. Reggae- und Dub-Elemente benutzen sie häufiger, und auch da gilt: Was für sich genommen schal und abgestanden wirken mag, kommt hier prickelnd und exquisit daher, prätentiös aber nie. Das Album ist so leichthändig und tricky wie Giulianas fesselndes Schlagzeugspiel, das jedoch soundstark stets im Kollektiv agiert und nie nach vorne drängt. Beat, und das frappiert wohl am meisten, wird Sound und umgekehrt, was immensen Pop Appeal erzeugt. Doch darunter brodelt es, wie beim einzigen Deutschland-Auftritt im Dortmunder domicil faszinierend mitzuerleben war. Guiliana stellte das große Album mit Chris Morrissey (bass), Sam Crowe (keys) und Nicholas Semrad (keys) in kleiner Besetzung vor. Und zwar greifbar so, wie es auch im Track „Roast“ heißt: „Call it what you wish, we wish it to exist.“

Udo Feist

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