„Gegen den Traditionsabbruch“

Gespräch mit dem Wiener Theologen Ulrich Körtner, der zusammen mit acht Fachkolleginnen und -kollegen bis 2022 ein „Lehrwerk Evangelische Theologie“ herausgeben wird
Foto: epd/ Norbert Neetz
Foto: epd/ Norbert Neetz

zeitzeichen: Herr Professor Körtner, was ist das Besondere an dem auf zehn Bände konzipierten „Lehrwerk Evangelische Theologie“, das Sie und andere herausgeben – gibt es nicht schon genug theologische Lehrbücher auf dem Markt?

ULRICH KÖRTNER: Das mag sein, aber das Besondere an unserer Unternehmung ist, dass wir, die neun Herausgeberinnen und Herausgeber, zwar theologisch sicher unterschiedlich sind und natürlich verschiedenen Teildisziplinen angehören, aber die großen Linien als Kollektiv konzipieren. Das heißt, die einzelnen Bände werden von allen vorher gelesen und mit Anregungen versehen. So können von vornherein Verweise zwischen den Bänden eingeplant werden – das ist praktisch und entlastet die einzelnen Darstellungen. Unser Anspruch ist aber auch, interdisziplinäres Arbeiten zu verwirklichen und das mit einem ehrgeizigen Zeitplan: In spätestens fünf Jahren sollen alle Bände vorliegen.

Gibt es bei aller Unterschiedlichkeit auch theologische Gemeinsamkeiten im Kreis der Herausgeber und Autorinnen?

ULRICH KÖRTNER: Wir alle bemühen uns um ein Gesamtverständnis von Theologie. Wir wollen nicht nur Expertinnen und Experten im eigenen Teilfach sein. Denn was die Studentinnen und Studenten heute dringend brauchen, ist eine Darstellung, die neben Fakten auch klar macht, was die Theologie in ihrem Innersten zusammenhält. Insofern sind es auch zehn Bände gegen den Traditionsabbruch, der immer mehr um sich greift.

Was meinen Sie konkret?

ULRICH KÖRTNER: Ich erlebe heutzutage, dass kirchlich und gemeindlich engagierte ältere Menschen, die niemals Theologie studiert haben, oftmals viel umfangreichere theologische und biblische Kenntnisse haben als meine Studentinnen und Studenten. Unser Werk soll am Ende bei der Examensvorbereitung helfen – möglichst aber nicht erst da, sondern sollte durchs ganze Studium begleiten. Und es ist von der Kirche her gedacht, das heißt, Auswahl und didaktische Aufbereitung des Stoffes sind praxisorientiert auf das künftige Berufsfeld der Studierenden ausgerichtet. Theologie darf sich nicht nur mit individueller Religiosität oder dem frommen Subjekt befassen. Sie muss auch die Kirche als eigene Realität bewusst in den Blick nehmen, die als Überlieferungsgemeinschaft für die christliche Botschaft und Tradition unersetzbar ist.

Ein Band, der im nächsten Jahr erscheinen soll, heißt „Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie“. Warum gehören diese Topoi in das Lehrwerk?

ULRICH KÖRTNER: Die religionswissenschaftlichen Passagen werden sich darauf konzentrieren, was man in Pfarramt und Schule wissen muss. Es geht um methodische Grundlagen und Konzepte von Religionswissenschaft und Religionssoziologie sowie um Grundwissen über andere Religionen, vordringlich über das Judentum und den Islam. Aber entscheidend ist, mit der Binnensicht und der Außensicht der eigenen wie der anderen Religionen reflektiert umgehen zu können. Das muss man in unserer Gegenwart, wo wir so vielen Religionen im Alltag begegnen, einfach beherrschen. Und die Abteilung „Interkulturelle Theologie“ soll für eine „Theologie der Religionen“ sensibilisieren, beziehungsweise für den heute notwendigen „Dialog der Religionen“. Diese Passagen des Werkes sollen aufzeigen, wie man sich aus einer christlichen Perspektive evangelischer Prägung zur Existenz anderer Religionen im Allgemeinen und auch zu konkreten Glaubensaussagen anderer Religionen im Besonderen verhält. Dazu gehört auch, dass die verschiedenen Inkulturationsformen der Religionen behandelt werden, auch der christlichen. Denn nicht nur im Islam gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Ägypten, der Türkei und dem Iran, sondern es gibt ja auch völlig unterschiedliche Christentümer auf der Welt. Diese Themen sind erst seit kurzer Zeit an unseren theologischen Fakultäten beheimatet, aber eine Vertrautheit damit erscheint uns für einen sachgerechten und sinnvollen Umgang mit dem religiösen Leben unserer Gegenwart unerlässlich. Ein sensibles Thema sind aber auch Dialog und Mission.

Sie sind als einziger Autor mit zwei Bänden vertreten, die auch gleich als erste erschienen sind. Der eine ist zum Thema „Dogmatik“. Wie definieren Sie „Dogmatik“ auf evangelisch – Sie haben fünfzehn Sekunden …

ULRICH KÖRTNER: Dogmatik ist zum einen die Darstellung christlicher Glaubensinhalte im Zusammenhang und fragt zum anderen nach der Geltung dieser christlichen Glaubensinhalte unter den Bedingungen der jeweiligen Gegenwart.

Vielen Dank. Punktlandung!

ULRICH KÖRTNER: Für mich definiere ich Dogmatik spezifischer als eine soteriologische Interpretation der Wirklichkeit, das heißt: Dogmatik legt unsere Lebenswirklichkeit im Ganzen als eine erlösungsbedürftige unter dem Vorzeichen der biblisch bezeugten Erlösungswirklichkeit aus. Das heißt, „meine“ Dogmatik behandelt nicht nur die Notwendigkeit der Erlösung und die Sehnsucht nach ihr, sondern auch ihre im Glauben erfahrbare Wirklichkeit. Das ist das Grundthema meiner Dogmatik, das in dem Dogmatikband des Lehrwerkes wie in einem Musikstück als Thema artikuliert und dann in fünf Variationen durchgeführt wird.

Klingt interessant, aber Hand aufs Herz: Sind die Bücher Ihres Lehrwerks nur etwas für den universitären Kontext oder haben auch „Hörerinnen und Hörer aller Fachbereiche“ etwas davon?

ULRICH KÖRTNER: Ich glaube schon, denn alle Autorinnen und Autoren bemühen sich um eine verständliche und abwechslungsreiche Darstellung. Aber das müssen natürlich die Leserinnen und Leser beurteilen.

Die Fragen stellte Reinhard Mawick.

Ulrich Körtner

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