Vermächtnis

Letztes vom Grandseigneur
Bild
Mit allem macht Loussier genieartig, was er will und stellt den Interpreten in den Mittelpunkt.

Das „Wie kann man nur …“ hat sich Jacques Loussier, der Grandseigneur der Sparte „Jazz meets Classic“, von Puristen ein Leben lang anhören müssen; Eifrige haben dem immer entgegen gehalten „Lebte Bach heute, wäre er Jazzer“ – womit sie wohl recht haben. Oder? Jacques Loussier, der im März 84-jährig verstorben ist, war einer jener Ganzkörpermusiker, denen es nie um das Entweder-Oder, sondern immer um das Sowohl-Als auch ging; der jede Melodie als Spielball für eine neue nutzte und so Musik ganz durch die ihr innewohnende Lebendigkeit begriff. Sprechen die Einen von der Wucht Bachs, die Anderen von seiner Tiefe, präsentierte ihn Loussier als schwebendes Sternschnuppentheater. Verstehen wir Bach ergriffen als das Urbild himmlischer Erlösung mit eindeutiger Beauftragung aus diesen Sphären, zieht Loussier ungerührt die Reißleine in der CD-Anthologie „Classic“ und lässt seine Mitmacher Vincent Charbonnier (Bass) und André Arpino (Schlagwerk) von derselben, so dass man unversehens vom Offbeat durchgeschüttelt wird und sich in einem von Energie und Inspiration schweißheiß aufgeladenen Jazzkeller wiederfindet, wo selbst der sonst so coole Barkeeper nicht stillstehen kann. Was für ein Spieltrieb. Wie viel Lust und noch mehr Laune!

Zugegeben: Manchmal, wenn Loussier hier der eigenen stilistischen Virtuosität gar zu ausgiebig den Hof macht und beim Ragtime und in den Salons der 1920-er einkehrt, möchte man ihn zum schnellen Weiterziehen ermuntern und ihm sein Spielzeug entziehen. Aber er wusste auch als selbstverliebter Tasten-akrobat immer, was er tut – und wenn er mit einer weiteren der insgesamt fünf CDs dieser Classic-Vital-Box über die exzellent durchstreiften Jahreszeiten Vivaldis solistisch zu den nebelig verhangenen Nocturnes Chopins und wieder im Trio – hier wie bei den Goldbergvariationen mit Benoit Dunoyer de Segonzac am Bass – schließlich zu Erik Satie aufbricht, dann gerät selbst Loussiers bravouröses Spiel noch einmal in eine Form der Tastenträumerei und eine impressionistisch-surrealistische Verzückung, die Satie meditativ lebendig in einen neuen Raum neben Gabriel Fauré stellt. Hier scheiden sich womöglich erneut die Geister, Loussier-Fans aber sind entzückt – aus den Gymnopédien und Gnossiennes hat er elf gewählt, hat ihre Motive gedreht und gewendet, in die Weite und ins Wasser geworfen und mitunter einer ans Ohr huschenden Litanei gleich als Codewort der Nacht auf die innere Hörwand gesprayt.

Mit allem macht Loussier genieartig, was er will und stellt den Interpreten in den Mittelpunkt. Auch das ist Jazz. Und wer das zu schätzen vermag, hat hier ein klingendes Vermächtnis, das wunderbar entspannt – inspiriert und leichtfüßig, zupackend und flüchtig.

Klaus-Martin Bresgott

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Rezensionen