Wieder mehr Austritte

Die Hoffnung auf weniger Kirchenaustritte hat getrogen

Vor einem Jahr wurde an dieser Stelle der leisen Hoffnung Ausdruck verliehen, es könnte bei der traditionellen Verkündung neuer Zahlen in Sachen Kirchenaustritte in diesem Jahr wieder und weiter positive Nachrichten geben (vergleiche zz 9/2017). Wir erinnern uns: Im Sommer 2017 war nach einigen Jahren stetig steigender Zahlen bekanntgegeben worden, dass im Vorjahr gut 20.000 Menschen weniger aus den EKD-Landeskirchen ausgetreten seien - damals ein Rückgang von zehn Prozent, von 210.000 auf etwa 190.000. Die Hoffnung, dass daraus ein Trend werden könne, hat sich leider zerschlagen, als die Zahlen für 2017 bekanntgegeben wurden: „Rund 200.000 Menschen“ seien aus der evangelischen Kirche ausgetreten, meldete die EKD, also leider wieder etwa 10.000 Menschen mehr als 2016.

Woran liegt es bloß, fragt man sich verzweifelt. Hat nicht die evangelische Kirche 2017 in der Öffentlichkeit durch die Feier des großen Reformationsjubiläums eigentlich eine gute Figur gemacht und sogar erreicht, dass norddeutsche Parlamente den Reformationstag dauerhaft als staatlichen Feiertag eingeführt haben? Auch gab es keine kirchlichen Skandale - weder in der eigenen, noch in der römisch-katholischen Kirche wie in einigen Jahren zuvor. Und zudem dürften sich die Folgen der Kirchensteuer auf Kapitalerträge, die seit 2013 für einige Unruhe gesorgt hatte, doch endlich abgeschwächt haben. Ein Detail, das vor einem Jahr den Rückgang zu erklären schien. Was ist also los?

Zwar ist es eine alte und im Kern sicher richtige Weisheit, dass Kirchenaustritte in der Regel kaum aufgrund inhaltlicher Verärgerung vollzogen werden, sondern meist aus zwei Gründen erfolgen: Entweder - und das ist nach Meinung religionssoziologischer Experten in den meisten Fällen der Grund - sind Kirchenaustritte schlicht eine Folge des religiösen Traditionsabbruches. Oder sie schnellen in die Höhe, wenn finanzielle Dinge rund um die Kirchensteuer unklar sind oder verändert werden, wie zuletzt eben die Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Der erneute Anstieg der Austritte 2017 lässt sich aber eigentlich nicht aus diesen Faktoren erklären, und die Zahlen erscheinen für zufälliges Schwanken doch zu hoch.

Vielleicht muss man doch der Tatsache ins Gesicht sehen, dass es verstärkt inhaltlich motivierte Gründe sind, die Menschen im vergangenen Jahr zum Kirchenaustritt bewegt haben. Mutmaßlich handelt es sich dabei um Kirchenmitglieder, die - zumeist noch uneingestanden - den Positionen der AfD nahestehen. Zwar ist es bisher nur am Rande der AfD zu Kirchenaustrittsappellen gekommen, doch die Wut rechtspopulistischer Kreise auf die angeblich rot-grün geprägten Volkskirchen, die in ihren Augen vorbehaltlos die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel unterstützen und dabei die AfD harsch ablehnen, mag sich durchaus im vergangenen Jahr in Kirchenaustritten niedergeschlagen haben. Dafür spricht, dass die Tendenz bei der römisch-katholischen Kirche ebenfalls nach oben zeigt, wenn auch die Austritte wegen der traditionell stärkeren Kirchenbindung der Katholiken etwas geringer sind. Sicher, die Zahlen sind noch frisch und müssen statistisch und soziologisch auf Herz und Nieren geprüft werden. Dass sie aber alles andere als beruhigend sind, das steht leider nicht zur Debatte.

Reinhard Mawick

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