Unorthodox

Figuren aus Bibel und Koran
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Mit Sprach- und Irrwitz arbeitet Lewitscharoff Grundfragen des Glaubens und der Menschheit heraus.

Was für eine überschäumende Sprachgewalt. So himmlisch schön und zugleich so irdisch mehrdeutig. Es ist der fulminante Sprachwitz und die überbordende Phantasie von Sibylle Lewitscharoff, die diese Streifzüge durch Bibel und Koran zu einer außerordentlichen Leseerfahrung machen. Der Initialfunke für „Abraham trifft Ibrahim“ jedoch ging von ihrem Ko-Autoren, Najem Wali, aus.

Der im irakischen Basra geborene und seit Jahren in Berlin lebende Autor trug sich seit geraumer Zeit mit der Idee, die der Bibel und dem Koran gemeinsamen Figuren neu zu entdecken. Denn oft - so Wali - verhindere die für selbstverständlich genommene Tradition die wirkliche Beschäftigung mit den Grundtexten der Religionen. Und so nehmen sich die beiden Autoren acht Figuren aus Bibel und Koran vor - nicht nur die „Klassiker“, wie Abraham und Mose, sondern gerade auch die Figuren in der zweiten Reihe, wie Eva, Hiob, Lot oder Salomo.

Die Berliner Schriftstellerin legt dabei keinen Wert auf eine Nacherzählung des biblischen Erzählstoffes; vielmehr konzentriert sie sich auf Details oder verfremdet das biblische Urbild. Im Kapitel über Abraham zum Beispiel wird die grundlegende Frage, ob Gott denn wirklich die Opferung Isaaks verlangt habe, zum Streitpunkt zwischen dem Philosophen Søren Kierkegaard und einer Maus, die jenem im wahrsten Sinne des Wortes den Schlaf raubt.

Verstörend gar ist die Vorstellung im Maria-Kapitel, dass Jesus, der nur noch „bisweilen von der Erinnerung an seine ungeheuerlichen Leiden am Kreuz heimgesucht wird“, seiner Mutter einen Pflichtbesuch im himmlischen Hortus Conclusus abstattet.

Mit Sprach- und Irrwitz arbeitet Lewitscharoff Grundfragen des Glaubens und der Menschheit heraus: die Komplementarität von Wissenschaft und Sündenfall (Eva) oder die Frage nach dem Leiden in der Welt (Hiob). Dabei bringt sie den Sachverhalt meist gnadenlos auf dem Punkt, zum Beispiel, wenn sie die drei Freunde des Hiob als „Stalinisten in einer Justizparodie“ bezeichnet, die „einen Unschuldigen zum zähneknirschenden Eingeständnis seiner Verfehlungen bringen wollen, um sich in der eigenen Gerechtigkeit zu sonnen“. Zugleich geht die Berliner Religionswissenschaftlerin mit solcher Verarbeitung biblischer Stoffe gegen eine von ihr wahrgenommene defizitäre Bibellektüre an: „Etliche moderne Leser sind halbblinde Textflieger, die sich damit begnügen, was sich ihnen an der Oberfläche zeigt. Sie verpassen den Clou der Geschichte.“

Während Lewitscharoff die biblischen Erzählungen vom Staub der Jahrhundert befreit - ohne Groll gegen die Religion und ihre Gläubigen -, arbeitet sich Wali voller Zorn am islamischen Konservativismus ab. Dabei kommt es leider zu manch simplifizierendem Abwatschen des Islams und bisweilen auch aller Religionen, zum Beispiel, wenn er den Religionen pauschalisierend vorwirft, dass es ihnen - im Gegensatz zur griechischen Mythologie - nur darum gehe, das Publikum zu narkotisieren.

Unangemessen ist auch die implizit vorgebrachte Behauptung, dass Unterschiede und Widersprüche der koranischen Überlieferung zur Bibel darauf beruhten, dass Muhammad aus den Evangelien abgeschrieben habe. Richtig daran ist, dass der Koran weniger eine Erzählstruktur aufweist als ein assoziatives Erinnern an und ein Deuten von vorgegebenen Erzählungen. Daher muss Wali neben dem Koran oft auch spätere Legenden einbeziehen. An einigen Stellen gelingt es ihm dann doch, Anfragen präzise zu benennen: Im abschließenden Kapitel über den Teufel wundert sich Wali über das Heilsdrama, das im vorhersehbaren Kampf zwischen Gott und Teufel besteht, und fragt lakonisch: „Hat Gott so etwas nötig?“

Im Vorwort entschuldigen sich die Autoren für manche Ungereimtheit, da sie keine Theologen seien. Das Gegenteil ist der Fall: Durch die unorthodoxe Herangehensweise ist ein Buch entstanden, das die Grundthemen der Erzählungen herausarbeitet und daher von theologischem Tiefgang zeugt.

Ralf Lange-Sonntag

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