Erlebnis mit Nachklang

Kulturtour nach Köthen
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Große Gefühle bei den Bachfesttagen und eine Verbundenheit, die sich bewährt.

Was für ein wunderbarer Beginn: Die Streicher murmeln sich sanft nach oben, einmal, zweimal, dreimal über ruhenden Bassklängen und sanften Cembalo-Arpeggien. Wie schön! Aber schon während der vierten und erst recht während der fünften Streichergirlande denkt der beeindruckte Hörer: „Jetzt muss irgendwas substantiell anderes kommen“. Und siehe da, es kommt etwas anderes, und zwar in Gestalt eines wunderbaren Oboentons aus dem Nichts, und bevor man dessen Schönheit richtig verarbeitet kann, setzt die Sopranstimme ein: „Weichet nur, betrübte Schatten, Frost und Winde, geht zur Ruh!“

Bach at it’s best diese Hochzeitskantate BWV 202, keine Frage. Bach schuf sie während seiner Zeit als Kapellmeister in Köthen, die von Ende 1717 bis Anfang 1723 währte. Hier erfuhr Bach Freud und Leid: 1720 kehrte er von einer längeren Dienstreise heim und seine Frau Maria Barbara war gestorben. Furchtbar! Aber groß war sicher seine Freude, als er eineinhalb Jahre später Anna Magdalena Wilcke heiratete.

Das oben geschilderte musikalische Momentum prägte den Beginn des Eröffnungskonzertes der diesjährigen Bachfesttage. Zunächst erklang aber - gefühlt aus dem „Off“, konkret aber von der Empore - in blitzsauberen, fahlen A-cappella-Klängen die Motette „Mit Weinen hebt sich’s an“ von Bachs Großonkel Joseph Christoph (1642-1703). Dagegen klang von vorn, aus dem Altarraum der St.-Agnuskirche, der nach innen leuchtende, zärtliche Beginn der Hochzeitskantate, der dann wiederum kontrastiert wurde von oben mit „Halt was du hast“ von Johann Michael Bach (1648-1694), der Motette eines weiteren Bachvorfahren. Einfache, aber überaus eindrückliche Effekte!

Dieses Wechselspiel der Generationen und Gefühle setzte sich den Abend eineinhalb Stunden in zuweilen atemlos beglückender Weise fort. Die Musiker, allen voran die herausragende Sopranistin Miriam Feuersinger, das Köthener Bachcollectiv Köthen mit Konzertmeisterin Midori Seiler und das Gesangsquintett Renaissance Vokal um Altus Terry Wey, gaben alles, musizierten um ihr Leben - von todtraurig bis überbordend heiter.

In hohem Maße ausschlaggebend für den überwältigenden Erfolg waren aber sicherlich die feinen dramaturgischen Kniffe von Festivalintendant und Konzertdesigner Folkert Uhde, der durch Abfolge und Zusammensetzung ein feines, tiefgründiges Gefühlsporträt des Köthener Bachs zeichnete, das sich auch durch die folgenden Tage des Festivals zog, für deren Details hier leider kein Platz ist. Was Uhde aber schon bei seinen zweiten Festtagen gelang, ist die feste Verankerung des Festivals in Köthen selbst. Das bewiesen beispielsweise auch die im Vergleich zum ersten Mal deutlich besser besuchten Konzerte - viele waren sogar ausverkauft - und das tätige Mitwirken so vieler in Köthen selbst.

Diese enge Verbundenheit „vor Ort“ bewährte sich eine Woche später aus traurigem Anlass: Nach dem Todesfall eines 22-jährigen Kötheners in Folge einer Auseinandersetzung mit zwei afghanischen Asylbewerbern reagierte die auch durch die gerade erst beendeten Bachfesttage an wichtigen Stellen zusammengeführte Köthener Zivilgesellschaft: Über Nacht konnte ein Gottesdienst mit dem Kirchenpräsidenten der Anhaltinischen Landeskirche organisiert und Trauer und Protest kanalisiert werden.

Auch wenn ein bedrohlicher rechter Aufmarsch mit Naziparolen nicht zu verhindern war - im anhaltinischen Köthen kam es zumindest nicht zu Eskalationen und Kontrollverlusten, wie kurz zuvor im sächsischen Chemnitz. Bach hätte es gefreut!

Die Bachfesttage Köthen finden alle zwei Jahre statt, das nächste Mal vom 30. August bis 6. September 2020.

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Reinhard Mawick

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